Grün-Schwarz will schnellen Klimaschutz
Worauf sich die mutmaßlichen Regierungspartner bereits verständigt haben
STUTTGART - Seit Samstagnachmittag steht es fest: Grüne und CDU wollen in Baden-Württemberg weiter gemeinsam regieren – formale Koalitionsverhandlungen sollen am Donnerstag beginnen. Nach vier Sondierungsgesprächen haben die Verhandlungsteams der beiden Parteien bereits in einem „Sondierungsprotokoll verbindlich festgehaltene Eckpunkte“verankert und am Samstag präsentiert. Was auf die Bürger in Baden-Württemberg nun zukommt:
Corona-Pandemie
Der „Kurs der Umsicht und Vorsicht“in der Pandemie soll weitergehen. Gesellschaftliche, soziale und wirtschaftliche Folgen sollen abgefedert werden.
Finanzen
An der Schuldenbremse soll nicht gerüttelt werden. Schon jetzt gebe es im Haushalt ein Defizit von 3,6 Milliarden Euro, betonte CDU-Landeschef Thomas Strobl. Dieses soll durch Prioritätensetzung und Einsparungen abgefedert werden, heißt es im Papier. Steuern, für die das Land zuständig ist, sollen stabil bleiben. Die CDU hatte im Wahlprogramm damit geliebäugelt, die Grunderwerbsteuer zu senken. Das scheint nun vom Tisch.
Wahlrecht
In der aktuellen Legislaturperiode war eine Reform des Landtagswahlrechts am Widerstand der CDU-Fraktion gescheitert – obwohl diese Reform im Koalitionsvertrag verankert war. Dieses Mal soll die Reform allerdings kommen. Im Papier ist von einem „personalisierten Verhältniswahlrecht mit einer geschlossenen Landesliste“die Rede. Das Wahlalter soll zudem von 18 auf 16 Jahre sinken.
Klimaschutz
Grüne und CDU betonten, BadenWürttemberg zum Klimaschutzland und damit zum Vorbild für Deutschland und Europa machen zu wollen. Erste Amtshandlung in der neuen Legislaturperiode soll ein Klimaschutz-Sofortprogramm sein. Im Staatswald sollen dadurch etwa 1000 neue Windräder entstehen sowie mehr Photovoltaikanlagen entlang von Autobahnen, Zugstrecken, auf Baggerseen und über Äckern. Analog zu den Wirtschaftsweisen soll es einen Rat der Klimaweisen geben. Das Land soll sich möglichst bis 2030 vom Kohlestrom verabschieden. Beim Planen und Bauen neuer Wohnquartiere soll Kliamneutralität der Maßstab werden. Das erst kürzlich verabschiedete Klimaschutzgesetz
soll verschärft werden: Auf zwei Prozent der Landesfläche solle Solarund Windkraftanlagen entstehen – und zwar konkret vorgegeben für jede Region. Die Photovoltaikpflicht, die es bereits für Gewerbegebäude gibt, wird auf neue Wohnhäuser ausgedehnt und greift auch bei grundlegenden Dachsanierungen von bestehenden Gebäuden.
Verkehr
Alle Orte im Land sollen von 5 Uhr bis Mitternacht mit dem öffentlichen Nahverkehr erreichbar sein – auf dem Land auch dank ÖPNV auf Abruf. Zur Gegenfinanzierung sollen Städte und Gemeinden einen Mobilitätspass einführen dürfen, der etwa Autofahrer stärker zur Kasse bittet. Grundsätzlich sollen Bus und Bahn günstiger werden. Eine Idee: Ein Jahresticket für Fahrten vor Ort soll nicht mehr als einen Euro, in der Region nicht mehr als zwei Euro und landesweit nicht mehr als drei Euro pro Tag kosten. Es soll mehr Radwege, mehr autofreie Innenstädte und mehr E- und Wasserstoff-Tankstellen geben.
Landwirtschaft
Grüne und CDU planen einen Strategiedialog zur Zukunft der Landwirtschaft, in den Handel und Verbraucher einbezogen werden, um so gemeinsam einen neuen Gesellschaftsvertrag zu erarbeiten.
Asyl und Flucht
Geflüchtete, die viele Jahre im Land leben, gut integriert sind und arbeiten, sollen einfacher bleiben dürfen. Zudem sollen die Empfehlungen der Härtefallkommission dazu, wer denn im Land bleiben darf, wieder stärker berücksichtigt werden. Grün-Schwarz will ein weiteres Sonderkontingent zur Aufnahme von besonders schutzbedürftigen Frauen und Kindern aus dem Nordirak auflegen. Wer straffällig wird, eine Gefahr darstellt oder kein Bleiberecht hat, soll indes abgeschoben werden.
Gesellschaftlicher Zusammenhalt
Mit einem Antidiskriminiserungsgesetz will das Land entschiedener gegen Hass und Hetze vorgehen. Geplant ist zudem ein Landesaktionsplan gegen Rassismus und Diskriminierung.
Digitalisierung
Glasfaser für alle: So lautet etwas verkürzt das Ziel – explizit auch für den ländlichen Raum. Bundesmittel sollen zusätzlich durch Landesgeld ergänzt werden.
Ehrenamt
Wie in Bayern soll im Südwesten eine Ehrenamtskarte kommen, durch die Engagierte freie Eintritte und Vergünstigungen erhalten.
Sicherheit
Die Zahl der Polizisten im Land soll wachsen, und sie sollen besser ausgestattet werden. Straftaten im Internet sollen stärker in den Fokus rücken. Grüne und CDU wollen ein Schwerpunktprogramm Kinderschutz
und Maßnahmen gegen sexualisierte Gewalt gegen Kinder auflegen. Auch soll eine anonyme Kennzeichnungspflicht für Polizisten kommen, die in geschlossenen Einheiten bei Großlage eingesetzt werden.
Bildung
Grün-Schwarz plant ein Lernlückenprogramm, damit Schüler Defizite aus der Pandemie ausgleichen können. Am Schulsystem soll sich in den kommenden fünf Jahren nichts grundlegend ändern. Die Grundschulempfehlung soll unverbindlich bleiben, die Rückkehr zum neunjährigen Gymnasium als Standard kommt nicht. Künftig sollen sich sogenannte multiprofessionelle Teams um die Schüler kümmern – also Lehrer plus Sozialarbeiter, Sonderpädagogen oder andere. Den Anfang sollen ausgewählte Grundschulen machen. Außerdem sollen Schulen mit besonders herausfordernder Schülerschaft künftig mehr Geld bekommen, um den Bildungserfolg stärker vom Elternhaus zu entkoppeln. Der Orientierungsplan für Kitas soll weiterentwickelt und dann verbindlich eingeführt werden.
Wirtschaft
Der Strategiedialog Automobilwirtschaft und das Forum Gesundheitsstandort sollen fortbestehen und durch einen „Strategiedialog bezahlbares Wohnen und innovatives Bauen“ergänzt werden. So soll der industrielle Strukturwandel begleitet werden.