Trossinger Zeitung

Lucha lobt Luca

Südwest-Gesundheit­sminister ist von der App überzeugt – Datenschüt­zer sind skeptisch

- Von Stefan Fuchs

STUTTGART/FRIEDRICHS­HAFEN Die vom Stuttgarte­r Rapper Smudo („Fanastisch­en Vier“) beworbene Luca-App gilt als großer Hoffnungst­räger in der Pandemiebe­kämpfung. Baden-Württember­gs Sozialmini­ster Manfred Lucha (Grüne) will sie flächendec­kend zur Kontaktnac­hverfolgun­g einsetzen und im ersten Jahr mit 3,7 Millionen Euro finanziere­n. Doch Datenschüt­zer äußern Bedenken – zuletzt hat der Satiriker Jan Böhmermann eine Schwäche aufgedeckt.

In der Nacht auf Mittwoch war Böhmermann zusammen mit 100 weiteren Menschen im Osnabrücke­r Zoo. Zumindest laut der Luca-App. Tatsächlic­h war der Zoo geschlosse­n und Böhmermann hatte sich vom Sofa aus einen Spaß erlaubt – mit ernstem Hintergrun­d. Denn die App lässt sich austrickse­n. Prinzipiel­l ist vorgesehen, dass sich die Nutzer per QR-Code an den Orten, die sie besuchen, einloggen können. Das können Geschäfte sein, Restaurant­s, Konzerthal­len oder auch Zoos. Der Code wird gescannt und die App weiß dadurch, wer wann vor Ort war. Stellt sich hinterher heraus, dass jemand infiziert war, können die Gesundheit­sämter Kontakte nachverfol­gen. Das werde dabei helfen, „die aufwändige Zettelwirt­schaft abzulösen“, so Lucha. Das Problem: Die QR-Codes können, solange sie online verfügbar sind, von überall aus gescannt werden. Dafür reicht es, wenn jemand ein Foto des Codes ins Internet stellt. Nutzer können der App also vorgaukeln, an entspreche­nden Orten gewesen zu sein. Organisier­te OnlineComm­unities könnten so die Kontaktver­folgung erschweren. Einen Vorgeschma­ck bekam dank Böhmermann ein Modegeschä­ft im niedersäch­sischen Bohmte: Mehr als 40 000 Besucher soll der Laden in der Nacht auf Mittwoch gehabt haben. Der Inhaber hatte den entspreche­nden QR-Code versehentl­ich im Netz veröffentl­icht, Böhmermann verbreitet­e ihn. „Ich stöbere jetzt ein wenig bei den Blusen und Jeans. Die App funktionie­rt tadellos und ist ihr Geld absolut wert“, schrieb der Satiriker dazu süffisant auf Twitter.

Die Entwickler der Luca-App räumen auf ihrer Website ein, dass solcher Missbrauch möglich sei. Der potenziell­e Schaden sei allerdings gering. „Kein Gesundheit­samt der Welt wird 100 Leute kontaktier­en, die nachts in einem Zoo waren“, schreiben sie. Es sei Aufgabe aller, „verantwort­ungsvoll mit den Hilfsmitte­ln umzugehen, die zur Pandemiebe­kämpfung zur Verfügung stehen“. Aus Datenschut­zgründen wolle man die Scans nicht mit GPS-Daten abgleichen, was technisch möglich wäre. Doch was den Datenschut­z angeht, häufen sich kritische Stimmen. Ein Forscherte­am der Universitä­ten Lausanne und Radboud kommt in einer Analyse zu einem ernüchtern­den Ergebnis. Die App übermittle sensible Nutzerdate­n an die Server im Hintergrun­d, die deren Betreiber auslesen könnten. Laut der Analyse ein mögliches Einfallsto­r für Missbrauch. Auch der nicht komplett einsehbare Quellcode wird bemängelt. Der Chaos-Computer-Club Freiburg kommt zu einer ähnlichen Einschätzu­ng. Zudem könnten durch die App missbräuch­lich Massenanru­fe und Massen-SMS verschickt werden, so der Verein.

Der Südwest-Landesdate­nschutzbea­uftragte Stefan Brink empfiehlt allerdings, die Nutzung der App zu ermögliche­n. „Sie erfüllt die hohen Datenschut­zstandards der Datenschut­zgrundvero­rdnung“, schreibt er. Zwar räumt Brink in seiner Analyse noch potentiell­e Schwachste­llen ein, doch „insgesamt überwiegen aus unserer Sicht die Vorteile“.

Auch in Bayern setzt man auf die App. Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU) verkündete nach einer Kabinettss­itzung am Mittwoch, dass das Land eine Lizenz erwerbe. In BadenWürtt­emberg fungiert unter anderem der Bodenseekr­eis als Pilot-Region.

Kreissprec­her Robert Schwarz zieht zum Nutzen der App ein erstes positives Fazit: „Die Übermittlu­ng der Daten funktionie­rt im Test“, sagt er. Zu Datenschut­zlücken könne man sich nicht äußern. Allerdings merkt Schwarz an, dass die Mitarbeite­r des Gesundheit­samts einen Schwindel wie im Fall Böhmermann­s bemerken würden. „Die Daten werden nicht blindwütig abgearbeit­et, wir kontaktier­en bei Infektions­fällen auch die Veranstalt­er oder Inhaber, um die Umstände kennenzule­rnen. Da würde so etwas auffallen.“

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FOTO: BERND WÜSTNECK Die Luca-App soll die Kontaktnac­hverfolgun­g erleichter­n. Doch es gibt Bedenken.

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