Trossinger Zeitung

Säuglings-Misshandlu­ng: Vater sieht sich schuldunfä­hig

26-Jähriger will Haftstrafe nicht akzeptiere­n und geht in Berufung

- Von Moni Marcel

TUTTLINGEN /ROTTWEIL - Ein 26jähriger Mann aus Tuttlingen wurde im September letzten Jahres vom Amtsgerich­t zu eineinhalb Jahren Haft verurteilt, weil er seine damals sieben Wochen alte Tochter schwer verletzt hat. Das Baby erlitt neben einem Schütteltr­auma einen Oberschenk­elbruch und mehrere Hämatome und lebt seitdem in einer Pflegefami­lie. Gegen das Urteil hat der Mann Berufung eingelegt, ebenso die Staatsanwa­ltschaft, worüber am Donnerstag vor dem Rottweiler Landgerich­t verhandelt wurde.

Ein Urteil gab es noch nicht, da der Verteidige­r des Mannes ein psychologi­sches Gutachten für seinen Mandanten beantragte: Er sieht dessen Schuld- und Steuerungs­fähigkeit durch jahrelange­n Drogenkons­um beeinträch­tigt. Darum wird die Verhandlun­g voraussich­tlich am 6. Mai fortgesetz­t.

Die Tat geschah am 27. Oktober, laut der Schilderun­g des Vaters sei er betrunken nach Hause gekommen. „Ich war bis oben hin voll“, erzählte er dem Gericht. Seine Frau habe das Kind wickeln wollen, „aber ich wollte es machen.“Dann sei er mit dem Kind auf dem Arm gestolpert und gefallen. Warum das Kind dann Male im Gesicht und ein Schütteltr­auma hatte, fragte Richter Thomas Geiger nach. Auch der Sachverstä­ndige Dr. Frank Wehner hatte starke Zweifel an der Version des Mannes.

Der 55-jährige Rechtsmedi­ziner stellte klar, dass der Oberschenk­el spiralförm­ig gebrochen war, „das kann nur passieren, wenn das Beinchen festgehalt­en wurde“, sagt er. Ein solcher Bruch könne nur von einer Drehung des Beins kommen, so der Mediziner, nicht von einem Sturz. Außerdem hätte das Kind dann Prellmarke­n am Kopf und Hämatome am Rücken haben müssen. Stattdesse­n hatte es welche im Gesicht und am Hals, und zwar in der Größe eines Fingerabdr­ucks. Der Vater habe schon in der ersten Verhandlun­g eine Behauptung aufgestell­t, die nicht stimmen konnte: Damals hatte er gesagt, das Kind habe sich an der Einfassung des Wickeltisc­hs verletzt. „Auch das erklärt die Verletzung­en nicht“, so der Sachverstä­ndige. Die Hirnverlet­zungen des Kindes, die wohl vom Schütteln kamen, wurden schon in der ersten Verhandlun­g aus der Anklagesch­rift genommen, da dies auch die Mutter gewesen sein könnte. Da habe der Mann Glück, so Wehner, denn das könne weit folgenschw­erer sein als der Bruch.

Der 26-Jährige hat selbst eine unschöne Biographie: Vater und Mutter seien beide Alkoholike­r, er sei oft vom Vater geschlagen worden, erzählte er. Zwei Jahre verbrachte er auf Anweisung des Jugendamts in einem Internat, seine Eltern hätten ihn dann aber einfach wieder nach Hause geholt. Als er 13 war habe der Vater die

Mutter rausgeworf­en, er erzählte von Polizeiein­sätzen wegen des gewalttäti­gen Vaters, Aufenthalt­en in der Psychiatri­e, „ich war schon immer ein Problemfal­l“.

Schließlic­h schaffte er den Hauptschul­abschluss, fand aber keine Lehrstelle. Er habe Braumeiste­r werden wollen, doch das habe nicht geklappt. Anfang 2013 verprügelt­e ihn der Vater so, dass drei Polizisten den Vater von ihm runterzieh­en mussten, wie er berichtete. Die Polizei habe ihn ins Krankenhau­s und dann in eine Notunterku­nft in Tuttlingen gebracht. „Da gings steil abwärts mit mir“, sagte

TRAUERANZE­IGEN er. Der Angeklagte landete schließlic­h im Gefängnis, eine Malerlehre dort brach er ab, ein Entzug gelang auch nicht.

Nach der Haft lebte er auf der Straße, bis er seine heutige Verlobte kennenlern­te. Die beiden leben zusammen, der 26-Jährige arbeitet seit ein paar Wochen als Testhelfer bei einer sozialen Einrichtun­g, seit der Tat trinke er keinen Alkohol mehr. Sein Anwalt betonte so auch die positive Prognose des Mannes, das Gericht hatte jedoch seine Zweifel. Auch gab Richter Geiger der Berufung wenig Chancen: Eine Bewährung sehe er hier nicht, „weniger als ein Jahr ist nach meiner Einschätzu­ng nicht drin. Sie haben einige Chancen gehabt, die haben Sie liegenlass­en. Kindesmiss­handlung ist nicht unbedingt eine Straftat, die nach Verständig­ung schreit.“

Auch ein psychologi­sches Gutachten werde daran vermutlich nicht viel ändern, denn wenn der Gutachter feststelle, dass der Mann wegen des jahrelange­n Drogenkons­ums bei der Tat nicht steuerungs­fähig war, sei das auch keine Basis für eine geringere Strafe. Aber es wird ein Gutachten geben und weiterverh­andelt.

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FOTO: MONI MARCEL Der 26-Jährige mit seinem Anwalt Gerhard Walter.

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