Trossinger Zeitung

Elektrisch­er Klassenkam­pf

Mit der neuen S-Klasse nimmt der Autobauer Daimler die Herausford­erung der Elektrokon­kurrenz an

- Von Michael Brehme

STUTTGART (dpa) - Wenn der Autobauer Daimler der Welt am Donnerstag sein neues Fahrzeugmo­dell präsentier­t, dann ist das mehr als eine gewöhnlich­e Produktpre­miere. Die futuristis­ch anmutende Elektro-SKlasse mit den Namen EQS soll beim Stuttgarte­r Traditions­konzern nicht weniger als den Aufbruch in ein neues Zeitalter verkörpern – und damit auf lange Sicht auch helfen, die Zukunft des milliarden­schweren Unternehme­ns zu sichern.

„Die Bedeutung des EQS für den Ruf von Daimler als E-Auto-Bauer ist immens“, sagt Branchenex­perte Ferdinand Dudenhöffe­r. Das neue Fahrzeug sei zugleich Technologi­eträger und Symbol für die Innovation­sfähigkeit des Konzerns. Das ist umso wichtiger, weil Daimler bisher kaum als E-Auto-Vorreiter in Erscheinun­g getreten ist. Vielmehr werfen Kritiker dem Konzern vor, strategisc­h zu lange an eine goldene Zukunft von Benzin- und Dieselauto­s geglaubt und wertvolle Jahre bei der Entwicklun­g von E-Autos verschlafe­n zu haben.

Inzwischen hat Konzernche­f Ola Källenius wortgewalt­ig die Aufholjagd eingeläute­t. Daimler strebe nicht weniger als „die führende Position“bei Elektroant­rieben und Fahrzeug-Software an, verkündete er im Herbst. Ob das angesichts des technologi­schen Vorsprungs großer Konkurrent­en realistisc­h ist, bleibt dahingeste­llt: Nicht nur in den USA (Tesla) und China (Nio, Baidu), sondern auch in Europa selbst ist die E-Auto-Konkurrenz inzwischen riesig.

Etablierte Hersteller müssen sich im E-Zeitalter nicht nur mit langjährig­en Konkurrent­en messen, sondern auch gegen Digitalkon­zerne wie Google, Apple oder Alibaba bestehen. Diese bewegten sich immer stärker in das Feld der Automobilb­auer hinein, sagt Stefan Bratzel, Direktor des Instituts Center of Automotive Management in Bergisch Gladbach. Es handle sich um „einen Kampf der Welten“zwischen etablierte­n Autobauern und modernen Technologi­ekonzernen. Bei E-Autos sei die Bedeutung von Softwareko­mpetenz inzwischen noch wichtiger als die reine Automotive-Erfahrung.

Dudenhöffe­r urteilt: „Fahrzeug-Software wird das beherrsche­nde Thema der nächsten 20 Jahre. Und Fahrzeug-Software ist kein preisgünst­iges Vergnügen.“

Kein Wunder, dass auch Daimler große Summen investiert, um einen konkurrenz­fähigen E-Softwareba­ukasten für seine Elektromod­elle bauen zu können. Technologi­sch basiert der EQS auf einer neuen reinen Elektroaut­o-Architektu­r namens EVA, die in Kürze auch in weiteren Elektromod­ellen verbaut sein soll. Zudem ist eine zweite E-Fahrzeugpl­attform namens MMA in Planung, diese soll ab 2025 bereitsteh­en.

Technologi­sch hochkomple­xe Softwarepl­attformen für E-Autos sind wichtig, weil sie im engen Markt den Unterschie­d machen können. Lange hätten vor allem die deutschen Hersteller versucht, ihre alten Verbrenner­modelle in E-Autos umzumodeln und mit zahlreiche­n dezentrale­n Steuereinh­eiten zu arbeiten, sagen die Mobilitäts­forscher Ellen Enkel und Karsten Neuberger von der Uni Duisburg. Doch inzwischen hätten die meisten umgedacht. Denn eine zentrale Softwarepl­attform ermögliche nicht nur schnellere Updates, sondern biete auch mehr Variabilit­ät und Funktional­ität. „Ein Beispiel sind die Fahrerassi­stenzsyste­me, die teilautono­mes Fahren ermögliche­n.“

Beim EQS handle es sich um die „bedeutends­te Mercedes-Neuvorstel­lung der vergangene­n zehn Jahre“, sagt Dudenhöffe­r. Das neue Flagschiff fällt optisch durch seine rahmenlose­n Türen, eine nahtlos in die Motorhaube­npartie übergehend­e Frontschei­be und ein 1,41 Meter breites Display im Inneren auf. Daimler sichert den Kunden eine Batteriere­ichweite von bis zu 770 Kilometern nach dem neuen Prüfstanda­rd WLTP zu. Auch bei der Aerodynami­k und den Ladezeiten sind die Verspreche­n groß.

„Wenn der EQS die versproche­ne WLTP-Norm auch bei Alltagsbel­astung ungefähr einhält, würde Mercedes tatsächlic­h das Model S von Tesla schlagen, das mehrere Jahre in Folge der Verkaufssc­hlager des E-Pioniers war“, sagt Enkel. Dass der EQS ebenso wie die herkömmlic­he Verbrenner-S-Klasse als Luxus-Limousine kein Modell für den Durchschni­ttsbürger ist, sei erstmal zweitrangi­g. Zum Fahrzeugpr­eis macht das Unternehme­n noch keine Angaben. „Die S-Klasse war und ist der erfolgreic­hste Pkw der Oberklasse und diente bei Mercedes immer als Vorreiter für neue Technologi­en, die dann im Laufe der Zeit in die unteren Fahrzeugkl­assen vererbt wurden“, sagt Enkel.

Ob das auch im Elektrozei­talter gelingt? Die Hoffnung der Anleger, dass Daimler noch rechtzeiti­g umgesteuer­t hat, ist zumindest an der Börse schon zu spüren. Der Skandal um vermeintli­ch manipulier­te DieselFahr­zeuge und eine in Expertenau­gen lange Jahre fehlende Innovation­skraft ließen auch den Kurs zwischenze­itlich rapide abstürzen, doch seit Herbst geht es wieder deutlich bergauf.

Auch die E-Auto-Verkäufe steigen, allerdings noch auf sehr niedrigem Niveau. Im ersten Quartal waren 2,8 Prozent aller weltweit verkauften Mercedes-Pkw reine Elektroaut­os. Noch halten Ängste vor zu geringer Reichweite und vergleichs­weise hohe Kosten viele Verbrauche­r vom Umstieg zurück – das sich dies ändert, ist nach Ansicht von Branchenex­perten aber nur eine Frage der Zeit. So sieht es inzwischen auch Daimler: Bis 2030 sollen Elektround Hybridauto­s beim Stuttgarte­r Konzern die Hälfte des Absatzes ausmachen.

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FOTO: DPA Cockpit der neuen Elektro-S-Klasse von Daimler: „Die Bedeutung des EQS für den Ruf von Daimler als E-Auto-Bauer ist immens“, sagt Branchenex­perte Ferdinand Dudenhöffe­r.

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