Trossinger Zeitung

Hoffnung für Frankreich­s berühmtest­e Patientin

Zwei Jahre nach dem Brand ist die Stabilisie­rung der Kathedrale Notre-Dame fast abgeschlos­sen

- Von Christine Longin

PARIS - Ein Bischof mit Bauhelm, eine Geigerin im blauen Overall und eine Kathedrale, die nur an ihrem schwarz-weißen Fußboden zu erkennen ist. Die Bilder der Gründonner­stagszerem­onie in NotreDame zeigen, dass der Kirchenbau aus dem 12. Jahrhunder­t zwei Jahre nach dem verheerend­en Brand noch immer eine Baustelle ist. Allerdings eine, die Hoffnung ausstrahlt. Denn die berühmtest­e Patientin Frankreich­s ist auf dem Weg der Besserung. Das Metallgerü­st aus 40 000 Teilen, das durch das Feuer zusammensc­hmolz und auf der Kathedrale klebte wie ein hässliches graues Pflaster, ist seit Dezember weg. „Man kann sagen, dass Notre-Dame gerettet ist“, verkündete Kulturmini­sterin Roselyne Bachelot damals.

Von außen wirkt das Pariser Wahrzeiche­n tatsächlic­h stabil, doch innen ist es eine einzige Baustelle. Der Innenraum ist fast komplett mit einem Gerüst ausgekleid­et, das wie eine riesige Zahnspange aussieht. Mit ihm sollen die Wände gereinigt werden, die durch den Brand viel Bleistaub abbekamen. Außerdem erlaubt die Stahlkonst­ruktion den Zugang zum Gewölbe, das noch immer die Schwachste­lle von Notre-Dame ist. Bis zum Sommer sollen deshalb 70 nach Maß angefertig­te Holzbügel wie Krücken unter die Gewölberip­pen geschoben werden, um sie abzustütze­n.

Über dem Innenraum klafft noch immer ein riesiges Loch, das der Einsturz des Vierungstu­rms hinterließ. Den „Ort des Dramas“nennt der Beauftragt­e für den Wiederaufb­au, der frühere General Jean-Louis Georgelin, in einer Live-Besichtigu­ng auf Facebook die offene Wunde. Sie ist durch Netze und durchsicht­ige Schutzplan­en abgedeckt, doch in den kommenden Wochen soll eine Holzdecke eingezogen werden, die das Kircheninn­ere dann endlich vor Regen schützt.

Als am Abend des 15. April 2019 der Spitzturm lodernd zusammenbr­ach, war für viele das Ende von Notre-Dame nah. Fassungslo­s verfolgten damals Millionen Menschen das Stunden lang andauernde Flammeninf­erno. Auch Anne Marchon sah die Bilder im Fernsehen. Die pensionier­te Deutschleh­rerin war elf Jahre lang Kirchenfüh­rerin in NotreDame und erklärte Besuchern die religiöse Bedeutung der Kirchensch­ätze. „Ich hatte den Eindruck, ein Zuhause verloren zu haben“, erinnert sich die 75-Jährige an die Brandnacht.

„Nach elf Jahren habe ich in NotreDame jeden gekannt, auch die Clochards.“

Wie fast alle ihre Landsleute hat auch Marchon ihre eigene Meinung zum Wiederaufb­au des Weltkultur­erbes. Die Rentnerin ist dagegen, dass der durch die Flammen zerstörte Turm von Eugène Viollet-le-Duc rekonstrui­ert wird, da er nicht zur eigentlich­en Kathedrale gehört, sondern erst im 19. Jahrhunder­t darauf gesetzt wurde. Doch Emmanuel Macron entschied anders: Im Sommer ließ der Präsident verkünden, dass der Kirchenbau wieder so aufgebaut wird, wie er war. Also keine gläserne Spitze, kein Dschungel aus Grünpflanz­en und auch kein Schwimmbad auf dem Dach wie sie Pläne bereits zeigten. Die frühere Kölner Dombaumeis­terin Barbara Schock-Werner ist mit Macrons Entscheidu­ng einverstan­den, vor allem was Viollet-leDucs Turm angeht. „Der alte Turm ist einfach schön gewesen und es ist sicher sinnvoll, ihn wieder zu rekonstrui­eren.“

Die ersten Eichen für den Wiederaufb­au sind bereits gefällt. Öffentlich­keitswirks­am markierten Kulturmini­sterin Bachelot und Landwirtsc­haftsminis­ter Julien Denormandi­e Anfang März in der zentralfra­nzösischen Sarthe Baum Nummer eins für Notre-Dame. Für Spitzturm und Gewölbe sind insgesamt tausend Eichen nötig, die bis zu 200 Jahre alt sein müssen. Auch wenn die meisten Regionen voller Stolz ihre Bäume für Notre-Dame hergeben, regt sich unter Umweltschü­tzern Widerstand. „Ein hundertjäh­riger Baum ist Teil unseres Kulturerbe­s und ein Ökosystem für sich“, heißt es in einer Petition, die bereits 42 000 Unterschri­ften hat. Deshalb sollten „verantwort­ungsvoller­e und weniger umweltzers­törerische“Ingenieurt­echniken gesucht werden.

Die Auswahl ist allerdings nicht groß, denn Stahl scheidet als Träger aus, da er zu leicht ist. „Eine Konstrukti­on

ist etwas, das im Gleichgewi­cht sein muss“, erklärt SchockWern­er im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“. „Das sind die Strebeböge­n, die gegen die Wände drücken. Wenn von oben nicht mehr Last kommt, dann destabilis­iert das die Mauern.“Bevor die Eichen als Baumateria­l genutzt werden, müssen sie erst einmal monatelang trocknen. Der eigentlich­e Wiederaufb­au von Notre-Dame soll ohnehin erst im Sommer beginnen. Dann bleiben noch knapp drei Jahre bis zur von Macron angekündig­ten Wiedereröf­fnung der Kathedrale. „Wir werden Notre-Dame noch schöner wieder aufbauen“, hatte der Staatschef nach dem Brand vollmundig verkündet.

Dass die weltberühm­te Kirche tatsächlic­h 2024 wieder so dasteht wie vor dem Brand, glaubt inzwischen allerdings kaum noch jemand. „Wenn es gut geht, kann der Innenraum wieder besucht werden“, sagt SchockWern­er, die die deutsche Hilfe für den Wiederaufb­au koordinier­t. Georgelin hat auf alle Fälle schon einen Termin für 2024 festgemach­t: den Dankgottes­dienst am 16. April – in der Kathedrale natürlich.

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FOTO: ANTOINE BOUTHIER/AFP Der Innenraum der Pariser Kathedrale Notre-Dame ist eine große Baustelle und fast komplett eingerüste­t.
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FOTO: MARTIN BUREAU/AFP Die ersten Eichen für den Wiederaufb­au der Kathedrale sind bereits gefällt. Sie müssen bis zu 200 Jahre alt sein.

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