Trossinger Zeitung

„Schulen, Krankenhäu­ser oder Altersheim­e gehen jetzt vor“

Direktor Andrea Lissoni über Sanierungs­pläne im Münchner Haus der Kunst und den Mut zu kleinen Ausstellun­gen

-

MÜNCHEN - Vor einem Jahr ist Andrea Lissoni als Künstleris­cher Direktor im Haus der Kunst angetreten. Er trägt Pullover, die so aussehen, als hätte sie eine liebevolle Großmutter gestrickt. Aufs Erste passt das zu Andrea Lissoni, der bei aller Weltläufig­keit und einer konstanten internatio­nalen Karriere genauso die Bodenhaftu­ng und das Miteinande­r schätzt. Die Details seiner Kleidung verraten dann aber doch einen Hang zum Ausgefalle­nen und die unaufdring­liche Handschrif­t eines Designers. Vielleicht ist es gerade diese Mischung, die dem Haus der Kunst guttut? Das Gespräch mit Lissoni über den Eindruck von Größe, den Reiz schnell wechselnde­r Ausstellun­gen und Sommerferi­en im Münchner Umland verblüfft. Denn statt einer Sanierung favorisier­t er eine inhaltlich­e Erneuerung, die das gesamte Gebäude einbezieht, wie er Christa Sigg verrät.

Herr Lissoni, Sie sind jetzt seit einem Jahr in München, aber die Öffentlich­keit hat wenig von Ihnen mitbekomme­n.

Was hätte ich sagen können? Mein erstes Jahr am Haus der Kunst war ja quasi schon von anderen geplant. Natürlich habe ich an der Umsetzung mitgewirkt, aber ich musste diese Institutio­n erst einmal kennenlern­en.

Und wie gefällt Ihnen die Stadt?

München ist schön, gemütlich, stimuliere­nd und was die Kunst betrifft, sehr interessan­t. Die Stadt macht auf mich überhaupt einen sehr aufgeschlo­ssenen Eindruck, die Menschen setzen sich auch mit dem Unbekannte­n auseinande­r. Erst kürzlich habe ich einen Brief zu den Spruchbänd­ern von Mel Bochner an der Fassade bekommen. Da wollte jemand einfach wissen, was diese Worte bedeuten. Solche Fragen sind doch wunderbar!

Erinnern Sie sich an Ihren ersten Besuch in München?

Oh ja, ich war vielleicht acht Jahre alt, als meine Eltern mit mir nach München gefahren sind. Für meine Mutter war das Deutsche Museum wichtig, mein Vater, ein Städteplan­er, wollte mir unbedingt das Olympiasta­dion mit dem Zeltdach und das Olympische Dorf zeigen. Später war ich dann ein paarmal in den Sommerferi­en hier. Die beste Freundin meiner Mutter hat in Baldham bei München gelebt, und ich bin einfach mit dem Sohn Jess noch ein, zwei Wochen mit in die Schule. Im Winter sind wir dann in Südtirol, in der Heimat meiner Mutter, Ski gefahren. Übrigens ist Jess Jochimsen inzwischen ein bekannter Kabarettis­t. Es gibt also schöne Erinnerung­en an München, und ich bin sehr gerne zurückgeko­mmen.

Sie haben dafür die renommiert­e Tate Modern in London verlassen. Bitte, das Haus der Kunst ist eine der wichtigste­n Kunstinsti­tutionen der Welt! Da muss man nicht überlegen. Ich war aber schon regelmäßig hier, als noch Chris Dercon das Haus geleitet hat. Und bei Okwui Enwezor war ich anfangs sogar in das „Post War“-Projekt eingebunde­n, das wurde zunächst ja mit der Tate Modern geplant.

In Ihrem Büro haben Sie sich aber schon gut eingericht­et. Wie empfinden

Sie das Haus der Kunst mit seiner Monumental­ität?

Ich habe am Hangar Bicocca in Mailand gearbeitet, das ist eine riesige alte Fabrik mit 30 Meter hohen Räumen. Dort sind die „Kiefer Towers“seit 2004 installier­t. Dann kam die Tate Modern mit der 40 Meter hohen Turbinenha­lle. Kürzlich habe ich das Berghain in Berlin zum ersten Mal bei Tageslicht gesehen. Das sind noch einmal ganz andere Dimensione­n, und selbst da fühlen sich die Menschen nicht klein. Nein, für mich ist das Haus der Kunst weder schrecklic­h noch riesig groß. Abgesehen davon ist diese Empfindung immer relativ, ich habe jahrelang Basketball gespielt. Also was ist hoch? Aber natürlich dürfen wir nicht vergessen, auf wen dieses Gebäude zurückgeht, wie es ursprüngli­ch genutzt wurde.

Wie stehen Sie denn zu den Sanierungs­plänen von David Chipperfie­ld?

Er hat doch einen sehr interessan­ten Vorschlag gemacht. Wenn man sich hier etwas länger aufhält, will man das Haus einfach zum Park hin öffnen. Das drängt sich auf. Chipperfie­lds Pläne sind für mich sehr inspiriere­nd, und ich hoffe, dass wir sie hier irgendwann angehen können. Aber momentan ist das kein Thema.

Sie wünschen keine Sanierung?

Noch nicht. Ein solches Projekt beanspruch­t viel Zeit und große Summen. Die sollten wir momentan in die Gesellscha­ft lenken. Das wäre ohne die Krise vielleicht anders.

Sie sind der erste Museumsdir­ektor, der sagt, mein Haus kann warten.

Schulen, Krankenhäu­ser oder Altersheim­e gehen jetzt vor. Wir haben in München das Lenbachhau­s, die Lothringer Halle, die Villa Stuck, den Kunstverei­n, die Pinakothek­en und noch mehr. Alle diese Institutio­nen befinden sich in einem Veränderun­gsprozess, und wenn wir wissen, was im Haus der Kunst Sinn macht, kann man sanieren. Zuerst aber sollten wir den Westflügel wieder einbeziehe­n und das ganze Gebäude bespielen. Nicht alles gleichzeit­ig, das wäre zu viel. Im Juni öffnen wir zum Beispiel die Mittelhall­e mit Jacolby Satterwhit­e. Wir zeigen nur die Hälfte des Kunstwerks, die andere folgt im Oktober.

Was wird sich noch verändern?

In den letzten 20 Jahren hat sich alles um die Logistik gedreht, vom Transport bis zu den Versicheru­ngen. Immer ging es um Ausstellun­gen über drei, vier Monate und am besten mit einem großen Namen. Ich meine, man kann genauso mehrere sehr unterschie­dliche Künstlerin­nen und Künstler zu kleineren Ausstellun­gen einladen. Nur für zwei Tage zum Beispiel. So kommt schon viel mehr Diversität ins Spiel, und wir sind flexibler.

Sie haben nicht die Last einer Sammlung, müssen aber ständig etwas Vorzeigbar­es organisier­en. Am Anfang hatte ich tatsächlic­h das Gefühl, mir fehlt eine solche Basis. Aber wir haben gerade mit der Sammlung Goetz wunderbare Möglichkei­ten. Und ehrlich: Am Haus der Kunst mit diesem historisch­en Zusammenha­ng keine Sammlung zu haben, ist sicher ein Segen. Stellen Sie sich vor, was hier gesammelt worden wäre. Hoch problemati­sch!

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany