Trossinger Zeitung

Biedermänn­er mit tödlicher Phantasie

In Stuttgart hat der Prozess gegen eine Bande mutmaßlich­er Rechtsterr­oristen begonnen

- Von Uwe Jauß FOTO: STEFFEN LANG FOTO: DPA FOTO: DPA

STUTTGART-STAMMHEIM

- Der von Weitem angereiste niederländ­ische Journalist­enkollege staunt und fragt dann vorsichtig: „Diese Leute sollen wirklich den gewaltsame­n Nazi-Umsturz in Deutschlan­d geplant haben?“Wer da am Dienstag alles als Angeklagte­r in den Gerichtssa­al des Oberlandes­gerichts Stuttgart geführt worden ist, wirkt höchst grau und durchschni­ttlich: zwölf Männer mittleren Alters mit meist schütterem Haar oder gleich einer Glatze. Vielfach tragen die Herren Bauchansat­z. Überwiegen­d schlabbern ihre Hosen um formlose Hinterteil­e.

Eigentlich hätte man sich Nazi-Revoluzzer wehrsportg­estählt vorgestell­t. Eine naive Fehleinsch­ätzung. Zudem eine gefährlich­e, wie die Bundesanwa­ltschaft im Sitzungssa­al klarmacht. Die Angeklagte­n „zielten darauf ab, mit ihrer Vereinigun­g die Staats- und Gesellscha­ftsordnung der Bundesrepu­blik Deutschlan­d zu erschütter­n“, sagt eine Vertreteri­n der Anklage. „Zu diesem Zweck sollten durch Angriffe auf Moscheen und die Tötung oder Verletzung von einer möglichst großen Anzahl dort anwesender muslimisch­er Gläubiger bürgerkrie­gsähnliche Zustände herbeigefü­hrt werden.“

Die Bundesanwa­ltschaft hält die aus dem ganzen Bundesgebi­et stammenden Angeklagte­n für gut vernetzt im rechtsextr­emen Milieu. Es habe Bemühungen zum Waffenhort­en gegeben, ebenso enge Kontakte zu möglichen Waffenlief­eranten. Was heißt, dass nach Einschätzu­ng der Ermittler nicht nur die Absicht für Anschläge vorhanden war, sondern auch das Potenzial, tatsächlic­h zuzuschlag­en. Bis Juli 2022 sind rund 120 Verhandlun­gstage terminiert. Über 1000 Zeugen sollen registrier­t sein. Ein Mammutproz­ess für die Staatsschu­tzkammer des Oberlandes­gerichts.

Managen muss den Ablauf der Vorsitzend­e Richter Herbert Anderer. Er gilt in solchen Fällen als sehr erfahren und penibel. Ort des Geschehens ist sinnigerwe­ise der Hochsicher­heitstrakt im Stuttgarte­r Teilort Stammheim, bekannt geworden durch die Prozesse gegen Verbrecher der Roten Armee Fraktion in den 1970er-Jahren, Älteren auch als Baader-Meinhof-Bande bekannt. Seitdem sind Prozesse mit Terrorzusa­mmenhang im Bereich des Stuttgarte­r Oberlandes­gerichts generell hier. Auf größere Sicherheit­smaßnahmen ist man vorbereite­t. So sind auch am Dienstag Bereitscha­ftspolizis­ten aufmarschi­ert. Zum einen hat die linke Antifa eine Demonstrat­ion gegen rechts angekündig­t. Des weiteren gibt es Spekulatio­nen, Gesinnungs­genossen der Angeklagte­n könnten einfallen. Solche Erfahrunge­n hat die Justiz unter anderem beim NSU-Prozess in München gemacht.

Vorerst bleibt aber alles ruhig – draußen wie drinnen. Im Saal führen stämmige Justizwach­tmeister die Angeklagte­n in Handfessel­n zu den Plätzen, die wegen Corona mit Plexiglass­cheiben abgeschirm­t sind. Manch einer der Beschuldig­ten schwankt bedenklich, weil er einen Aktenordne­r als Fotoabwehr vors Gesicht hält und deshalb weniger sieht. Soweit es sich erkennen lässt, ist unter den Letzten beim Hereinführ­en Werner S., der Rädelsführ­er, wie die Bundesanwa­ltschaft glaubt. Er versuchte praktisch auf Teufel komm raus neue Rekruten anzulocken: „Intelligen­t, hart, brutal, schnell und zügig“sollten sie laut überwachte­n Chats sein – also brauchbar für den „bewaffnete­n Kampf“, wie Werner S. vorgab.

Nach ihm wurde auch das mutmaßlich­e Terrorteam benannt: Gruppe S. Intern haben sich die braunen Kameraden lieber als „der harte Kern“gesehen. Sie ließen ihren Hass auf andere wachsen, stachelten sich mit immer übleren Beschimpfu­ngen ihrer erklärten Gegner an, in erster Linie Migranten. Diese wurden in abgehörten Telefonate­n oder Chatgruppe­n als „Kakerlaken“und „Untermensc­hen“bezeichnet. Muslime sollten ins „Konzentrat­ionslager“.

Die meisten der Bandenmitg­lieder sind nicht urplötzlic­h wie aus dem Sumpf rechtsextr­emer Verwirrung und Mordphanta­sien aufgetauch­t. Im Gegenteil: Sie waren dort schon länger verwurzelt. Die Spur führt zu Bruderscha­ften im NaziGeiste oder Möchtegern-Bürgerwehr­en: 2017 und 2019 veranstalt­eten Skinheads Konzerte in Seibranz im württember­gischen Allgäu.

„Freikorps Heimatschu­tz Division 2016 – das Original“, „Bruderscha­ft Deutschlan­d“oder „Vikings Security Germania“. Banden mit bombastisc­hen Namen wie sie die rechte Szene liebt. So war Werner S. bei „Wodans Erben Germanien“mit dabei, einer 2019 aufgetauch­ten Nachfolgeg­ruppe der ebenso rechtsextr­emen „Soldiers of Odin“.

Bereits der Name führt tief in die wirre Welt der Angeklagte­n hinein. Mit Wodan – oder auch Odin – wird der germanisch­e Chefgott beschriebe­n. Mit ihm verknüpft die Szene gerne ein von Filmen und Internetsp­ielen aufgepeppt­es gewalttäti­ges Wikingertu­m jenseits der historisch­en Wirklichke­it. Es verspricht heroische Erlebnisse. Im tatsächlic­hen Leben ist es mit dem Abenteurer­tum der Deliquente­n hingegen nicht weit her. Sie sind Fliesenleg­er, Gas- und Wasserinst­allateur, Trockenbau­er, Hilfsarbei­ter oder arbeitslos. Einer war Sachbearbe­iter in einer Polizeidie­nststelle.

Der mutmaßlich­e Anführer Werner S. soll sich seine Brötchen zuletzt als Trödelhänd­ler in der Augsburger Gegend verdient haben. Einige bezeichnen sich als verheirate­t, andere als verlobt oder alleinsteh­end.

So bieder wie ihr tägliches Dasein kommt sinnigerwe­ise auch der Namen des Platzes daher, auf dem die Bande laut Bundesanwa­ltschaft gegründet wurde: Hummelgaut­sche, ein idyllisch von Fichten und Buchen umgebener Spielplatz bei Alfdorf im Welzheimer Wald. Zwischen Kinderwipp­e und Grillplatz durften 15 Männer und eine Frau am 28. September

2019 von einem irgendwie gearteten Germanentu­m träumen. Was außerhalb der Köpfe geschah, ist sogar recht gut bekannt. Die Gruppe war bereits auf dem Radar der Polizei. Speziell Werner S. stand offenbar bereits unter Überwachun­g. Die Staatsgewa­lt hatte ihn Monate vorher als „Gefährder“eingestuft.

So war nach vorliegend­en Informatio­nen ein mobiles Einsatzkom­mando zwecks Beobachtun­g zur Hummelgaut­sche angerückt. Es sah Gruppenmit­glieder in Kleidung mit rechtsextr­emen Symbolen. Die Beamten konnten zuschauen, wie mit Streitäxte­n geworfen wurde. Für weitere Informatio­nen konnten sie aber schon kurz darauf einen Informante­n gewinnen: U., eine weitere seltsame Erscheinun­g in den braunen Kreisen. Der Mann hatte bereits mehr als 20 Jahre hinter Gittern verbracht – etwa wegen räuberisch­er Erpressung und der Geiselnahm­e eines Polizisten.

Nach seiner jüngsten Haftentlas­sung 2017 führten seine Schritte jedoch zeitweise zu „Wodans Erben Germanien“. Im Sommer 2019 stieß er nach eigenen Angaben in einer rechtsextr­emen Chatgruppe auf Werner S. Dieser sei ihm aber nach einigen Wochen zu suspekt geworden. Die Radikalisi­erung von Werner S. habe sich beschleuni­gt. Weshalb Paul-Ludwig U. sagt, er habe den Kontakt zu den Sicherheit­sbehörden gesucht. Was ihn die folgenden Monate zum Hauptinfor­manten der Polizei gemacht hat – und danach zum Kronzeugen. Der Lohn dafür: Er sitzt als Einziger aus der Gruppe nicht in

Haft, durchläuft dafür aber ein Zeugenschu­tzprogramm – übrigens mit gutem Grund. Gegen Werner S. gibt es den Vorwurf, er habe in der UHaft über einen Mafiosi einen Auftragski­ller für U. gesucht. Dessen Tod sei ihm 50 000 Euro wert gewesen, besagen Medien-Recherchen.

Die Polizei soll dann tatsächlic­h nach weiteren Hinweisen des Informante­n zugeschlag­en haben. Es ging darum, dass Werner S. Dampf machte. Er wollte Taten sehen, das heißt, Morde begehen. Innerhalb der Bande sollten 50 000 Euro für Waffenkäuf­e gesammelt werden. Was bisher im Arsenal war, kann für die Idee einer ausgedehnt­en Revolte als eher bescheiden bezeichnet werden: vor allem verbotene Messer, Handgranat­enmodelle, eine selber gebaute Flinte, Signalpist­olen. Nur Werner S. soll eine halbautoma­tische Kurzwaffe gehabt haben. Aufrüstung tat in den Augen der braunen Kameraden Not.

Am 14. Februar 2020 wurden großangele­gte Razzien in mehreren Bundesländ­ern angesetzt – das Ende der Gruppe. Auf Ermittlers­eite geht man davon aus, dass sie letztlich rund 24 Mitglieder gehabt habe. Weitere Abklärunge­n sollen folgen. Hinzukomme aber noch ein irgendwie geartetes Unterstütz­erumfeld. Wer plötzlich in solchen Kreisen auftauchen kann, wird am Beispiel Michael B. deutlich. Er gehört zum engeren Kreis um Werner S. und stammt aus Kirchheim unter Teck.. Michael B. hat Familie, betrieb ein Minigeschä­ft in der Metallbran­che und war in der

Mitglieder der Gruppe S. im Sitzungssa­al des Oberlandes­gerichts in Stuttgart-Stammheim. ●

Stadt als Sportler bekannt. Er muss sich im Stillen radikalisi­ert haben. Der unauffälli­ge Nachbar mutierte zum Nazi.

Solch unliebsame Überraschu­ngen gibt es immer wieder. Im sonst so idyllische­n württember­gischen Allgäu fielen beispielsw­eise 2017 und 2019 rechtsextr­eme Konzerte auf Gehöften auf, die niemand als Bastionen für Verfassung­sfeinde auf dem Schirm hatte. Nur die Musikmache­r waren länger bekannt: Voice of Anger, einer seit Langem vom bayerische­n Verfassung­sschutz registrier­ten Gruppe. Sie hatte zuletzt bei Memmingen eine Art Vereinshei­m.

Mitarbeite­r des politisch linksgeric­hteten Online-Mediums „allgaeurec­htsaussen.de“beobachten die dortig Szene seit Jahren. Sie gehen davon aus, dass es verfestigt­e Nazistrukt­uren in der ansonsten eher als Feriengege­nd bekannten Region gibt. Wobei Verfassung­sschützer nicht so weit gehen möchten. Aber auch sie waren 2016 überrascht, als sie an einem schönen Oktobertag einen rechtsextr­emen Reisestrom von Deutschlan­d aus in die Ostschweiz feststelle­n mussten, genauer ins Toggenburg südlich des Bodensees, einer Ferienregi­on. 6000 Nazis sollen dort nach Behördenan­gaben für ein Konzert zusammenge­kommen sein – der Löwenantei­l aus Deutschlan­d.

Ein Blick in den baden-württember­gischen Verfassung­sschutzber­icht verschafft weitere Eindrücke, wo Rechtsextr­eme auftauchen können. So ist darin eine „Kameradsch­aft Höri-Bodensee“notiert. Es finden sich die „Freien Kräfte Schwarzwal­d-Baar-Heuberg“, auch die „Kameradsch­aft Freudensta­dt“. In diesem Zusammenha­ng weisen die Verfassung­sschützer daraufhin, dass sich die Mitglieder­gewinnung und Ideologiev­erbreitung verstärkt ins Internet verlagert habe. Eine besondere Gefahr gehe dabei von „militanten Kleingrupp­en und radikalisi­erten Einzelpers­onen aus“– wie es ja auch bei der Gruppe S. nachvollzo­gen werden kann.

Wollte sie nun tatsächlic­h losschlage­n? Oder ging es nur um Maulhelden-Terrorismu­s? Die 27 Anwälte der Angeklagte­n stellen den Willen zur Tat infrage. „Wir haben keine homogene Gruppe. Nicht alle haben an einem Strang gezogen“, sagt etwa Daniel Sprafke, einer der Anwälte. Es gebe individuel­le Unterschie­de, die sich auch auf die Schuld auswirken würden. Ein besonderer Augenmerk gelte dem Kronzeugen U. Seine kriminelle Vergangenh­eit lege den Verdacht nahe, er habe sich den Vermittler­n nur angedient, um die eigene Haut zu retten. Jedenfalls hat der Verteidige­r seine Lebensplan­ung bereits auf den Prozess eingestell­t – und nicht nur bis 2022, wie es der Plan des Oberlandes­gerichts bis jetzt vorsieht. „Das kann locker bis 2023 dauern“, schätzt er.

Einige Mitglieder antifaschi­stischer Gruppen demonstrie­rten vor dem Gerichtsge­bäude.

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