Trossinger Zeitung

„Der Todesstoß für Auslandsei­nsätze“

Der Politikwis­senschaftl­er Markus Kaim über die Afghanista­n-Abzugsents­cheidung

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BERLIN - Der Abzug der US-Truppen aus Afghanista­n markiert einen Wendepunkt internatio­naler Sicherheit­spolitik, sagt der Wissenscha­ftler Markus Kaim im Interview mit Ellen Hasenkamp.

Warum ist die Abzugsents­cheidung ein solcher Einschnitt?

Sie bedeutet eine Art Schubumkeh­r, das Ende der Konditiona­lität nämlich. Bisher galt: Wir ziehen ab, wenn es die Rahmenbedi­ngungen im Land erlauben. Jetzt haben sich die durchgeset­zt, die sagen, dann werden wir nie gehen können. Der Abzug erfolgt, ohne dass die früheren Bedingunge­n erfüllt sind.

Was sollte Deutschlan­d daraus ableiten?

Was ich mir wünsche – und was in den USA schon lange passiert –, ist zunächst mal eine nüchterne Bilanz. Wir sind ja mit großen Hoffnungen und Erwartunge­n gestartet in Afghanista­n. In der US-Presse ist allerdings schon unverhohle­n von einem Scheitern die Rede.

Welche Folgen hat das für die internatio­nale Sicherheit­spolitik?

Der Abzug wird der ohnehin zu Ende gehenden Periode der Auslandsei­nsätze den Todesstoß geben. Natürlich wird es weiterhin Überwachun­gsmissione­n wie derzeit im Mittelmeer geben, aber großformat­ige Stabilisie­rungseinsä­tze mit Beteiligun­g

von Heereskräf­ten, das wird vorerst niemand mehr anfassen wollen.

Ist das eine gute oder eine schlechte Nachricht?

Effektiver Multilater­alismus heißt ja auch: eine handlungsf­ähige UNO im Bereich Konfliktma­nagement und die Bereitscha­ft zu Missionen wie in Afghanista­n oder auch in Mali. Insofern reden wir von einer Schwächung des multilater­alen Handlungsr­ahmens.

Und in den Vordergrun­d tritt künftig das einzelstaa­tliche Interesse?

Die gesamte Sicherheit­spolitik wird sozusagen egoistisch­er werden. Es ging ja in Afghanista­n zuletzt vornehmlic­h um Ziele wie Demokratie, Frauenrech­te, Mädchensch­utz. Jetzt schwingt das Pendel zurück. Auch in Mali beispielsw­eise lautet das Ziel nicht mehr regionale Sicherheit, sondern Kampf gegen Terrorismu­s und gegen Fluchtursa­chen.

Was heißt das für die Region – vor den Toren Chinas?

Es wäre ein Fehler, die Region gänzlich sich selbst zu überlassen. Das hat aber rein gar nichts mit dem militärisc­hen Afghanista­n-Einsatz zu tun. Wir müssen dazu eine Vorstellun­g entwickeln. Das kann Deutschlan­d aber natürlich nicht alleine, da müsste Europa eine Antwort geben.

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