Trossinger Zeitung

„Lieber einen Spaziergan­g machen“

Virologe Thomas Mertens zu den Grenzen der Wirkung von Masken

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RAVENSBURG - Aerosolfor­schern zufolge ist die Ansteckung­sgefahr mit Sars-CoV-2 unter freiem Himmel sehr gering. Der Ulmer Virologe Thomas Mertens bestätigt dies – und nimmt Stellung zu den Berichten über Thrombosen im Zusammenha­ng mit dem Impfstoff von Johnson & Johnson. Katja Korf hat ihn befragt.

Es gibt offenbar neue Erkenntnis­se zur Ausbreitun­g des Virus durch Aerosole in Innenräume­n. Wie schätzen Sie diese ein?

Diese zusammenge­fassten Ergebnisse sind wichtig, die Konsequenz aber nicht neu. Auch wir haben in dieser Rubrik bereits öfter darüber gesprochen, dass das Übertragun­gsrisiko für Sars-CoV-2 im Freien viel geringer ist als in geschlosse­nen Räumen. Daher auch meine frühere Empfehlung, lieber mit den Großeltern einen Spaziergan­g im Freien zu machen als sich ins Wohnzimmer zu setzen. Wissenscha­ftlich handelt es sich eigentlich um ein Verdünnung­sproblem. Je schneller und besser Aerosole in der Luft verteilt (verdünnt) werden, desto besser – und das funktionie­rt im Freien bei etwas Abstand sofort. Das Risiko in Räumen ist umso größer, je kleiner und schlechter belüftet der Raum ist und je mehr Menschen sich länger in geringem Abstand zueinander darin aufhalten. Es ist auch leicht verständli­ch, dass dann die Wirkung der Masken mit der Zeit abnimmt, da die Aerosolkon­zentration in einem solchen Raum langsam zunimmt.

Was halten Sie von der Forderung, deshalb mehr auf Schutz in Innenräume­n statt auf Ausgangssp­erren oder ähnliches zu setzen?

Ja, das ist im Prinzip richtig, allerdings soll die Ausgangssp­erre ja wohl weniger den nächtliche­n Spaziergan­g verhindern, sondern das

Treffen von Menschen aus verschiede­nen Haushalten in Räumen. Der Schutz in Räumen hängt eben stark von der Anzahl der Menschen in den Räumen ab.

Dürfen Menschen nach einer Impfung Schmerzmit­tel nehmen, etwa, um mögliche Nebenwirku­ngen zu lindern?

Ja, zum Teil wurde sogar in Zulassungs­studien Paracetamo­l gegeben. Ich halte nichts von einer prophylakt­ischen Einnahme vor der Impfung. Man sollte das Medikament nehmen, wenn man Beschwerde­n hat. Bei Beschwerde­n nach dem vierten Tag nach Impfung sollte man gegebenenf­alls den Hausarzt fragen.

Was bedeuten die Zweifel am Impfstoff von Johnson & Johnson aus Ihrer Sicht für die Markteinfü­hrung in Deutschlan­d beziehungs­weise Europa? Nach jetzigem Stand: Für wie hoch halten Sie hier das Risiko von gefährlich­en Thrombosen als Nebenwirku­ng? Natürlich bedeutet jede verzögerte Auslieferu­ng auch eine Verzögerun­g der Impfkampag­ne. Schlimmer ist vielleicht aber wieder ein möglicher „Imageschad­en“. Über das mögliche Risiko lässt sich derzeit nichts Vernünftig­es sagen. Ich will aber doch ein paar Dinge sagen, die in dem ständigen Gerede von „Verunsiche­rung“untergehen. Erstens: Wissenscha­ft kann immer nur auf der Grundlage von Daten und Erkenntnis­sen bewerten und gegebenenf­alls reagieren. Das ist völlig normal und hat wirklich nichts mit der Änderung von „Meinungen“zu tun. Es ist nicht Aufgabe der Wissenscha­ft, Meinungen zu äußern. Die Erkenntnis­se nehmen im Fall von Covid-19 ständig zu. So muss ständig neu bewertet werden.

Zweitens: In Deutschlan­d hat die Überwachun­g der Sicherheit in der laufenden Impfkampag­ne durch das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) besser funktionie­rt als in den meisten Ländern der Welt. Das PEI hat frühzeitig das „Signal“der seltenen Nebenwirku­ng beim Astrazenec­a-Impfstoff entdeckt, und die Ständige Impfkommis­sion hat rasch reagiert, um jedes seltene Risiko für die Menschen möglichst zu vermeiden. Genau das wurde den Menschen in unserem Land vor Beginn der Impfkampag­ne versproche­n. Dies jetzt nur als Grund für „Verunsiche­rung“zu sehen, ist eigentlich erstaunlic­h. Man könnte auch sagen: „Seht mal her, unsere Sicherheit­süberwachu­ng hat funktionie­rt.“

Drittens: Wir können in Deutschlan­d mit mehreren Impfstoffe­n impfen. Das ist gerade jetzt ein enormer Vorteil, denn wir können Impfstoffe je nach Erkenntnis zwischen den Altersgrup­pen verschiebe­n, ohne dass dadurch die gesamte Impfkampag­ne leiden muss. Viel schlechter geht es den Ländern, die zum Beispiel nur einen Impfstoff zur Verfügung haben.

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