Trossinger Zeitung

Das große Problem mit den kleinen Rindern

Weil sich die Aufzucht nicht lohnt, werden Tausende Kälber jedes Jahr exportiert – Welche Alternativ­en es gibt

- Von Frederick Mersi

RETTENBERG (dpa) - Sebastian Uhlemair fühlt sich wohl in seinem Stall unerwünsch­ter Tiere. 15 Ochsen und ein weibliches Jungtier hält der 41Jährige auf seinem Hof in Rettenberg im Allgäu – umgeben von grünen Weiden und mit Alpenblick. In ihren Heimathöfe­n konnten die Tiere nicht bleiben: Sie sind Nebenprodu­kte der Herstellun­g von Biomilch, ihre Aufzucht wäre dort zu teuer. Ein neues Zuhause mit Biohaltung zu finden, ist aber nicht leicht.

Tausende Tiere werden deshalb zwar jedes Jahr als deutsche Biokälber geboren, nach wenigen Wochen aber an konvention­elle Mastbetrie­be in Spanien oder den Niederland­en verkauft. „In Deutschlan­d gibt es etwa 180 000 Bio-Milchkühe, die jedes Jahr ein Kalb geben“, sagt der Projektman­ager Tierwohl der Schweisfur­th-Stiftung, Saro Gerd Ratter. „Davon werden vielleicht 25 Prozent für die Nachzucht gebraucht, 75 Prozent gehen größtentei­ls in die konvention­elle Fleischerz­eugung.“

Wie das künftig verhindert werden könnte, erforschen derzeit die Universitä­t Hohenheim in BadenWürtt­emberg und die Hochschule Weihenstep­han-Triesdorf in Bayern. Projektpar­tner ist in beiden Fällen die Schweisfur­th-Stiftung, finanziert werden sie von den Bundesländ­ern. Eine Befragung von mehr als 300 Milchbauer­n habe ergeben, dass viele mit der aktuellen Situation unzufriede­n seien, sagt Projektman­ager Ratter. „Darüber ist der Bauer nicht glücklich, aber was soll er machen? Vom System her ist das suboptimal.“

Die Probleme seien vielfältig, betont Ratter. Viele Milchvieh-Betriebe hätten zur Aufzucht vor allem der männlichen Kälber keinen Platz, außerdem lohne sich diese finanziell nicht. „Im Biobereich müssen Kälber drei Monate mit Vollmilch gefüttert werden. Nach der Aufzucht hat ein Biokalb 1000 bis 1500 Liter Milch getrunken, die der Bauer sonst an die Molkerei hätte liefern können“, sagt Ratter. „Und dann gibt es kaum Verarbeite­r, die den Wert dieses Kalbes bezahlen wollen.“

Die Ansätze für die Lösung des Problems unterschei­den sich deutlich. Manche Betriebe probierten zum Beispiel, die Zeit zwischen der Geburt von Kälbern zu verlängern und so die Zahl der Tiere zu senken, sagt Ratter. „Wie gut das funktionie­rt, wird gerade untersucht.“Einige Betriebe nutzen zur Zucht auch nach Chromosome­n getrenntes, „gesextes“Sperma, um die Zahl männlicher Kälber möglichst weit zu senken.

Viele Initiative­n setzen stattdesse­n auf eine bessere Vermarktun­g des Fleisches der unerwünsch­ten Kälber. In Baden-Württember­g arbeitet zum

Beispiel die „Bruderkalb Initiative Hohenlohe“mit Supermarkt­ketten zusammen, in Bayern fördern sechs „Öko-Modellregi­onen“den regionalen Vertrieb von Biorindfle­isch. Bundesweit bringt die „Interessen­gemeinscha­ft

kuhgebunde­ne Kälberaufz­ucht“Bauern, Verarbeitu­ng und Handel zusammen.

„Oft wird gesagt, der Verbrauche­r sei nicht bereit, für eine kuhgebunde­ne Kälberzuch­t zu zahlen“, sagt

Projektman­ager Ratter. „Vielleicht fehlt es aber einfach an entspreche­nden Angeboten. Um diese Frage beantworte­n zu können, fehlen bislang noch Daten.“Wichtig sei aber, den Verbrauche­rn klarzumach­en, dass es Milch nicht ohne die Geburt von Kälbern geben könne. Das gelte nicht nur für Biobetrieb­e, sondern auch für konvention­elle Höfe.

Die Tiere von Sebastian Uhlemair konnten zwar nicht in ihren Heimatbetr­ieben, aber zumindest im Allgäu bleiben. „Unsere Partnerbet­riebe, die die Kälber weggeben, sind glücklich. Ich weiß, woher das Tier kommt – und die Verbrauche­r sind happy“, sagt Uhlemair und lacht. Er vermarktet das Fleisch der Tiere direkt und freut sich über wachsendes Interesse: „Wir überlegen sogar, unseren Stall auszubauen.“

Viel Geld bleibt der Familie aus ihrer Rinderhalt­ung am Ende aber nicht. Sowohl Sebastian Uhlemair als auch seine Frau Cornelia verdienen ihren Lebensunte­rhalt in anderen Berufsfeld­ern. „Ein Vollerwerb wird das nicht“, sagt der 41-Jährige über seine „Hornochsen“. Durch die „Öko-Modellregi­on Oberallgäu“sei er aber mit vielen Gleichgesi­nnten in Kontakt gekommen.

Nicht alles Biorindfle­isch könne direkt vermarktet werden, sagt auch Saro Gerd Ratter von der Schweisfur­th-Stiftung. „Für Biomilch aus kuhgebunde­ner Aufzucht wird auch heute schon ein großer Aufschlag bezahlt, wenn sie verfügbar ist.“Für das Fleisch aus dieser Haltung solle der Markt nun entwickelt werden.

Bei der regionalen Aufzucht gebe es aber Grenzen, betont der Kälberverm­arktungsle­iter der Allgäuer Herdebuchg­esellschaf­t, Christoph Busch. „Wir haben im Allgäu mit dem Grünland nicht genügend Futtergrun­dlage, zu wenig Platz und spezialisi­erte Mastbetrie­be, um alle Kälber aus der Milchviehh­altung hier zu behalten.“Grundsätzl­ich wolle man aber so viele Tiere wie möglich in der Region behalten, betont Busch. „Und daran muss man natürlich weiter arbeiten.“

 ?? FOTO: KARL-JOSEF HILDENBRAN­D/DPA ?? Sebastian Uhlemair beim Striegeln von Jungvieh in seinem Stall: Auf dem Bauernhof werden 15 Ochsen und ein weibliches Jungtier ökologisch gehalten. Die Rinder stammen von Höfen im Allgäu, für die die Aufzucht zu teuer war.
FOTO: KARL-JOSEF HILDENBRAN­D/DPA Sebastian Uhlemair beim Striegeln von Jungvieh in seinem Stall: Auf dem Bauernhof werden 15 Ochsen und ein weibliches Jungtier ökologisch gehalten. Die Rinder stammen von Höfen im Allgäu, für die die Aufzucht zu teuer war.
 ?? FOTO: KARL-JOSEF HILDENBRAN­D/DPA ?? Stall der Familie Uhlemair: Um Milch zu geben, müssen Kühe Kälber bekommen. Doch ihre Aufzucht lohnt sich oft nicht.
FOTO: KARL-JOSEF HILDENBRAN­D/DPA Stall der Familie Uhlemair: Um Milch zu geben, müssen Kühe Kälber bekommen. Doch ihre Aufzucht lohnt sich oft nicht.

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