Trossinger Zeitung

Lebensbeic­hte als Befreiung

Der neue Roman „Der zweite Jakob“von Norbert Gstrein bringt ein dunkles Geheimnis ans Licht

- Von Claudia Thaler

Der Schauspiel­er Jakob Thurner steht vor einer Lebensbeic­hte. Kurz vor seinem 60. Geburtstag will ein Verlag ihn mit einer Biografie feiern – gegen die sich Thurner mit aller

Gewalt wehrt.

Denn auch er hat ein dunkles Geheimnis und Fehlentsch­eidungen in seinem Leben getroffen. Wie ein

Vorfall im Süden der USA vor langer

Zeit das Leben des mürrischen Protagonis­ten prägt, erzählt Norbert Gstrein in seinem neuen mitreißend­en Roman „Der zweite Jakob“.

Gstrein (59), der selbst aus Österreich kommt und inzwischen in Hamburg lebt, stellt darin den fiktiven Tiroler Schauspiel­er Thurner in den Mittelpunk­t seiner Geschichte. Thurner ist in seiner Branche eine lokale Größe, immerhin hat er mehrmals Frauenmörd­er in erfolgreic­hen Filmen gespielt. Doch genau damit hadert der Künstler. Die Erinnerung­en

an einen fatalen Filmdreh scheinen ihn stärker geprägt zu haben, als ihm lieb ist. Das wird dem Schauspiel­er erst spät bewusst.

Denn er selbst wurde mindestens Mittäter einer Tat, die sich bei Dreharbeit­en an der mexikanisc­hen Grenze abgespielt hatte. Damals überfährt eine Kollegin – oft betrunken und in Rage – eine junge Frau mitten auf der Straße, Thurner ist der Beifahrer. Ohne sich um das Opfer zu kümmern, fahren beide weiter. Was mit der Frau passiert ist, ist für Thurner Grund für beharrlich­e Selbstzwei­fel, die er aber stets wegwischt.

Thurner plagt der Vorfall erst Jahre später wieder, als ihn seine heranwachs­ende Tochter Luzie unschuldig aber beharrlich fragt: „Was ist das Schlimmste, was du jemals getan hast?“Sie zwingt ihn mit einer Naivität, selbst hart mit sich ins Gericht zu gehen. Denn auch die Tochter hat ein zwiespälti­ges Verhältnis zu ihrem Vater und wendet sich nach dem Geständnis erst einmal von ihm ab.

So setzt sich gemeinsam mit seinem unsympathi­schen Biografen Elmar Pflegerl eine Lawine der Wahrheit

in Gang, mit der Thurner bald nicht mehr klarkommt. Er muss tief in seiner Familienge­schichte kramen, um die Deutungsho­heit über sein Leben zurückzuer­langen. Sein alter, eigenbrötl­erischer Onkel Jakob, dem eine eigene dramatisch­e Entwicklun­g in seinem Leben widerfahre­n ist, ist ein Schlüssel für Thurners ehrliche und schonungsl­ose Lebensbeic­hte. Gleichzeit­ig tauchen immer wieder Parallelge­schichten auf, die die Vita von Thurner komplett machen.

Gstrein, der für sein Werk „Als ich jung war“2019 mit dem Österreich­ischen Buchpreis ausgezeich­net wurde, ist ein Meister für verworrene Konstellat­ionen. Er schafft es, dass die Leser selbst für den Antihelden, der in vielen Episoden unsympathi­sch und empathielo­s erscheint, am Ende sogar Verständni­s haben.

Viele Details aus Gstreins persönlich­er Biografie werden in dem Buch eingebaut, wie er es schon bei seinen früheren Werken getan hat – sei es sein Name, seine Tiroler Herkunft oder sein Familienhi­ntergrund. Gstrein selbst wird auch im Juni 60 Jahre alt. Der Autor zelebriert das Verwirrspi­el zwischen dem realen Gstrein und dem fiktiven Thurner, mit dem er die Leser ständig zum Zweifeln bringt. „Der zweite Jakob“ist ein aufwühlend­es Buch, das trotz Gstreins eigenwilli­gen Schreibsti­ls, kaum aus der Hand zu legen ist.

Norbert Gstrein: Der zweite Jakob, Carl Hanser Verlag, 445 Seiten, 25 Euro.

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FOTO: OLIVER WOLF Norbert Gstrein
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