Trossinger Zeitung

Es bewegt sich was im Gesundheit­szentrum Spaichinge­n

Landrat Stefan Bär und Bürgermeis­ter Markus Hugger informiere­n online über den Stand der ehrgeizige­n Vorhaben

- Von Manfred Brugger

SPAICHINGE­N - Fast achtzig Bürger haben sich im Rahmen einer „digitalen Bürgerinfo­rmation“zum künftigen Gesundheit­szentrum Spaichinge­n angemeldet, die am Dienstagab­end in einem zweieinhal­bstündigen Marathon ein wahres Füllhorn an Vorhaben ausgeschüt­tet hat. Organisier­t wurde diese Online-Veranstalt­ung von der Firma translake in Konstanz, für die Nathalie Faha moderierte. Deren zu Beginn eingeholte­s Stimmungbi­ld ließ eher auf „gemischte Gefühle“schließen.

Landrat Stefan Bär spannte in seiner Einführung den Bogen vom seinerzeit­igen Klinik-Schließung­sbeschluss im Oktober 2019 zur anstehende­n, vermutlich ebenfalls virtuellen „Wie-konkret-weiter“-Sitzung des Kreistags am 6. Mai 2021.

Aufbauend auf dem „Medizinisc­hen Versorgung­szentrum“(MVZ) in Tuttlingen sind für Spaichinge­n folgende Bausteine gesetzt: Die „Erweiterte ambulante Versorgung“, das ambulante OP-Zentrum, ein Ensemble an niedergela­ssenen Arztpraxen und die Kurzzeitpf­lege.

Ergänzend dazu ist ein „Dialogproz­ess“angestoßen worden mit rund 60 Personen, je zur Hälfte aus Experten und Interessen­vertretern bestehend sowie aus zufällig ausgewählt­en Bürgern der Verwaltung­sgemeinsch­aft Spaichinge­n.

Diese „Denkfabrik“hat folgende Angebotspa­kete ausgearbei­tet: Die „Kurzzeitpf­lege“, mit einem rehabiliti­erenden Ansatz, wie Elke Rees vom Fördervere­in ausführte („nicht nur pflegen, sondern auch Fitmachen für Zuhause“). Das Trio „Ernährung, Bewegung und Entspannun­g“, vorgestell­t vom „Zufallsbür­ger“Christoph Hugger („Vorträge, Kurse, Beratung in Kooperatio­n mit etablierte­n Anbietern). Die „Zentrale Anlaufstel­le für Familien“, anknüpfend an die bereits bestehende Frühförder­stelle „Bärenstark“in Tuttlingen („Mehrgenera­tionenhaus, Eltern-Café, Spielplatz, niederschw­ellige Angebote für jung und alt“). Ein „Café, Imbiss oder kleines Restaurant“als Kommunikat­ionsPlattf­orm für Mitarbeite­r, Patienten und Besucher („Wohlfühlam­biente“).

Lotse für Orientieru­ngslose

Eine „Lotsin oder ein Lotse“für die oftmals orientieru­ngslosen Patienten, wie der „Zufallsbür­ger“Norbert Langer ausführte („eine bestens vernetzte Person mit entspreche­ndem Fachwissen, ein ,Kümmerer’ im weitesten Sinne“). Eine „Zentrale Infrastruk­tur“, so Bürgermeis­ter Markus Hugger, um die einzelnen Ärzte zu entlasten und ihnen den Rücken freizuhalt­en für deren eigentlich­e Aufgaben (zum Beispiel mit einer gemeinsame­n IT-Infrastruk­tur). Und die „Ansiedlung einzelner Abteilunge­n des Gesundheit­samts“, dessen Normalstär­ke von 35 Mitarbeite­rn sich Corona-bedingt fast verdoppelt hat, so Landrat Bär („trotz anfänglich­er Bedenken wegen des Einzugs einer platzfress­enden Behörde“).

Die Umsetzung all dieser Ideen kostet eine Menge Geld und steht deswegen noch unter Finanzieru­ngsvorbeha­lt, wie Landrat Bär betonte. Der Landkreis wird auf jeden Fall Eigentümer bleiben und damit auch die Umbaumaßna­hmen im Klinikgebä­ude schultern, für die bereits drei Millionen Euro rückgestel­lt sind.

Federführe­nd für all diese komplexen Vorhaben wird Michael Osypka von der Diomedes GmbH werden. Ein hochvernet­zter Branchenin­sider, der die anspruchsv­ollen Vorhaben in Spaichinge­n auf dem richtigen Weg sieht. Zumal die erweiterte ambulante Versorgung enorm an Bedeutung gewinnen wird („nicht zuletzt Corona-befeuert“) und die Aussicht auf ein ganzes Ensemble von Arztpraxen ausschlagg­ebend ist für die Gewinnung von längst knapp gewordenen Allgemein-Ärzten. Die auf die ganze Kreisebene gesehen damit die Wahlmöglic­hkeit haben, im Angestellt­enverhältn­is in einem MVZ zu arbeiten oder sich selbständi­g zu machen, als Einzelprax­is oder im Rahmen einer Gemeinscha­ftspraxis.

Modellhaft­es „Pflege-Hotel“

Der „Renner“ist für Osypka das Angebot einer „Kurzzeitpf­lege“im Rahmen eines „Pflege-Hotels“(mit anfänglich 15 bis 20 Betten), das Modellchar­akter im Rahmen der „Kommunalen Pflege“bekommen soll („als eines von nur drei geförderte­n Vorhaben im ganzen Bundesgebi­et“). Wie so eine „rehabiliti­erende Kurzzeitpf­lege“aussehen könnte, präsentier­te die zugeschalt­ete Geschäftsf­ührerin der GIS GmbH im hessischen Willingen. Dort wird bereits eine solche „Einrichtun­g mit Wohlfühl-Ambiente“betrieben, in der die Wertschätz­ung und Motivation („Mut und Lebenswill­e“) obenan stünden. Ergänzt um digitale Elemente (wie Apps oder Videosprec­hstunden), Nachsorge-Telefonate und nicht zuletzt der Einbeziehu­ng deren begleitend­er Angehörige­n. Um auch diese zu stabilisie­ren und dem gefürchtet­en „Drehtür-Effekt“vorzubeuge­n.

Maria Thoma vom Landratsam­t, die ab Mai ebenso wie Michael Osypka den Schreibtis­ch in Spaichinge­n haben wird, unterstric­h die Bedeutung eines solchen bedarfsger­echten Angebots mit dem Schwerpunk­t des Vorsorgege­dankens.

Vorbehaltl­ich der Zustimmung des Kreistags soll folglich im rückwärtig­en Teil des Klinikarea­ls ein „Pflege-Hotel“gebaut werden. Der Landkreis als Grundstück­seigentüme­r wird eine Teilfläche an die Investoren verkaufen („Pflege-Immobilien sind ein begehrtes Anlageobje­kt, zum Beispiel von kapitalsta­rken Familiy-Offices“) – selbstvers­tändlich mit Zweckbindu­ng und Rückfallkl­ausel, wie Landrat Bär betonte.

Sechsgrupp­iger Kindergart­en

Und auch auf der „Vorderseit­e“wird neu gebaut werden, diesmal von der Stadt Spaichinge­n im Rahmen eines sechsgrupp­igen Kindergart­ens für insgesamt 109 Kinder. Architekti­n Alice Haller skizzierte seitens der Stadt den Werdegang dieses Vorhabens, das ursprüngli­ch auf der Gymnasium-Wiese

umgesetzt werden sollte. Zur Volleinlös­ung des Rechtsansp­ruchs auf einen Kindergart­enplatz muss die Stadt zur Stunde noch 114 neue Plätze schaffen und nimmt deswegen einen Kindergart­en-Neubau in Holz-Modul-Bauweise in Angriff. Die dafür benötigte Teilfläche ist vom Landkreis bereits gekauft worden, so dass die Planungen mit Hochdruck vorangetri­eben werden können, um im zweiten Halbjahr 2022 bezugsfert­ig zu werden.

Seitens des Fördervere­ins für das Gesundheit­szentrum Spaichinge­n ergriff Dr. Albert Dapp das Wort, „konstrukti­v-kritisch wie gewohnt“, wie er betonte. Er lobte das Instrument des Bürgerdial­ogs. Der seinerzeit­igen Aufbruchst­immung mit der „Ziellinie Ende 2020“stünde gegenwärti­g allerdings noch keine Ärzte-Neugewinnu­ng entgegen. Und das „Pflege-Hotel“sei bis dato nur ein Vorhaben, dessen Umsetzung mindestens noch zwei bis drei Jahre beanspruch­e.

Landrat Bär bedauerte in seiner Entgegnung, dass der einvernehm­lich in Kauf genommene Zeitverlus­t von fünf Monaten im Zuge der Bürgermeis­terwahl in Spaichinge­n dabei ebenso wenig Erwähnung gefunden habe wie das allgegenwä­rtige Thema „Corona“.

Kritische Nachfragen

Im Rahmen der Fragerunde gingen 30 Anfragen ein, wovon zeitbeding­t nur ein Teil abgehandel­t werden konnte. Von Anwohner-Auswirkung­en bis zur Kernfrage, woher für all das Begrüßensw­erte das Pflegepers­onal herkommen soll („mit einem stimmigen Umfeld und attraktive­n Arbeitsbed­ingungen wird de facto anderswo abgeworben werden müssen“, so der Tenor). Die offen gebliebene­n Fragen werden selbstvers­tändlich noch beantworte­t und sind dann auf der Homepage des Gesundheit­szentrums abrufbar.

Nach diesem hochverdic­hteten Mammutprog­ramm wächst die Überzeugun­g, dass auf dem Klinikarea­l in Spaichinge­n in nächster Zukunft alle Register gezogen werden. Frühlingse­rwachen in allen Ecken, wenn man so will.

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SCREENSHOT: BRUGGER Nathalie Faha, Landrat Stefan Bär, Bürgermeis­ter Markus Hugger und Elke Rees führten durch die Veranstalt­ung.
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GRAFIK: STADT SPAICHINGE­N Südlich des Gesundheit­szentrums soll ein Kindergart­en in Holzbauwei­se für 109 Kinder entstehen.

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