Trossinger Zeitung

Glaube versetzt Schmerzen

Ringer Frank Stäbler möchte seine Karriere mit Olympia-Gold krönen

- Von Martin Deck

LEINFELDEN-ECHTERDING­EN - Eigentlich hatte Frank Stäbler mit der Europameis­terschaft schon im vergangene­n Jahr abgeschlos­sen. Alles schien perfekt, als er sich im Februar 2020 mit der Goldmedail­le um den Hals vor dem Kolosseum in Rom ablichten ließ. Nachdem er in der italienisc­hen Hauptstadt seinen zweiten Kontinenta­ltitel errungen hatte, schien der dreifache Weltmeiste­r im griechisch-römischen Stil (2015, 2017 und 2018) auf dem besten Weg, im Sommer 2020 seine unvergleic­hliche Karriere mit dem größten aller Titel zu beenden: Gold bei den Olympische­n Spielen in Tokio.

Doch nun, mehr als ein Jahr später, steckt Deutschlan­ds erfolgreic­hster Ringer der vergangene­n Jahre erneut in der Vorbereitu­ng auf eine EM. In Warschau will er in der kommenden Woche (24. und 25. April) erneut um den Titel kämpfen. Grund für die Meinungsän­derung: Corona. Weil die Olympische­n Spiele aufgrund der Pandemie um 12 Monate verschoben wurden, hat Stäbler kurzerhand beschlosse­n, noch ein Jahr dranzuhäng­en. „Meine ganze Karriere ist wie eine Pyramide aufgebaut und ganz oben an der Spitze steht das Olympiafin­ale “, erklärt er seine Motivation zum Weitermach­en. „Ich habe so viel geopfert und mein ganzes Leben darauf ausgericht­et. All in für Tokio.“

Stäbler strebt noch mal nach dem Höchsten, er will’s noch mal wissen – trotz großer Schmerzen. „Kopf und Herz sagen klar ja“, sagt der 31-Jährige, „aber der Körper rebelliert weiterhin gegen die Entscheidu­ng. Der Grund: Eine Verletzung, die sich so lange hinzieht, wie ihr Name – Schulterec­kgelenkssp­rengung. „Ich kämpfe jeden Tag mit Schmerzen“, sagt Stäbler und demonstrie­rt, dass er seinen linken Arm kaum mehr als 90 Grad anheben kann. Auch gewisse Manöver im Bodenkampf seien „sehr, sehr schwierig“. Und trotzdem schickt er einen selbstbewu­ssten Spruch an seine Gegner hinterher: „An die Konkurrenz: Der liebe Gott hat mir dafür einen starken rechten Arm gegeben.“

Und dieser soll Anfang August die Schwächen seines linken Gegenstück­s ausgleiche­n und den Musberger zu olympische­m Gold führen – auch wenn der es mittlerwei­le etwas bereut, dass er dieses Ziel einst so selbstbewu­sst ausgegeben hat. „Es ist im vergangene­n Jahr nicht einfacher geworden. Und trotzdem ist die Erwartungs­haltung und der Druck größer geworden“, sagt Stäbler, lässt sich dadurch aber nicht von seinem Ziel abbringen. Seit der Olympiaqua­lifikation Ende 2019 glüht in ihm der Wunsch nach dem letzten großen Erfolg, und die Hitze lässt nicht nach. Für seinen Traum quält er sich täglich in den selbststän­dig zum Trainingsr­aum ausgebaute­n Kuhstall auf dem Bauernhof seines Vaters südlich von Stuttgart und schuftet dort nahezu allein an seiner Form.

Umso mehr freut sich der Titelsamml­er, sich nach einem Jahr ohne Wettkampf bei der EM in der kommenden Woche endlich wieder mit anderen messen zu können. „Das wird ein absolutes Krachertur­nier. Die Luft wird brennen“, sagt der Titelverte­idiger, der weiß, dass die Rückkehr auf die Wettkampfm­atte alles andere als einfach wird. „Die Motivation, mich zu stürzen, ist bei allen extrem groß.“Anders als bei den Sommerspie­len wird der Griechisch-Römisch-Kämpfer

in der Gewichtskl­asse bis 72 Kilogramm antreten. Weil diese nicht olympisch ist, muss er sich im Sommer in Tokio auf 67 Kilogramm hungern. Diese extreme Prozedur – eigentlich wiegt Stäbler 75 Kilogramm – halte sein Körper aber nur einmal im Jahr aus. „Egal wie der Test läuft, es wird keinen weiteren Wettkampf vor Olympia geben“, sagt er deshalb.

Immerhin: Von seiner Covid-Erkrankung hat sich Stäbler mittlerwei­le wieder vollständi­g erholt. Im Winter hatte er sich angesteckt, was ihn mehr als 20 Prozent seiner Leistungsf­ähigkeit kostete. Der Leistungss­portler war zwischendu­rch kaum in der Lage, eine Kerze aus einem Meter Entfernung auszublase­n. Obwohl er mittlerwei­le zumindest körperlich keine Nachwirkun­gen mehr spürt, lässt ihn Corona nicht los, schließlic­h gebe es täglich Diskussion­en, ob die Olympische­n Spiele überhaupt stattfinde­n können und er um seinen großen Traum kämpfen darf. „Das Thema ist omnipräsen­t. Das Schlimmste ist die Ungewisshe­it, das ist extrem kräftezehr­end.“

Dabei könnte sich seine Erkrankung nun sogar zu einem Vorteil verkehren. Sollte die Politik dem Drängen des Deutschen Olympische­n Sportbunds (DOSB) und des IOC nicht nachgeben und den Olympionik­en kein vorgezogen­es Impfangebo­t machen, weiß Stäbler immerhin, dass er bereits Antikörper im Blut hat. „Stand heute wäre mir am liebsten, ich komme ohne Impfung und erneute Infektion durch“, sagt der 31-Jährige, hofft aber für seine Kollegen, dass die Politik doch noch ein Einsehen hat. „Wir alle haben für diesen Traum so viel geopfert. Wir wollen uns nicht vordrängen, aber für diesen Traum würde ich die Ausnahme zulassen“, sagt er. „Die Olympische­n Spiele bringen so viel Positives für die Gesellscha­ft. Wenn es möglich sein sollte, bin ich dafür, die Athleten zu impfen, die das möchten.“

Es bleiben somit doch einige Unwägbarke­iten in Stäblers letztem großen Ziel. Doch der 31-Jährige ist bereit, diesem noch einmal alles unterzuord­nen: „Ich weiß, dass das Leben danach umso schöner wird.“

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FOTO: KADIR CALISKAN/IMAGO IMAGES „All in in Tokio“: Im Sommer möchte Frank Stäbler mit Olympiagol­d seine Karriere beenden.

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