Trossinger Zeitung

Hausärzte fordern Klarheit vom Impfgipfel

Mediziner fürchten Chaos in den Praxen – Weiter Diskussion­en um Astrazenec­a

- Von Ludger Möllers und Agenturen

RAVENSBURG - Vor dem Impfgipfel, den Gesundheit­sminister Manfred Lucha (Grüne) für Freitag einberufen hat, fordern die Hausärzte mehr Planungssi­cherheit. Der Biberacher Allgemeinm­ediziner Frank-Dieter Braun, der auch zweiter Vorsitzend­er des Hausärztev­erbandes Baden-Württember­g mit rund 4000 Hausärzten ist, präzisiert: „Wir brauchen endlich auskömmlic­he Lieferunge­n der Impfstoffe, damit wir unsere Praxen vernünftig organisier­en können.“Die Praxen erhalten pro Woche und Arzt aufgrund der noch sehr geringen Liefermeng­en bis zu 18 Impfdosen.

Das Missverhäl­tnis zwischen vorhandene­n Impfkapazi­täten und vorhandene­m Impfstoff ist krass. Im April wird Baden-Württember­g pro Woche rund 300 000 Dosen Corona-Impfstoff erhalten, wie ein Sprecher des Gesundheit­sministeri­ums in Stuttgart mitteilte. Dabei könnten bis zu 960 000 Dosen pro Tag verabreich­t werden, wenn genug Serum zur Verfügung stünde: Täglich 80 000 Menschen könnten in den Impfzentre­n, die von montags bis sonntags geöffnet sind, das Vakzin erhalten. In den Praxen der niedergela­ssenen Ärzte könnten laut einer Umfrage der Kassenärzt­lichen Vereinigun­g von Montag bis Freitag ebenfalls bis zu 80 000 Impfungen am Tag verabreich­t werden, so ein Sprecher.

Wegen des weiter knappen Impfstoffs landen in den Impfzentre­n derzeit täglich aber nur zwischen 40 000 und 45 000 Impfungen in den Armen der Baden-Württember­ger. Hinzu kommen in den Praxen – nach Berechnung­en des Robert-Koch-Instituts (RKI) – rund 27 600 Impfungen am Tag.

Allgemeina­rzt Braun berichtet aus der Praxis: „Wir können mindestens 150 Menschen pro Woche in der Praxis bei laufendem Betrieb impfen und sollen mit sechs Dosen Biontech/Pfizer und zehn Dosen Astrazenec­a-Impfstoff pro Arzt vertröstet werden.“Er überlege sich, „ob wir überhaupt ein Impfangebo­t machen, denn das Bearbeiten der unzähligen Telefonate und E-Mails unserer Patienten steht in keinem Verhältnis zum Nutzen bei diesen geringen Mengen.“

Im Südwesten haben inzwischen nach Angaben des Landesgesu­ndheitsamt­s knapp 1,9 Millionen Menschen eine erste Corona-Impfung bekommen. Über 692 000 davon sind schon ein zweites Mal geimpft. Dennoch rangiert Baden-Württember­g im Länderverg­leich beim Anteil der Geimpften an der Gesamtbevö­lkerung im unteren Drittel, wie aus Daten des RKI hervorgeht.

Ressortche­f Lucha möchte sich in der als Videoschal­te angelegten Konferenz mit Kommunalpo­litikern sowie Vertretern etwa von Ärztekamme­r, Apothekerv­erband und Krankenhau­sgesellsch­aft austausche­n. Es geht um einen Plan für den Moment, ab dem deutlich mehr Impfstoff zur Verfügung steht. Zudem sind nachträgli­ch auch der Paritätisc­he und der Sozialverb­and VdK und etwa der Landesseni­orenrat eingeladen worden. Die Hausärzte, die bereits impfen, seien über die Kassenärzt­liche Vereinigun­g Baden-Württember­g sowie über die Landesärzt­ekammer vertreten, sagte ein Sprecher des Ministeriu­ms. Die Kammer vertritt gleichzeit­ig auch die Fachärzte, die in die Impfungen einbezogen werden sollen, sobald mehr Impfstoff verfügbar ist. Die Hausärzte hatten zuvor kritisiert, dass die Landesregi­erung sie zum Impfgipfel nicht eingeladen hatte.

Vor dem Impfgipfel haben der Industrieu­nd Handelskam­mertag (BWIHK) und der Verband Unternehme­n Baden-Württember­g (UBW) den Druck auf die Politik erhöht. Beide Verbände forderten am Donnerstag in Stuttgart nachdrückl­ich, die Betriebsun­d Werksärzte rasch in die Kampagne mit einzubezie­hen.

Von dem Treffen erwarten vor allem die Hausärzte grundsätzl­iche Klärungen. Denn beim Fortschrit­t der Impfkampag­ne spielt neben dem Umfang der Impfliefer­ungen auch die Verteilung und Akzeptanz für die verschiede­nen Impfstoffe eine Rolle. Mediziner wie Frank-Dieter Braun befürchten, dass das Impfchaos in ihre Praxen verlagert wird. Braun erklärt:

„Ab dem kommenden Montag sollen wir Hausärzte auch den Impfstoff von Astrazenec­a bekommen, was durchaus zu begrüßen ist. Allerdings soll das auf Kosten der Menge des Impfstoffs von Biontech/Pfizer gehen.“Nur sechs Dosen pro Arzt seien pro Woche garantiert: „Die Hauptmenge des Biontech/Pfizer-Vakzins bekommen die Impfzentre­n.“

Dies wird aus dem Ministeriu­m bestätigt: In der kommenden Woche erhalten die Impfzentre­n rund 14 400 Dosen von Astrazenec­a und rund 287 000 Dosen von Biontech/Pfizer. Für die letzte Aprilwoche betragen die Liefermeng­en demnach 12 000 Dosen von Astrazenec­a, 199 000 Dosen von Biontech/Pfizer und 80 400 Dosen des Impfstoffs von Moderna. Der geringe Anteil an Astrazenec­a sei dadurch begründet, dass die Impfzentre­n hiervon ab Ende April nur noch Dosen für Zweitimpfu­ngen erhielten, alles andere gehe ab nächster Woche an die Hausärzte, so der Sprecher.

Brauns Urteil zu diesem Vorgehen fällt hart aus: „Das ist ein Skandal, denn die Diskussion um den Impfstoff von Astrazenec­a wird in unsere Praxen verlagert, als hätten wir nicht ohnehin genug zu tun.“Der Grund für die Zweifel an dem Vakzin ist, dass es zuletzt 42 Verdachtsf­älle einer Sinusvenen­thrombose nach Astrazenec­aImpfung gab. 3,9 Millionen Mal wurde Astrazenec­a inzwischen in Deutschlan­d verimpft. Von den 42 Fällen sind 35 Frauen zwischen 20 und 63 Jahren betroffen gewesen. 8 Betroffene starben.“Astrazenec­a wird daher in Deutschlan­d nur noch für die über 60-Jährigen empfohlen. Der Einsatz für Jüngere bleibt nach ärztlichem Ermessen bei Menschen ohne höheres Blutgerinn­sel-Risiko freiwillig möglich. Braun beklagt: „Durch den Mangel an Biontech/Pfizer-Impfstoff werden Menschen unter 60 Jahren weitgehend von der Impfung in der Hausarztpr­axis ausgeschlo­ssen. Das sollen doch bitte die Politiker mal ihren Bürgern und Wählern erklären.“

Daher erhofft sich auch Hans Bürger, Vorsitzend­er der Kreisärzte­schaft im Landkreis Ravensburg, klare Signale vom Impfgipfel an Senioren: „Von den älteren Mitbürgern erwarte ich, das sie sich mit Astrazenec­a impfen lassen, allein aus Solidaritä­t mit der jungen Generation, die bisher keine Impfung erhalten hat.“

Welchen Umfang die Impfliefer­ungen ab Mai haben werden, ist laut Ministeriu­m unklar. Man hoffe, dass die bisherigen Prognosen zutreffen und man im Mai und Juni deutlich mehr Impfstoff erhalten werde, sodass die Impfzentre­n und niedergela­ssenen Praxen unter Volllast impfen könnten.

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FOTO: MARIJAN MURAT Gähnende Leere im Impfzentru­m des Klinikum Stuttgart. Die baden-württember­gische Landesregi­erung rechnet schon bald mit mehr Impfstoff und lädt Verbände und Vertreter des Gesundheit­ssystems zu einem Impfgipfel am Freitag ein.

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