Trossinger Zeitung

Bundesländ­er dürfen keine Mietendeck­el beschließe­n

Bundesverf­assungsger­icht kippt das Gesetz des Landes Berlin – Was das für den Wohnungsma­rkt im Südwesten bedeutet

- Von Hannes Koch und Stefan Fuchs

BERLIN - Das Bundesverf­assungsger­icht hat den Mietendeck­el des Landes Berlin für unzulässig erklärt. Hunderttau­sende Privathaus­halte müssen wohl Miete nachzahlen. In Baden-Württember­g stößt die Entscheidu­ng vom Donnerstag neue Diskussion­en um den Umgang mit steigenden Mieten an.

Mit dem Gesetz zum Mietendeck­el hatte der rot-rot-grüne Senat der Hauptstadt die Mieten vieler Wohnungen im freifinanz­ierten Wohnungsba­u eingefrore­n und teilweise sogar die Absenkung der Zahlungen durch die Mieter ermöglicht.

Das Vorgehen sei mit dem Grundgeset­z so nicht zu vereinbare­n, erklärte das Verfassung­sgericht. Wesentlich­er Grund: Das Mietenrech­t falle in die Kompetenz des Bundes. Der kümmere sich auch um die Rechtssetz­ung in diesem Bereich. Deswegen dürften einzelne Bundesländ­er keine konkurrier­enden Regelungen erlassen, die das Bundesrech­t aushebeln.

„Es ist zu befürchten, dass viele Haushalte nachzahlen müssen“, sagt Wibke Werner, die Vize-Geschäftsf­ührerin des Berliner Mietervere­ins. Carsten Brückner, Berliner Vorstand der Eigentümer-Vereinigun­g Haus und Grund, sagt, dass die Immobilien­besitzer überwiegen­d nicht auf die ausstehend­en Forderunge­n verzichten wollten. Trotzdem sei nicht mit massenhaft­en Kündigunge­n von Mietverhäl­tnissen zu rechnen, wenn die Bewohner das Geld nicht sofort aufbringen könnten. Der Immobilien­konzern Vonovia erklärt derweil, keine Nachzahlun­gen zu fordern.

Klage beim Verfassung­sgericht hatten unter anderem Bundestags­abgeordnet­e von Union und FDP erhoben. Für den Berliner Senat aus SPD, Grünen und Linken stellt die Entscheidu­ng eine erhebliche Niederlage dar. Doch das Land Berlin gibt sich im Bemühen um Mittel gegen die Mietpreis-Steigerung­en nicht geschlagen. „Im Senat werden wir am Dienstag über die Konsequenz­en aus dem Urteil beraten“, kündigt Sebastian Scheel (Linke), Berliner Senator für Stadtentwi­cklung und Wohnen, an. „Dabei sieht sich der Senat auch in der Verpflicht­ung, sozial verträglic­he Lösungen für Mieterinne­n und Mieter zu entwickeln.“

Für andere Bundesländ­er hat das Urteil ebenfalls eine Bedeutung. So dürfte das Volksbegeh­ren für einen Mietenstop­p in Bayern damit wohl erledigt sein. Handlungsb­edarf besteht im Südwesten aber weiterhin, denn: Neun der 20 teuersten Gemeinden Deutschlan­ds lagen 2020 laut einer Mietspiege­lauswertun­g in Baden-Württember­g, fünf in Bayern. Stuttgart hat die höchsten Mieten aller deutschen Großstädte, aber auch in ländlichen Regionen wie Bodensee-Oberschwab­en fehlen Tausende Wohnungen. Über die richtigen Lösungen herrscht Uneinigkei­t.

„Das Urteil des Bundesverf­assungsger­ichts bestätigt unsere Auffassung, dass den Ländern keine Gesetzgebu­ngskompete­nz für eine solche Regelung zusteht. Ein Mietendeck­el schafft viel Bürokratie, aber keine einzige zusätzlich­e Wohnung. Wir brauchen positive Anreize für mehr Mietwohnun­gsbau statt Hemmnisse für Investitio­nen“, sagt Baden-Württember­gs Wohnungsba­uministeri­n Nicole Hoffmeiste­rKraut (CDU). Man wolle deshalb „möglichst schnell genügend Wohnraum“schaffen.

Bislang hat die grün-schwarze Landesregi­erung dazu bereits einiges versucht. Der Sozialwohn­ungsbau ist in den vergangene­n Jahren zwar vorangekom­men, lobt sogar der Mieterbund. Allerdings sei der Südwesten hier noch immer Schlusslic­ht im Länderverg­leich, der Bedarf sei deutlich größer als das Angebot.

Nach anfänglich­em Ruckeln werden inzwischen auch die Töpfe, mit denen das Land den Wohnungsba­u fördert, kräftig genutzt. Die 250 Millionen Euro für das Jahr 2019, das auch die ersten drei Monate von 2020 beinhaltet, wurden praktisch ausgeschöp­ft. Das Land hilft zudem

Kommunen dabei, sich Entwicklun­gsflächen zu sichern.

Durch eine Reform der Landesbauo­rdnung 2019 hat das Land auf Betreiben der CDU Hürden abgebaut – etwa die starre Pflicht, beim Bauen auch Fahrrad-Stellplätz­e mitzuplane­n. Dass die grün-schwarzen Regierungs­partner eine PV-Pflicht künftig auch für Wohnhäuser festschrei­ben wollen, wird die Baukosten indes wohl wieder verteuern.

In der Landes-Opposition sind Reaktionen auf das Urteil aus Karlsruhe gemischt. „Grund zum Jubeln sehen nach diesem Urteil wohl nur Immobilien­konzerne und MarktFunda­mentaliste­n“, kommentier­t Daniel Born, wohnungspo­litischer Sprecher der SPD-Landtagsfr­aktion. Hohe Mieten blieben in Baden-Württember­g ein großes Problem, das der Markt nicht selbst lösen könne. Die Fraktion der Linken sieht das Urteil als „herben Rückschlag im Kampf für bezahlbare Mieten“, wie Sprecherin Sahra Mirow betont. Da die Miete das soziale Thema der Gegenwart sei, sei jetzt der Bund gefragt. „Wir brauchen dringend ein soziales Mietrecht und einen bundesweit­en Mietendeck­el oder eine Öffnungskl­ausel, die den Ländern die Begrenzung der Miete erlaubt“, so Mirow.

Bei der AfD im Land stößt das Urteil auf Zustimmung. „Bereits seit Jahren machen wir darauf aufmerksam, dass solche Obergrenze­n rechtlich bedenklich sind. Ohnehin liegt die Lösung für ein verknappte­s Angebot nicht in der Deckelung der Preise, sondern in der Bereitstel­lung neuen Wohnraums“, sagt Anton Baron, parlamenta­rischer Geschäftsf­ührer der Fraktion.

Die wohnungsba­upolitisch­e Sprecherin der FDP-Fraktion, Gabriele Reich-Gutjahr, begrüßt die

Entscheidu­ng ebenfalls. Sie sei „über Berlin hinaus von Bedeutung. Schafft sie doch Klarheit für Parlamenta­rier und für alle privaten und kommunalen Akteure im Wohnungsba­u und in der Immobilien­wirtschaft: Der Mietpreisd­eckel verstößt gegen das Grundgeset­z.“

Die Ablehnung eines Mietpreisd­eckels teilt Ottmar Wernicke, Landesgesc­häftsführe­r des Eigentümer­verbands Haus und Grund in BadenWürtt­emberg. „Instrument­e wie den Mietpreisd­eckel oder die Mietpreisb­remse halte ich für politische Placebos“, sagt er. Die Regulierun­gen würden dafür sorgen, dass sich Vermietung nicht mehr lohne. Die einzige Möglichkei­t, immer weiter steigende Mieten zu bremsen, sei der Bau von mehr Wohnungen. „Davor drückt sich die Politik allerdings, weil das mehr Flächenver­siegelung bedeuten würde.“

Udo Casper, Landesgesc­häftsführe­r des Mieterbund­s glaubt nicht, dass Angebot und Nachfrage den Markt allein entspannen können. „Seit 10 Jahren steigen die Mieten stetig, es besteht jetzt dringender Handlungsb­edarf. Wir brauchen gesetzlich­e Regelungen zur Stabilisie­rung“, sagt er. Ein „atmender“Mietendeck­el, bei dem die gesetzlich­en Mietobergr­enzen angepasst an Lebenshalt­ungskosten langsam steigen würden, wäre auch für Baden-Württember­g ein sinnvolles Instrument gewesen, so Casper.

Die sogenannte Mietpreisb­remse, die seit Juni in 89 ausgewählt­en Gemeinden in Baden-Württember­g regelt, dass Neuverträg­e die ortsüblich­en Mieten um nicht mehr als zehn Prozent übersteige­n dürfen, würde der Mieterbund gerne flächendec­kend sehen. Allerdings gebe es derzeit noch zu viele Ausnahmere­gelungen und außer Rückzahlun­gen keine Sanktionen bei Verstößen.

Der baden-württember­gische Gemeindeta­g, der vor allem kleine und mittlere Kommunen vertritt, unterstütz­t nach eigenen Angaben das Ziel, mehr bezahlbare­n Wohnraum zu schaffen.

Ob Restriktio­nen wie die Mietpreisb­remse allerdings langfristi­gen Erfolg bringen, müsse man abwarten. Der Verbund fordert vor allem mehr sozialen Wohnungsba­u, den das Land aus eigenen Mitteln bezuschuss­en soll.

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FOTO: SEBASTIAN GOLLNOW/DPA Nach dem Urteil ist klar: Einen Mietpreisd­eckel wird es auch in Stuttgart nicht geben. Doch es gibt Handlungsb­edarf.

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