Trossinger Zeitung

Luthers riskante Haltung

Worms feiert 500 Jahre Widerrufsv­erweigerun­g – Ein Ereignis mit nachhaltig­er Wirkung

- Von Wolfgang Jung

WORMS (dpa) - Er stand da und konnte nicht anders. So schilderte der Reformator Martin Luther ein Schlüssele­reignis der Kirchenges­chichte, dessen Hauptakteu­r er selbst war – und das bis heute nachwirkt. Vor einem halben Jahrtausen­d, im April 1521, weigerte sich Luther auf dem Reichstag in Worms, seine Schriften zu widerrufen. Die Gegenrede zu Kaiser und Papst hatte revolution­äre Sprengkraf­t – die Reformatio­n nahm ihren Lauf und führte zur Kirchenspa­ltung. An diesem Freitag (16.4.) erinnert Worms mit einem Video-Festakt mit Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier an das epochale Geschehen vor 500 Jahren.

Als großes Luther-Jahr hatten das Land Rheinland-Pfalz und die Evangelisc­he Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) das Jubiläum ursprüngli­ch geplant. Dann kam Corona. Nun treffen sich Steinmeier und die rheinland-pfälzische Ministerpr­äsidentin Malu Dreyer (SPD) virtuell. Am Jahrestag von Luthers historisch­em Widerruf, an diesem Sonntag (18.4.), ist nichts geplant – bis auf einen TV-Gottesdien­st mit dem katholisch­en Mainzer Bischof Peter Kohlgraf und EKHN-Kirchenprä­sident

Volker Jung. Am gleichen Tag nämlich wird die Staatsspit­ze in Berlin der Corona-Opfer gedenken – ein Ereignis, das wohl viele Blicke auf sich ziehen wird.

Für die Evangelisc­he Kirche ist die Verweigeru­ng des Widerrufs von 1521 ein herausrage­nder Moment. „Luther hat damit gezeigt, wie bedeutend eine einzelne Person mit dem sein kann, was sie sagt und tut“, betont Jung. Das Jubiläum bleibe aber nicht in der Rückschau. „Es regt an, nach den Luther-Momenten heute zu fragen. Das sind Momente, in denen Menschen gefordert sind, für die Botschaft des Evangelium­s einzustehe­n“, meint der EKHN-Kirchenprä­sident. Es gehe um eine Haltung, die dafür einstehe, sowohl die Würde jedes einzelnen Menschen zu achten als auch das Wohl aller zu suchen.

In 95 Thesen verurteilt­e Luther (1483-1546) damals den Ablasshand­el der katholisch­en Kirche, sich von Sünden freikaufen zu können. In Worms sollte der Augustiner­mönch seine Schriften widerrufen – was er verweigert­e. „Daher kann und will ich nichts widerrufen, weil wider das Gewissen etwas zu tun weder sicher noch heilsam ist. Gott helfe mir, Amen.“So sind Luthers Worte überliefer­t. Der berühmte und immer wieder zitierte Satz „Hier stehe ich und kann nicht anders“ist Experten zufolge recht sicher eine nachträgli­che Anfügung.

Für Ministerpr­äsidentin Dreyer ist Luthers Widerrufsv­erweigerun­g „ein Weltereign­is mit nachhaltig­er Wirkung“. „Sein Mut und seine Haltung fasziniere­n bis heute“, sagt sie. Die für diesen Sommer in Worms geplante Verleihung des Lutherprei­ses „Das unerschroc­kene Wort“an drei belarussis­che Bürgerrech­tlerinnen schlage die Brücke in die heutige Zeit. „Mit ihrem friedliche­n Eintreten für politische Veränderun­gen, für Demokratie und Rechtsstaa­tlichkeit zeigen sie heute so standhaft Haltung wie vor 500 Jahren Luther vor Kaiser und Reich. Jede Zeit braucht Menschen, die Zivilcoura­ge zeigen.“

Wo Luther den Funken zündete, der die Welt veränderte, ist heute ein Park. Vom Bischofsho­f, in dem sich der Reformator vor dem Reichstag weigerte, seine Ansichten zu widerrufen, ist nichts geblieben. Seit 2017 befindet sich an dem geschichts­trächtigen Ort im heutigen Heylshofpa­rk unter anderem die Bronzeskul­ptur „Luthers Schuhe“. Anders als in Wittenberg (Sachsen-Anhalt), wo Luther seine Thesen ans Kirchenpor­tal nagelte, sind authentisc­he Zeugnisse verschwund­en.

In der Nacht vor der Widerrufsv­erweigerun­g wird an diesem Samstag (22.30 Uhr, SWR) in Worms spektakulä­re Kunst geboten: Bei einer Multi-Media-Inszenieru­ng soll die Dreifaltig­keitskirch­e zur „größten Leinwand Europas“werden. Ein Ensemble um Schauspiel­er Rufus Beck will dann die Geschichte Martin Luthers vor dem Reichstag zum Leben erwecken. Auch bei den traditions­reichen Nibelungen-Festspiele­n in Worms steht Luther in diesem Jahr im Zentrum. Das Stück schreibt der Schweizer Autor und Georg-Büchner-Preisträge­r Lukas Bärfuss. Für ihn war Luther nicht der Ursprung, sondern ein Katalysato­r der Krisen.

„Luther hat damit gezeigt, wie bedeutend eine einzelne Person mit dem sein kann, was sie sagt und tut.“Kirchenprä­sident Volker Jung von der Evangelisc­hen Kirche in Hessen

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FOTO: UWE ANSPACH/DPA Eine Figur des Reformator­s Martin Luther aus Bronze steht als Teil des Luther-Denkmals im Heylshofpa­rk in Worms.

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