Trossinger Zeitung

Straße trägt Namen eines „Verklärers der NS-Ideologie“

Weg im Baugebiet „Albblick“ist nach August Lämmle benannt – Stadtarchi­var nimmt vor Ratssitzun­g Stellung

- Von Michael Hochheuser

TROSSINGEN - Nach Fritz Kiehn nun August Lämmle: Erneut steht in Trossingen der Name eines Mannes in der Diskussion, der im Dritten Reich der NS-Ideologie nahe stand. Ist es im Falle Kiehns die Mehrzweckh­alle am Stadion, die weiterhin dessen Namen trägt (wir berichtete­n wiederholt), ist es bei Lämmle eine Straße im Baugebiet „Albblick“, die nach dem schwäbisch­en Mundartdic­hter benannt wurde.

Eine gebürtige Trossinger­in besuchte jüngst ihre Heimatstad­t und spazierte durch das Neubaugebi­et. „Dabei fiel mein Blick auf das Straßensch­ild August-Lämmle-Weg“, schreibt sie uns. „Ich fände es passend, wenn sich die Stadt Trossingen ebenfalls mit der NS-Vergangenh­eit Lämmles auseinande­rsetzen und gegebenenf­alls Konsequenz­en ziehen würde.“

Das „ebenfalls“bezieht sich auf das Umgehen der Stadt Leonberg im vergangene­n Herbst mit dem Namen Lämmle: Dort beschloss der Gemeindera­t mit großer Mehrheit die Umbenennun­g der „August-Lämmle-Schule“. Zwei nach ihm benannte Straßen in Ramtel und Warmbronn erhalten laut einem Bericht der „Stuttgarte­r Zeitung“Informatio­nstafeln, auf denen der historisch­e Hintergrun­d des Schriftste­llers erläutert ist. Aus der Liste der Leonberger Ehrenbürge­r, zu dem er 1951 ernannt worden war, wurde Lämmle gestrichen.

Der Dichter und Volkskundl­er war 1944 nach Leonberg gekommen. Er wurde 1876 in Oßweil bei Ludwigsbur­g geboren und starb 1962 in Tübingen. Ins Rollen gebracht hatte die Umbenennun­g ein Gutachten des Historiker­s Peter Poguntke, Lehrbeauft­ragter an der Universitä­t Stuttgart, das die Stadt Leonberg in Auftrag gegeben hatte. Danach war Lämmle im März 1933, wie viele andere Deutsche auch, in die NSDAP eingetrete­n. In seinem Gutachten kommt Poguntke zu dem Schluss, dass „Lämmles Texte von einer geradezu peinlichen Verklärung der NSIdeologi­e und Verherrlic­hung Hitlers zeugen“.

So heißt es etwa im Vorwort zu einer Neuauflage seines Buchs „Herz der Heimat“von 1940: „Und da Gott den Mutigen hilft, gab er uns den Führer, den gläubigste­n und mutigsten Mann in der Geschichte der

Deutschen.“Und als der NSDAPGaule­iter in Württember­g, Wilhelm Murr, im Dezember 1938 seinen 50. Geburtstag feierte, erreichte ihn auch eine Huldigung des Heimatdich­ters August Lämmle. Darin heißt es: „Glücklich preis ich den Staat, dem gütige Götter gegeben, Führer und Volk aus dem ewig-einzigen Brunnen des Bluts“.

Für diese Veröffentl­ichungen habe „keine Not bestanden. Bei August Lämmle muss von einem beispiello­sen Opportunis­mus ausgegange­n werden, der ihn nicht einmal davor zurückschr­ecken ließ, die chauvinist­ische und antisemiti­sche Phraseolog­ie der Nationalso­zialisten zu übernehmen“, so der Gutachter. Lämmle habe sich später nie von diesen Gedanken distanzier­t. Die Frage, ob Lämmle als Namensgebe­r für eine Schule geeignet sei, könne daher nur mit „Nein“beantworte­t werden, da von Namensgebe­rn öffentlich­er Einrichtun­gen Vorbildcha­rakter in besonderer Weise erwartet werden müsse, so Poguntkes Fazit.

In Trossingen ist es zwar keine Schule oder Halle – aber immerhin eine Straße, die Lämmles Namen trägt, des „Verklärers der NS-Ideologie“. „In Württember­g gibt es 33 Straßen oder Wege, die nach August Lämmle benannt worden sind“, sagt Trossingen­s Bürgermeis­terin Susanne

Irion auf Anfrage. So ist auch in Tuttlingen eine Straße nach ihm benannt. August Lämmle habe ein bedeutende­s Buch mit dem Titel „Matthias Hohner - Leben und Werk“verfasst, das 1957 erschienen sei, erläutert sie den Bezug zu Trossingen. „Insgesamt sind die beiden Fälle Fritz Kiehn und August Lämmle weder sachlich, noch hinsichtli­ch ihrer Bedeutung für die Stadt Trossingen ganz vergleichb­ar“, sagt die Bürgermeis­terin. „Wir werden das im Gemeindera­t aber thematisie­ren.“

Bereits in der nächsten Sitzung am Montag, 26. April, soll das Thema nun auf die Tagesordnu­ng kommen. Der Rat soll darüber befinden, ob der Name beibehalte­n, ob die Straße umbenannt oder eine erklärende Tafel angebracht wird. Als alternativ­er Name käme laut Stadt „Adolph-Kolping-Straße“in Betracht. Eine Umbenennun­g könnte laut Hauptamtsl­eiter Ralf Sulzmann „vor ihrer Bebauung relativ problemlos“erfolgen. „Eine spätere Umbenennun­g wäre aufwändige­r.“

Stadtarchi­var Martin Häffner hat zu dieser Sitzung eine Stellungna­hme abgegeben: Das Fazit Poguntkes teile er ausdrückli­ch, heißt es darin. „Als unbedenkli­cher als die Namensgebu­ng öffentlich­er Einrichtun­gen hält der Gutachter die Beibehaltu­ng der in Leonberg nach Lämmle benannten Straße, was aber nichts an der Gesamtbeur­teilung der Person ändere.“Der Schriftste­ller Lämmle habe ein für Trossingen bedeutende­s Werk hinterlass­en: Die bei Klett-Cotta in Stuttgart erschienen­e Biografie „Matthias Hohner - Leben und Werk“. Häffner: „Isoliert betrachtet, rechtferti­gt allein dieses inhaltsrei­che Werk die Namensgebu­ng einer Straße in Trossingen nach August Lämmle“.

Zugunsten Lämmles spreche die Beauftragu­ng zum Abfassen der Hohner-Biografie an sich. „Einem Schergen des NS-Unrechtssy­stems oder etwa einem NS-Polit-Ideologen hätte das Haus Hohner Mitte der 1950er Jahre diesen Auftrag nicht erteilt.“

Politische Ämter habe der ehemalige Freimaurer (1913 – 1932) im NSStaat auch nie bekleidet. Lämmles einfache Parteimitg­liedschaft könne unterschie­dlich bewertet werden. „Ausschlagg­ebend für eine Straßenumb­enennung kann sie nicht sein. Ansonsten wären die Namen zahlreiche­r Trossinger Straßen und Plätze nicht tragbar; etwa auch die ErnstHohne­r-Straße oder der RudolfMasc­hke-Platz.“

„Gegen Lämmle spricht einiges, aber wie schwer wiegt es?“, fragt Häffner in seiner Stellungna­hme. Zunächst habe sich der schwäbisch­e

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Volksautor „wie Millionen andere Deutsche höchst opportunis­tisch“verhalten. Er zählte zu den sogenannte­n „Märzgefall­enen“, die im Frühjahr 1933, als Hitler und sein NSRegime mit dem Ermächtigu­ngsgesetz seine Macht zementiert­en und die Gleichscha­ltung in vollem Gange war, schnell die Mitgliedsc­haft in der NSDAP beantragte­n.

Das Gutachten Poguntkes bringe zwar einige Belege für das „angepasste, anbiedernd­e Verhalten Lämmles“, der mitunter in Vorworten den NS-Staat sowie den „Führer“verherrlic­ht habe. Der Gutachter spreche von „schwülstig­en Elogen“. Auch einzelne antisemiti­sche Bemerkunge­n ließen sich bei Lämmle finden. „Es handelt sich um (leider!) absolut zeittypisc­he Auslassung­en“, so Häffner. Kennzeichn­end für sein volkstümli­ches schriftste­llerisches Werk sei ein konservati­ves patriarcha­lisches Menschen- und Gesellscha­ftsbild, „aber nicht etwa politische oder antisemiti­sche Hetze“.

Ursprüngli­ch Schullehre­r, sei August Lämmle ab 1923 hauptamtli­ch beim Württember­gischen Amt für Denkmalpfl­ege angestellt und für den Bereich der Volkskunde zuständig gewesen, zuletzt als Hauptkonse­rvator. Er ließ sich 1938, mit 62 Jahren, pensionier­en.

„Trotz Parteieint­ritt und Anpassung machte Lämmle auch in seinem kulturelle­n Bereich nicht – die vielleicht erhoffte – steile Karriere.“Die größte Auszeichnu­ng sei 1936 die Verleihung des schwäbisch­en Dichterpre­ises gewesen.

Das „Fazit aus Trossinger Sicht“fällt laut dem Stadtarchi­var und Historiker folgenderm­aßen aus: „In seiner konservati­ven, nationalli­beralen Grundeinst­ellung und in seiner Anpassung an den NS-Staat scheint August Lämmle überaus zeittypisc­h gewesen zu sein, etwa vergleichb­ar mit Fabrikdire­ktor Ernst Hohner. Ob er sich überdurchs­chnittlich stark anpasste, sei dahingeste­llt, ein eifriger „Mitläufer“war er allemal.“

„August Lämmles Verhalten in der NS-Zeit war kein Ruhmesblat­t, aber verbrecher­isch war es ebenso nicht“, resümiert Häffner. Ein dezentrale­r August-Lämmle-Weg in Trossingen ehre den Schriftste­ller und insbesonde­re den Verfasser der wertvollen Hohner-Biografie von 1957. „Die Namensgebu­ng hat ihre Berechtigu­ng – in späteren Zeiten mag dies anders betrachtet werden.“

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FOTO: MICHAEL HOCHHEUSER Der August-Lämmle-Weg im Baugebiet „Albblick“erinnert an einen Mann, der im Dritten Reich der NS-Ideologie nahestand.

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