Kleiner Stern, große Aufmerksamkeit
„Mitarbeiter*in“: Behörden und Firmen versuchen vermehrt zu gendern
TUTTLINGEN - Sprache verändert sich laufend. Der Duden muss seine Wortsammlung jedes Jahr aktualisieren. Seit einigen Jahren wird die Diskussion um die Entwicklung der Sprache von einem Thema geprägt: dem Gendern. Gender, aus dem Englischen eingedeutscht, steht für das „Soziale Geschlecht“und häufig speziell für das geschlechterbewusste Sprechen und Schreiben. Gendergerechte Sprache ist auf dem Vormarsch, auch im Kreis Tuttlingen. Und es ist umstritten, ja, für viele Menschen ein Aufreger.
Sprache ist im Fluss, Wörter kommen und gehen, Sprech- und Schreibweisen ändern sich. Jeder Mensch wirkt am Sprachwandel mit. Seit einigen Jahren gibt es Kritik, vorwiegend aus feministischer Sicht, an einer Sprache, die männlich dominiert ist – wie selbstverständlich sagen wir: Ich gehe zum Arzt, obwohl es sich um eine Ärztin handelt. Wie kann man Frauen in der Sprache sichtbar machen? Mit einem Unterstrich („Bäcker_in“), einem Doppelpunkt („Lehrer:innen“), mit der gleichberechtigten Nennung („Schülerinnen und Schüler“), einer Verlaufsform wie Studierende statt Studenten – oder zum Beispiel mit dem Gendersternchen, das seit gut zehn Jahren immer häufiger zu lesen ist.
Vor einigen Wochen ist in einer Pressemitteilung der Stadt Tuttlingen erstmals ein Gendersternchen aufgetaucht – in einer Pressemitteilung zum Thema Impfservice ist von „Senior*innen“die Rede. Pressesprecher Arno Specht erklärt dieses Debüt so: „Das soll ein Versuch sein.“Und nein, eine neue Formulierungsanweisung oder eine verbindliche städtische Sprachregelung hat er nicht zur Hand.
Er weiß, dass seine Texte – noch? nicht konsequent gendern und will das auch nicht dogmatisch handhaben. In der Überschrift seines Textes heißt es noch ganz normal „Senioren“, im Text selbst wird dann mit Sternchen gegendert. Specht sieht sich und seine Kollegen – Kolleg*innen! - da in einer „großen Phase des Experimentierens“.
Und er meint: „Wir wollen das austesten, schauen, was praktikabel ist.“Reaktionen auf seine Gendersternchen von Mitte März hat er erst einmal nicht erhalten. Und natürlich schaut er, wie andere Pressesprecherinnen und Pressesprecher mit dem Thema umgehen – immer mehr große Kommunen wie Hannover setzen die geschlechtsgerechte Sprache mittlerweile sehr bewusst und gewollt ein.
Das führt dann wie in Lübeck zu kurios anmutenden Regeln wie die, die Floskel „Not am Mann“nicht mehr zu benutzen. Wobei es leicht ist, sich über einzelne Beispiele lustig zu machen, wenn gleichzeitig die Hälfte der Bevölkerung sprachlich weggedrückt wird. Wenn 49 Lehrerinnen in einer Aula stehen und ein Studienrat kommt dazu – was schreiben dann die meisten? 50 Lehrer. Gendersprache hat auch etwas mit Respekt zu tun.
Schwierig, keine Frage. Wer das Thema bis zur letzten Konsequenz durchdenkt, müsste auch beispielsweise Bebauungspläne streng gendern, kommunale Verordnungen, Schreiben aus dem Rathaus – schnell hat man, hat frau ein ganz weites Feld betreten. Sprache spiegelt ja auch die Realität wider. Es gibt nur wenige Bürgermeisterinnen im Landkreis. Aber deshalb nur von „Bürgermeistern“sprechen?
Doch es geht was. Die Wirtschaft stellt sich auch auf andere Umgangsformen ein. Aesculap-Chef Jochen Schulz erklärte erst jüngst in einer Pressekonferenz, er bemühe sich um korrektes Sprechen – es könne aber noch vorkommen, dass er als „alter weißer Mann“manchmal in ererbte, also männlich dominierte Floskeln zurückfalle.
Im Aesculap-Mutterkonzern stellt man sich ebenfalls um: „Bei B. Braun wird Vielfalt groß geschrieben. Daher gendern wir von Seiten der Unternehmenskommunikation sehr konsequent in unseren internen Medien“, sagt Sprecherin Mechthild Claes in Melsungen. Allerdings gebe es „keine Vorgabe für Mitarbeiter*innen, sondern es ist allen selbst überlassen“. Die Erfahrung zeige aber, „dass immer mehr Mitarbeiter*innen das Thema aufgreifen und zum Beispiel das Gendersternchen in ihrer alltäglichen Kommunikation verwenden“.
Der Presseprecher der IHK Schwarzwald-Baar-Heuberg, Christian Beck, ist ebenfalls sensibilisiert. Er weiß um den Wandel in der Sprache, wenn er mit seinen Kolleginnen und Kollegen in den bundesweit 79 IHKs netzwerkt. Er liest selber vermehrt Texte in allen möglichen Publikationen und sieht in der Gender- auch eine Generationendebatte: Jüngere Leute, die Digital
Natives, die mit Laptop und Smartphone groß werden, sprechen und schreiben anders als ältere.
„Die Diskussion ist heftig im Gange“, beschreibt er, der schon lange im Geschäft ist. Und er sieht Vor- und Nachteile in den neuen Sprach- und Schreibmöglichkeiten. Ja, es geht darum, Frauen mehr vorkommen zu lassen, und nein, es ist nicht immer einfach, konsequent zu gendern. „Die Lesbarkeit spielt eine große Rolle.“
Manche Idee findet er „nicht ganz geglückt“, andere Vorschläge kann er gut nachvollziehen. Auch in seiner IHK gibt es keine offiziellen Richtlinien, keinen entsprechenden Beschluss, aber das Thema rollte auf die Firmen zu: „Der Prozess ist im vollen Gange.“Und ja, er spürt in vielen Unternehmen, dass die Bereitschaft zu Änderungen da sei. Schließlich waren es die Arbeitgeber, die schon vor vielen Jahren, als das Wort Gendern noch unbekannt war, als erste gegendert haben: Als aus dem Lehrling der oder die Auszubildende wurde.