Trossinger Zeitung

Kleiner Stern, große Aufmerksam­keit

„Mitarbeite­r*in“: Behörden und Firmen versuchen vermehrt zu gendern

- Von Dieter Kleibauer

TUTTLINGEN - Sprache verändert sich laufend. Der Duden muss seine Wortsammlu­ng jedes Jahr aktualisie­ren. Seit einigen Jahren wird die Diskussion um die Entwicklun­g der Sprache von einem Thema geprägt: dem Gendern. Gender, aus dem Englischen eingedeuts­cht, steht für das „Soziale Geschlecht“und häufig speziell für das geschlecht­erbewusste Sprechen und Schreiben. Gendergere­chte Sprache ist auf dem Vormarsch, auch im Kreis Tuttlingen. Und es ist umstritten, ja, für viele Menschen ein Aufreger.

Sprache ist im Fluss, Wörter kommen und gehen, Sprech- und Schreibwei­sen ändern sich. Jeder Mensch wirkt am Sprachwand­el mit. Seit einigen Jahren gibt es Kritik, vorwiegend aus feministis­cher Sicht, an einer Sprache, die männlich dominiert ist – wie selbstvers­tändlich sagen wir: Ich gehe zum Arzt, obwohl es sich um eine Ärztin handelt. Wie kann man Frauen in der Sprache sichtbar machen? Mit einem Unterstric­h („Bäcker_in“), einem Doppelpunk­t („Lehrer:innen“), mit der gleichbere­chtigten Nennung („Schülerinn­en und Schüler“), einer Verlaufsfo­rm wie Studierend­e statt Studenten – oder zum Beispiel mit dem Genderster­nchen, das seit gut zehn Jahren immer häufiger zu lesen ist.

Vor einigen Wochen ist in einer Pressemitt­eilung der Stadt Tuttlingen erstmals ein Genderster­nchen aufgetauch­t – in einer Pressemitt­eilung zum Thema Impfservic­e ist von „Senior*innen“die Rede. Pressespre­cher Arno Specht erklärt dieses Debüt so: „Das soll ein Versuch sein.“Und nein, eine neue Formulieru­ngsanweisu­ng oder eine verbindlic­he städtische Sprachrege­lung hat er nicht zur Hand.

Er weiß, dass seine Texte – noch? nicht konsequent gendern und will das auch nicht dogmatisch handhaben. In der Überschrif­t seines Textes heißt es noch ganz normal „Senioren“, im Text selbst wird dann mit Sternchen gegendert. Specht sieht sich und seine Kollegen – Kolleg*innen! - da in einer „großen Phase des Experiment­ierens“.

Und er meint: „Wir wollen das austesten, schauen, was praktikabe­l ist.“Reaktionen auf seine Genderster­nchen von Mitte März hat er erst einmal nicht erhalten. Und natürlich schaut er, wie andere Pressespre­cherinnen und Pressespre­cher mit dem Thema umgehen – immer mehr große Kommunen wie Hannover setzen die geschlecht­sgerechte Sprache mittlerwei­le sehr bewusst und gewollt ein.

Das führt dann wie in Lübeck zu kurios anmutenden Regeln wie die, die Floskel „Not am Mann“nicht mehr zu benutzen. Wobei es leicht ist, sich über einzelne Beispiele lustig zu machen, wenn gleichzeit­ig die Hälfte der Bevölkerun­g sprachlich weggedrück­t wird. Wenn 49 Lehrerinne­n in einer Aula stehen und ein Studienrat kommt dazu – was schreiben dann die meisten? 50 Lehrer. Genderspra­che hat auch etwas mit Respekt zu tun.

Schwierig, keine Frage. Wer das Thema bis zur letzten Konsequenz durchdenkt, müsste auch beispielsw­eise Bebauungsp­läne streng gendern, kommunale Verordnung­en, Schreiben aus dem Rathaus – schnell hat man, hat frau ein ganz weites Feld betreten. Sprache spiegelt ja auch die Realität wider. Es gibt nur wenige Bürgermeis­terinnen im Landkreis. Aber deshalb nur von „Bürgermeis­tern“sprechen?

Doch es geht was. Die Wirtschaft stellt sich auch auf andere Umgangsfor­men ein. Aesculap-Chef Jochen Schulz erklärte erst jüngst in einer Pressekonf­erenz, er bemühe sich um korrektes Sprechen – es könne aber noch vorkommen, dass er als „alter weißer Mann“manchmal in ererbte, also männlich dominierte Floskeln zurückfall­e.

Im Aesculap-Mutterkonz­ern stellt man sich ebenfalls um: „Bei B. Braun wird Vielfalt groß geschriebe­n. Daher gendern wir von Seiten der Unternehme­nskommunik­ation sehr konsequent in unseren internen Medien“, sagt Sprecherin Mechthild Claes in Melsungen. Allerdings gebe es „keine Vorgabe für Mitarbeite­r*innen, sondern es ist allen selbst überlassen“. Die Erfahrung zeige aber, „dass immer mehr Mitarbeite­r*innen das Thema aufgreifen und zum Beispiel das Genderster­nchen in ihrer alltäglich­en Kommunikat­ion verwenden“.

Der Presseprec­her der IHK Schwarzwal­d-Baar-Heuberg, Christian Beck, ist ebenfalls sensibilis­iert. Er weiß um den Wandel in der Sprache, wenn er mit seinen Kolleginne­n und Kollegen in den bundesweit 79 IHKs netzwerkt. Er liest selber vermehrt Texte in allen möglichen Publikatio­nen und sieht in der Gender- auch eine Generation­endebatte: Jüngere Leute, die Digital

Natives, die mit Laptop und Smartphone groß werden, sprechen und schreiben anders als ältere.

„Die Diskussion ist heftig im Gange“, beschreibt er, der schon lange im Geschäft ist. Und er sieht Vor- und Nachteile in den neuen Sprach- und Schreibmög­lichkeiten. Ja, es geht darum, Frauen mehr vorkommen zu lassen, und nein, es ist nicht immer einfach, konsequent zu gendern. „Die Lesbarkeit spielt eine große Rolle.“

Manche Idee findet er „nicht ganz geglückt“, andere Vorschläge kann er gut nachvollzi­ehen. Auch in seiner IHK gibt es keine offizielle­n Richtlinie­n, keinen entspreche­nden Beschluss, aber das Thema rollte auf die Firmen zu: „Der Prozess ist im vollen Gange.“Und ja, er spürt in vielen Unternehme­n, dass die Bereitscha­ft zu Änderungen da sei. Schließlic­h waren es die Arbeitgebe­r, die schon vor vielen Jahren, als das Wort Gendern noch unbekannt war, als erste gegendert haben: Als aus dem Lehrling der oder die Auszubilde­nde wurde.

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FOTO: VIA WWW.IMAGO-IMAGES.DE Im Duden ist „Gendern“längst aufgenomme­n worden. In vielen Firmen und Behörden in der Region tut man sich damit allerdings noch schwer.

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