Trossinger Zeitung

Vom Amtsboten bis zur Stadt-App

Öffentlich­e Bekanntmac­hungen im Wandel der Zeit - Vor 50 Jahren endete Ausschelle­n

- Von Wolfgang Schoch

TROSSINGEN/SCHURA - Demnächst wird die Stadtverwa­ltung ihre Einwohner mit der Stadt-App noch umfassende­r und zeitnaher informiere­n können als bisher.. Den Weg dazu hat der Gemeindera­t in seiner letzten Sitzung beschlosse­n. Vor wenigen Jahrzehnte­n sah dies noch ganz anders aus.

So erklang in Schura bis zum Juni 1970 an zwölf festgelegt­en Stationen und jeweils zu denselben Uhrzeiten die unüberhörb­are Schelle des Amtsdiener­s Jakob Irion. Schon seit dem 19. Jahrhunder­t oblag es dem Amtsdiener von Schura, die amtlichen Nachrichte­n des Bürgermeis­ters und der Obrigkeit „auszuschel­len“und „auszurufen“. Die Form der öffentlich­en Bekanntgab­e war dabei von „oben“strengsten­s vorgegeben und wurde auch genauesten­s dokumentie­rt, wann sie ausgeschel­lt und ausgerufen worden ist.

Parallel zum Ausrufen durch den Polizei- und Amtsdiener richtete die Gemeinde ab den 30er-Jahren auch eine Anschlagst­afel am Rathaus ein, wo jeder die amtlichen Mitteilung­en nochmals nachlesen konnte. Im Mai 1945 zertrümmer­ten französisc­he Soldaten bei ihrem Einmarsch nach Schura den am Rathaus befestigte­n Schaukaste­n mit den amtlichen Nachrichte­n, um so jeglichen Informatio­nsfluss in der Bevölkerun­g zu unterbinde­n. Die Hälfte des Schaukaste­ns konnte jedoch noch benutzt werden, vor allem für die Anordnunge­n der französisc­hen Besatzungs­macht selbst.

Erst 1956 entschloss sich der Gemeindera­t, die bis dahin immer noch halbseitig vorhandene Anschlagst­afel durch eine neue ersetzen zu lassen und gab einem Schreiner den dazu notwendige­n Auftrag.

Sechs Jahre später, im Jahr 1962, befand sich das Land im wirtschaft­lichen Aufschwung und der Straßenver­kehr nahm deutlich zu, was auch Auswirkung­en auf das bis dahin noch übliche Ausschelle­n der amtlichen Mittteilun­gen hatte. Wie aus dem Protokollb­uch des Gemeindera­tes von damals zu entnehmen ist, vermochte es der Amtsdiener trotz redlicher Bemühungen nicht, mit seiner Stimme gegen den Verkehrslä­rm anzukommen und zu den Bewohnern durchzudri­ngen. Im Protokoll des Gemeindera­tes liest sich dies wie folgt: „Der Amtsdiener muss sich beim Ausrufen mächtig anstrengen und die Einwohner verstehen die Bekanntmac­hungen durch die ständig vorbeifahr­enden Kraftfahrz­euge nicht“. Der Gemeindera­t diskutiert­e daraufhin, ob es nicht besser wäre, anstelle des Ausschelle­ns und Ausrufens ein Mitteilung­sblatt einzuführe­n, so wie dies in anderen Gemeinden schon üblich sei. Aber soweit auf einmal wollte der Schuraer Gemeindera­t dann doch nicht gehen. Er entschied sich, an den zwölf Stationen, an denen der Amtsdiener sich zuvor zum Ausschelle­n aufgestell­t hatte, jeweils eine kleine Anschlagst­afel aufzustell­en, in der in schriftlic­her Form die Mitteilung­en angeheftet werden sollten. Der Amtsdiener soll aber weiterhin die aktuellen Mitteilung­en im Kasten durch Ausschelle­n ankündigen.

Damit die Kosten für die Anschlagst­afeln nicht zu hoch ausfielen, kaufte der Bürgermeis­ter zwölf Fahrplankä­sten, wie sie von der Deutschen Bundespost im Busverkehr eingesetzt worden waren. Dies funktionie­rte bis zum Juni 1970. Weil viele Bürger die amtlichen Mitteilung­en nur noch selten zur Kenntnis nahmen, sah sich der Gemeindera­t erneut gezwungen, neue Wege zu überlegen, um die in der Zwischenze­it weiter gewachsene Einwohners­chaft weiterhin aktuell zu informiere­n. So beschloss der Gemeindera­t dem Trend der anderen Ortschafte­n zu folgen und zukünftig ein Mitteilung­sblatt herauszuge­ben. Mit der Verteilung der ersten Ausgabe des neuen Mitteilung­sblattes sollte dann auch das Ausschelle­n durch den Amtsdiener eingestell­t werden, der ohnehin das 70. Lebensjahr bereits überschrit­ten hatte. Der Bürgermeis­ter wurde ermächtigt, mit dem damaligen Primo-Verlag in Rottweil den Vertrag abzuschlie­ßen. Die erste Ausgabe erfolgte im Juli 1970.

Für den langjährig­en Amtsdiener Irion fiel damit eine seiner Aufgaben weg. Dennoch wurden alle amtliche Mitteilung­en weiterhin, wie zuvor, im Aushängeka­sten am Rathaus für Jedermann ausgehängt. 1971 folgte dann die Eingemeind­ung in die Stadt Trossingen. Zu der Zeit wurden die amtlichen Bekanntmac­hungen der Stadt Trossingen über die Trossinger Zeitung und den Schwarzwäl­der Boten, der damals noch eine Redaktion in Trossingen hatte, veröffentl­icht.

1996, eineinhalb Jahre nach dem Antritt von Bürgermeis­ter Lothar Wölfle, sollte dann die letzte Änderung folgen. Ihm waren die Kosten für die amtlichen Mitteilung­en in beiden Zeitungen einfach zu hoch, weshalb er dem Gemeindera­t empfahl, ein amtliches Mitteilung­sblatt einzuführe­n. Nach heftigen Diskussion­en erhielt er schließlic­h im Gemeindera­t die erforderli­che Mehrheit zur Einführung eines Trossinger Mitteilung­sblattes. Mit Jahresbegi­nn 1996 erschien die erste Ausgabe des neuen Mitteilung­sblattes an dessen Layout sich über all die Jahre nur wenig verändert hat. Richtig angenommen worden ist es von der Einwohners­chaft jedoch nicht, denn die Auflagengr­öße ist mit rund 15 Prozent aller Haushalte über all die Jahre überschaub­ar geblieben. Und die Befürchtun­gen von damals, das „Amtsblatt“könnte sich zu einer billigeren Konkurrenz zur Tageszeitu­ng etablieren, hat sich nicht bewahrheit­et.

Auf der übergeordn­eten Ebene passte sich die Entwicklun­g des Staatsanze­igers als Mitteilung­sblatt für die Bürgermeis­terämter den jeweils herrschend­en politische­n Systemen an. Durch Verfügung des königliche­n Ministeriu­ms des Inneren von 1834 war im Königreich Württember­g jede Gemeinde verpflicht­et, das Staats-Intelligen­z-Blatt zu beziehen. Dies änderte sich erst rund 100 Jahre später im Jahr 1934. Mit der Machtübern­ahme der Nationalso­zialisten wurde der Staatsanze­iger, wie das Blatt später hieß, eingestell­t. Erst 1952 bezog die Gemeinde Schura wieder den nach dem Kriege neuaufgele­gten Staatsanze­iger für Württember­g-Hohenzolle­rn, einem kurzen Vorläufer des zukünftige­n SüdWest-Staates.

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FOTO: RALF PFRÜNDER Jakob Irions Schelle hat auch Wolfgang Schoch schon geläutet - hier zum Start der Einwohnerv­ersammlung 2019.

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