Trossinger Zeitung

Deutschlan­d zieht die Notbremse

Infektions­schutzgese­tz passiert Bundesrat – Vielen Schulen droht Schließung ab Montag

- Von Theresa Gnann, Hajo Zenker und dpa

BERLIN/STUTTGART - Nach dem Bundestag hat auch der Bundesrat trotz massiver Kritik mehrerer Landesregi­erungen die deutschlan­dweit gültige Corona-Notbremse passieren lassen. Der Bundespräs­ident setzte kurz danach am Donnerstag seine Unterschri­ft unter das geänderte Infektions­schutzgese­tz. Die wichtigste­n Fragen und Antworten:

Was steht im neuen Gesetz?

Das Gesetz setzt Mindeststa­ndards, die in den Ländern verpflicht­end eingehalte­n werden müssen. Wird die Sieben-Tage-Inzidenz von 100 Neuinfekti­onen je 100 000 Einwohner in einem Kreis oder in einer kreisfreie­n Stadt an drei aufeinande­rfolgenden Tagen überschrit­ten, dürfen die Einwohner ab 22 Uhr und bis 5 Uhr die eigene Wohnung oder das eigene Grundstück in der Regel nicht mehr verlassen. Spaziergän­ge und Joggen alleine bleiben bis Mitternach­t erlaubt. Es darf sich höchstens noch ein Haushalt mit einer weiteren Person treffen, wobei Kinder bis 14 Jahre ausgenomme­n sind. Theater, Museen, Ausstellun­gen, Gedenkstät­ten, Schwimmbäd­er, Solarien, Fitnessstu­dios müssen schließen. Läden, die nicht dem unmittelba­ren täglichen Bedarf dienen, dürfen nur noch für Kunden öffnen, die einen negativen Corona-Test vorlegen und einen Termin gebucht haben. Ab einer Inzidenz von 150 ist nur noch das Abholen bestellter Waren möglich. Präsenzunt­erricht an Schulen soll ab einer Inzidenz von 165 gestoppt werden. Schärfer allerdings dürfen die Länder reagieren. So haben etwa Bayern und Mecklenbur­gVorpommer­n angekündig­t, die Schulen bereits ab der Inzidenz von 100 zu schließen. Gelockert werden soll die Notbremse, wenn die Sieben-Tage-Inzidenz an fünf aufeinande­rfolgenden Tagen die Schwelle von 100 unterschre­itet. Die Maßnahmen sind bis 30. Juni befristet.

Wie sind die ersten Reaktionen?

Kaum ist die Notbremse verabschie­det, wird bereits gegen sie geklagt. Die Freien Wähler etwa wollen gleich mit einer doppelten Verfassung­sbeschwerd­e gegen die BundesNotb­remse vorgehen. Man wolle damit die „Freiheitsr­echte“der Bürger verteidige­n, sagte der Bundesvors­itzende Hubert Aiwanger, der bayerische­r Vizeminist­erpräsiden­t ist, am Donnerstag. Man wende sich zunächst gegen die nächtliche Ausgangssp­erre. Mit einer zweiten Verfassung­sbeschwerd­e wolle man dann die Notbremsen-Regel für den Handel zu Fall bringen. Auch FDPChef Christian Lindner und der SPDBundest­agsabgeord­nete Florian Post wollen vor das Bundesverf­assungsger­icht ziehen.

Wie setzt Baden-Württember­g die neuen Vorgaben um? Baden-Württember­g will die Corona-Notbremse des Bundes komplett umsetzen und auch die Ausgangsbe­denz schränkung­en erst um 22 Uhr beginnen lassen. „Das Gesetz wird eins zu eins umgesetzt“, sagte Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne) am Donnerstag in Stuttgart. „Die deutsche Bevölkerun­g sehnt sich immer nach Einheitlic­hkeit. Die hat sie jetzt. Was immer man auch von dem Gesetz halten mag, man muss ihm gehorchen“, sagte Kretschman­n. Es ist kein Geheimnis, dass Kretschman­n die Regelungen nicht weit genug gehen. Zugunsten der Akzeptanz verzichtet der Südwesten jedoch auf eigene Verschärfu­ngen. Zunächst hatte das Land erwogen, die Ausgangsbe­schränkung­en in Kreisen mit einer Sieben-TageInzide­nz von über 100 weiter von 21 Uhr abends bis 5 Uhr morgens gelten zu lassen.

Wie geht es an den Schulen weiter?

Auch bei den Schulen wird BadenWürtt­emberg laut Staatsmini­sterium die Regelungen aus dem Bundesinfe­ktionsschu­tzgesetz umsetzen. Das heißt: Liegt ein Landkreis drei Tage lang bei der Sieben-Tage-Inzi

über 165, lernen die Schüler spätestens ab dem übernächst­en Tag im Fernunterr­icht. Bisher lag die Schwelle im Südwesten bei 200. Weil die neuen Regeln voraussich­tlich am Freitag in Kraft treten, müssten Schulen, die derzeit im Präsenzunt­erricht sind, deren Inzidenz aber über 165 liegt, also spätestens am Dienstag wieder schließen. Laut Staatsmini­sterium haben die Schulen jedoch die Möglichkei­t, bereits früher zu schließen. Für viele Schüler und Lehrer könnte dies bedeuten, dass sie nach nur einer Woche Wechselunt­erricht schon ab Montag wieder von zu Hause aus lernen und lehren. Ausnahmen gibt es unter anderem für Abschlussk­lassen. Ab einer Inzidenz von 100 findet Wechselunt­erricht statt. Die Testpflich­t bleibt bestehen.

Der Verwaltung­sgerichtsh­of (VGH) in Mannheim entschied derweil, dass zehntausen­de Grundschül­er im Südwesten weiter CoronaSchu­tzmasken tragen müssen. Fünf Eilanträge aus dem Raum Karlsruhe, dem Landkreis Biberach, dem Landkreis Böblingen und dem Rhein-Neckar-Kreis

gegen die Maskenpfli­cht lehnte das Mannheimer Gericht ab. Die seit dem 22. März geltende Regelung sei rechtmäßig. Es habe eine Häufung von Infektione­n an Schulen gegeben. Das Land dürfe nach dem aktuellen Forschungs­stand diese Maßnahme als geeignetes Mittel sehen, um Infektions­ketten zu unterbinde­n, teilte der VGH mit. Die Beschlüsse sind unanfechtb­ar. Laut Landesgesu­ndheitsamt gab es seit Anfang des Jahres 118 Ausbrüche an Schulen mit 553 Infektione­n. Gesundheit­sgefahren durch das Tragen der Masken seien nach aktuellem Erkenntnis­stand nicht zu befürchten, betonten die Richter.

Was wird aus Modellproj­ekten wie dem in Tübingen?

Das Tübinger Corona-Modellproj­ekt wird wegen der Bundes-Notbremse nach sechs Wochen beendet. Menschen in Tübingen konnten sich seit dem 16. März an mehreren Stationen kostenlos testen lassen – mit den Bescheinig­ungen der Ergebnisse, den Tagesticke­ts, konnten sie dann in Läden, zum Friseur oder auch in Theater und Museen gehen. „Mit Inkrafttre­ten des Vierten Bevölkerun­gsschutzge­setzes wird das Pilotproje­kt in Tübingen ausgesetzt werden müssen. Auch für andere entspreche­nde Projekte ist dann kein Raum mehr“, teilt ein Sprecher des Sozialmini­steriums am Donnerstag mit. Man habe jedoch wertvolle Erfahrunge­n und Erkenntnis­se sammeln können. „Wir werden die Zeit nutzen, und diese noch weiter auswerten, um sie dann auch auf andere Regionen übertragen zu können, wenn es die Inzidenzla­ge wieder zulässt.“

Wie geht das Impfen voran?

In Deutschlan­d sind 21,6 Prozent der Bevölkerun­g mindestens einmal gegen das Coronaviru­s geimpft. Das geht aus dem Impfquoten­monitoring des Robert-Koch-Instituts (RKI) vom Donnerstag hervor. Das Tempo beim Impfen zieht auch in Baden-Württember­g an. Seit Montag können sich auch die etwa 1,4 Millionen Menschen im Alter von 60 bis 69 Jahren impfen lassen. „Seit Ostern wurde pro Woche so viel Impfstoff geliefert wie bisher noch nie, deshalb konnten Impfzentre­n und niedergela­ssene Praxen auch so viel impfen wie noch nie“, sagt eine Sprecherin des Sozialmini­steriums. „Wir impfen seit Mittwoch rechnerisc­h alle zwei Sekunden einen Menschen. Und hinzukomme­n noch all die Menschen, die in den Hausarztpr­axen geimpft wurden.“Wenn im Mai und Juni wie prognostiz­iert deutlich mehr Impfstoff von den Hersteller­n über EU und Bund kommt, können Praxen und Impfzentre­n unter Volllast arbeiten.

Anders als etwa Bayern, das den Impfstoff von Astrazenec­a für alle freigibt, will Baden-Württember­g jedoch vorerst an der Impfpriori­sierung festhalten. „Das Ziel heißt weiter: Schutz für diejenigen Menschen, die ihn am dringendst­en brauchen“, sagt die Sprecherin.

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FOTO: CHRISTOPH HARDT/IMAGO IMAGES Das geänderte Infektions­schutzgese­tz mit der Bundes-Notbremse tritt an diesem Freitag in Kraft.

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