Impfen: Firmen könnten sofort loslegen
Vorbereitungen sind getroffen, klare Aussagen der Politik und Impfstoff fehlen bislang aber
KREIS TUTTLINGEN - Seit Monaten läuft es zäh, doch bald könnten die Impfungen Fahrt aufnehmen: Die Bild-Zeitung berichtete am Donnerstag, dass die Impfpriorisierung Ende Mai fallen soll. Auch die Betriebe im Kreis Tuttlingen könnten dann ihre Mitarbeiter intern impfen lassen. Die großen Unternehmen sind vorbereitet, fühlen sich jedoch von der Politik im Stich gelassen – und finden zum Teil deutliche Worte.
„Es wird sich ähnlich verhalten wie mit den Corona-Schnelltests, bei denen die Unternehmen für die Misswirtschaft und Tatenlosigkeit unseres Gesundheitsministeriums geradestehen müssen“, fasst es Udo Hipp, Marketingleiter des Maschinenbauunternehmens Hermle aus Gosheim zusammen. Was das Unternehmen ärgert, sind die unklaren Aussagen und Vorgaben des Ministeriums. An den Vorbereitungen auf Firmenseite mangle es nicht, so Hipp. Ein Gebäudeteil wurde eigens für die Impfungen vorbereitet, man habe sich dabei an anderen Impfzentren orientiert. Zudem stehe das Unternehmen seit geraumer Zeit mit dem Betriebsarzt in Kontakt. Klar sei: Sobald es Impfdosen gebe, werde geimpft. „Wir warten nur noch auf eine verlässliche Aussage des Gesundheitsministeriums, wann mit einer Impfstoffversorgung gerechnet werden kann“, sagt Hipp.
Ganz ähnlich ist das bei vielen anderen großen Unternehmen im Landkreis. „Wir stehen Gewehr bei Fuß“, sagt etwa Andreas Hupe, kaufmännischer Leiter beim Medizintechnikunternehmen KLS Martin in Tuttlingen. Das Schulungszentrum werde zum Impfzentrum umfunktioniert, möglichst an wenigen, festen Terminen sollen darin die 600 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter geimpft werden. Die Branchenkollegen Aesculap und Karl Storz mit jeweils fast 3000 Mitarbeitern sowie die Kreissparkasse mit 500 Beschäftigten oder der Automobilzulieferer Marquardt in Rietheim-Weilheim sind ebenfalls vorbereitet. Karl Storz hat nach eigenen Angaben die Beschäftigten schon über Videos über das Impfen informiert.
Nur wann geht es los? Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hatte in Medienstatements wieder darauf verwiesen, dass es derzeit noch nicht genug Impfstoff für Impfungen in Betrieben gebe. Allerdings: „Die offizielle Informationslage gegenüber Unternehmen und Betriebsärzten ist leider nicht nur dürftig sondern schlicht nicht existent“, kritisiert Markus Hänssler, Geschäftsführer von Hewi in Spaichingen. Sein Unternehmen verfüge wie viele andere große Betriebe „über langjährige Erfahrungen zur Organisation und Durchführung von Impfungen“, jedes Jahr werde die Grippeschutzimpfung angeboten. Hänssler meint: „Unser Eindruck ist, dass vieles sehr viel schneller und effizienter erfolgen könnte, wenn der Staat die Organisation und Durchführung der Impfkampagne weniger stark regulieren würde.“
Dazu dürfte auch die Priorisierung nach Altersgruppen gehören, die nach neuesten Medienberichten wohl bald wegfallen soll. Für Arno Specht, Pressesprecher der Stadt Tuttlingen, ist das für die Betriebsimpfungen nur logisch: „Es gibt ja nur sehr wenige Beschäftigte Ü70 oder Ü80, die noch in Unternehmen arbeiten. Und auch nur wenige über 60 Jahre. Da macht es keinen Sinn mehr zu sortieren.“Für die Stadtverwaltung mit etwa 650 Mitarbeitern stehe das Impfen zwar auf der To-doListe, noch hätten allerdings die Schnelltests Vorrang.
Auf unsere Anfrage zu Beginn der Woche waren viele Unternehmen darauf vorbereitet, an der Reihenfolge der Ständigen Impfkommission festzuhalten. Bei Hewi etwa bedeutet das: zunächst über Sechzigjährige, dann Schwerbehinderte und Ersthelfer, anschließend Personen, die regelmäßig mit Besuchern in Kontakt kommen, Personen, die intern in wechselnden Abteilungen tätig sind wie Hausmeister, ebenso Engpassabteilungen. Dann Abteilungen, die nicht übers Homeoffice ausweichen können, und so weiter.
Wenn der Impfstoff ohne staatliche Priorisierung abgegeben wird, werden die Unternehmen andere Reihenfolgen festlegen, so etwa bei Karl Storz: „Dann haben unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die ausschließlich vor Ort arbeiten, Priorität bei den zur Verfügung stehenden Impfdosen“, heißt es.
Selbst wenn Impfstoff zur Verfügung steht, ist übrigens eine weitere
Frage noch nicht geklärt: Wer übernimmt die Kosten? „Aktuell gehen wir davon aus, dass zumindest der Impfstoff kostenlos zur Verfügung gestellt wird. Auf den Kosten des Betriebsarztes und der Fachhelfer werden aber vermutlich die Unternehmen sitzen bleiben“, schätzt Udo Hipp von Hermle. Marquardt wäre gegebenenfalls zur Kostenübernahme bereit, „da die Gesundheit und Sicherheit unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an vorderster Stelle steht“, teilt Pressesprecher Ulrich Schumacher mit. Auch die Stadt Tuttlingen ist bei diversen CoronaVerpflichtungen in Vorleistung gegangen. Allerdings sei es die Stadtverwaltung in dieser Pandemie inzwischen gewohnt, „sich immer wieder auf Neues einzustellen“, so Specht. Er meint: „Wir werden auch das mit den Impfungen hinkriegen.“
Wenn dann feststeht, wer wo wann wie viel Impfstoff bekommt, müssen die Mitarbeiter nur noch mitmachen. Zumindest bei Aesculap ist man da zuversichtlich: „Wir vertrauen auf eine hohe Impfbereitschaft bei unseren Beschäftigten“, teilt ein Sprecher mit.