Mit Hurra ins Wasserstoffzeitalter
Wasserstoff gilt als Hoffnungsträger für die Wirtschaft im Südwesten – Doch das Projekt muss endlich Fahrt aufnehmen
RAVENSBURG - Baden-Württemberg soll in der Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie weltweit Vorreiter werden. Fast auf den Tag genau vor einem Jahr hatte Umweltminister Franz Untersteller (Grüne) seinen Kabinettskollegen eine neue Welt skizziert, in der der Verkehr, die Industrie oder der Wärmesektor fast vollständig ohne schädliche Treibhausgasemissionen auskommen können. Untersteller kündigte damals eine Wasserstoff-Roadmap für das Land an, die das Kabinett im Dezember schließlich beschlossen hat. Die Kernpunkte: Infrastruktur ausbauen, Forschung fördern und Unternehmen unterstützen.
Bis zu 16 000 neue Arbeitsplätze und ein Umsatzvolumen von neun Milliarden Euro im
Jahr 2030 stellte der Umweltminister durch den Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft für Baden-Württemberg in Aussicht. Doch die Zeit dränge, mahnte Untersteller. Die nächsten zwei bis fünf Jahre seien entscheidend, welche Rolle der Südwesten im zukünftig entstehenden Weltmarkt für Wasserstoff- und Brennstoffzellen einnehmen werde.
Seitdem ist es um die ambitionierten Ziele des Landes recht still geworden. Hinter den Kulissen wird zwar an der Entwicklung und Umsetzung bis hin zum Markthochlauf von Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologien gearbeitet. Mehr als 90 Unternehmen und 18 Forschungseinrichtungen sind derzeit landesweit mit der Thematik befasst. Doch der letzte Biss, so scheint es, fehlt.
Wasserstoff gilt, sofern er durch Strom aus erneuerbaren Energien wie Wind oder Sonne gewonnen wird, als Energieträger der Zukunft, denn er ist CO2-frei. Das Gas dient dabei als Zwischenspeicher für grünen Strom, mit dem dann vor Ort Elektrizität und Wärme erzeugt, aber auch Fahr- und Flugzeuge sowie Industrieanlagen angetrieben werden können. Es gibt bereits etliche ausgereifte Möglichkeiten, grünen Wasserstoff herzustellen. Allerdings produzieren die Anlagen, die von der Größe her vom Kühlschrank bis zum Industrieformat reichen können, bisher nur kleine Mengen, weshalb der Stoff im Vergleich zu fossilen Energieträgern mit einem Kilopreis von 5,50 Euro noch sehr teuer ist. Dank stark sinkender Preise für Ökostrom und steigender CO2-Emissionskosten könnte grüner Wasserstoff ab 2030 aber preislich mit fossilen Energieträgern mithalten.
Von diesen Aussichten will Baden-Württemberg profitieren – nicht als Produzent, sondern als Lieferant der dafür notwendigen Systeme und Anlagen. „Bedeutendes Know-how für die Komponenten der Wasserstofftechnik ist im Südwesten vorhanden“, bescheinigt Uwe Weichenhain, Partner bei der Unternehmensberatung Roland Berger, der hiesigen Wirtschaft. Nun komme es aber darauf an, weiter zu investieren, um im internationalen Wettbewerb konkurrenzfähig zu bleiben. Vor allem in Asien machen Länder wie China und Japan ernst mit einer eigenen Wasserstoffstrategie und lenken enorme staatliche Mittel in die Technologie. Deren Vorteil ist zudem, dass entsprechende Produkte, etwa Brennstoffzellen-Pkws, bereits auf dem Markt sind und der daraus generierte Erfahrungsschatz in die Weiterentwicklung der Technologie fließen. Doch ohne einen Heimatmarkt können auch die Unternehmen im Südwesten nicht zu den weltweiten Anbietern dieser Zukunftstechnik werden.
„Aktuell müssen für eine Kommerzialisierung zwei große Themen gelöst werden“, sagt Christian Mohrdieck, Geschäftsführer von Cellcentric, einem Gemeinschaftsunternehmen von Daimler Truck und Volvo, das Brennstoffzellensysteme für mobile und stationäre Anwendungen zur Marktreife bringen will. „Die Kosten müssen runter. Dafür brauchen wir eine Großserienfertigung. Und die Infrastruktur muss besser werden. Dafür brauchen wir ein hinreichend dichtes Netz von Wasserstofftankstellen.“Die Kostenproblematik bekomme die Industrie in den Griff, für die Infrastruktur jedoch müssten weiter Partner an Bord. „Da hilft die Wasserstoffstrategie der Landesregierung“, sagt Mohrdieck, der schon seit mehr als zwei Jahrzehnten an der Brennstoffzelle forscht.
Cellcentric will noch in diesem Jahrzehnt eine Brennstoffzellenfabrik in Deutschland aufbauen, vorzugsweise in Baden-Württemberg, wie Mohrdieck sagt, in der vollautomatisch eine hohe fünfstellige Zahl solcher Aggregate vom Band laufen. Gelingt es, eine kosteneffiziente Fertigung zu etablieren und grünen Wasserstoff zur Hälfte der aktuellen Produktionskosten herzustellen, sei die Brennstoffzelle im Schwerlastverkehr nicht teurer als ein Dieselantrieb, prognostiziert Mohrdieck.
Um die Herausforderungen bei der industriellen Produktion zu bewältigen arbeitet Cellcentric eng mit Forschungseinrichtungen zusammen, unter anderem mit dem Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoffforschung (ZSW) in Ulm. Das ZSW baut mit Fördermillionen von Land und Bund gerade eine Brennstoffzellenforschungsfabrik in der Donau-Stadt auf (Hyfab), in der schnelle, vollautomatisierte und präzise Fertigungs- und Qualitätssicherungsverfahren für Brennstoffzellenstapel – sogenannte Stacks – in Kooperation mit Industriepartnern entwickelt und erprobt werden können. Ein üblicher Stack besteht aus 400 Einzelzellen, die Stück für Stück aufgestapelt werden, erklärt Frank Häußler, stellvertretender Fachgebietsleiter Brennstoffzellen-Stacks am ZSW. Ziel sei es, bei der Produktion eine Zehn-Hertz-Taktung hinzubekommen. Übersetzt heißt das: Ein Durchsatz von zehn Einzelzellen pro Sekunde, „ohne einen einzigen Fehler“, sagt Häußler.
Technisch sei das machbar. Doch man müsse jetzt den Willen haben, voranzugehen, zu machen. „Wenn wir weiter kleine Brötchen backen werden die Asiaten davonziehen“, fürchtet Häußler. Deutschland könnte bei der Brennstoffzellentechnologie
dann das Gleiche passieren wie schon bei der Batterietechnologie.
Nach Meinung von Peter Hedrich, der im Jahr 1999 im Auftrag von Daimler und seinem kanadischen Partner Ballard Power die weltweit erste Brennstoffzellenfabrik mitgebaut hat und aktuell unter anderem als Berater des Hyfab in Ulm gefragt ist, mangelt es hierzulande vor allem am Technologietransfer von der Forschung in die Serienproduktion sowie an der Bereitschaft und dem Durchhaltewillen großer Konzerne. Bis heute gibt es Hedrich zufolge außer in China kein Werk, das Brennstoffzellen in Großserien herstellt.
Wie sehr sich Asien, insbesondere China, schon zum globalen Gravitationszentrum für die Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie gemausert hat, zeigt nicht zuletzt das Beispiel Bosch. Der Automobilzulieferer hat sich jüngst mit einem Partner in China verbündet und will im Reich der Mitte eine Großserienproduktion für Brennstoffzellensysteme aufbauen und damit „möglichst alle chinesischen Fahrzeughersteller beliefern“.
„Entweder wir ziehen da mit und produzieren auch in Baden-Württemberg schnellstmöglich in Serie, oder wir müssen künftig von dort einkaufen“, sagt Thomas Gschwind, Referent für Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie sowie Elektromobilität beim Umweltministerium in Stuttgart. Noch sei das Knowhow in Baden-Württemberg vorhanden, doch nun gelte es, rasch von der weitestgehenden Manufaktur- in die Großserienproduktion zu wechseln. An Fördergeldern, so scheint es, droht der Aufbruch ins Wasserstoffzeitalter nicht zu scheitern. Rund 100 Millionen hat das Umweltministerium in Stuttgart bereits für Wasserstoffund Brennstoffzellenprojekte locker gemacht. Perspektivisch dürften weitere Mittel zur Verfügung stehen, hofft Gschwind.
Und auch die Bundesregierung zeigt sich spendabel. Sie hatte Mitte des vergangenen Jahres eine nationale Wasserstoffstrategie vorgestellt und eine Förderung im Umfang von neun Milliarden Euro angekündigt.
Das ist nicht zu viel, lässt Uwe Burkert, Chefvolkswirt und Leiter des Bereichs Research bei der Landesbank Baden-Württemberg, durchblicken. Der Wasserstoffmarkt wird langfristig zweifelsfrei sehr bedeutend und die deutsche Wirtschaft könne davon profitieren, prognostiziert der Banker. Doch bedarf es bei Subventionen und Zuschüssen vonseiten der Politik und der Hersteller „tiefer Taschen und viel Geduld“. Das Rennen um die Zukunftstechnologie ist in vollem Gange.