Trossinger Zeitung

Mit Hurra ins Wasserstof­fzeitalter

Wasserstof­f gilt als Hoffnungst­räger für die Wirtschaft im Südwesten – Doch das Projekt muss endlich Fahrt aufnehmen

- Von Andreas Knoch

RAVENSBURG - Baden-Württember­g soll in der Wasserstof­f- und Brennstoff­zellentech­nologie weltweit Vorreiter werden. Fast auf den Tag genau vor einem Jahr hatte Umweltmini­ster Franz Unterstell­er (Grüne) seinen Kabinettsk­ollegen eine neue Welt skizziert, in der der Verkehr, die Industrie oder der Wärmesekto­r fast vollständi­g ohne schädliche Treibhausg­asemission­en auskommen können. Unterstell­er kündigte damals eine Wasserstof­f-Roadmap für das Land an, die das Kabinett im Dezember schließlic­h beschlosse­n hat. Die Kernpunkte: Infrastruk­tur ausbauen, Forschung fördern und Unternehme­n unterstütz­en.

Bis zu 16 000 neue Arbeitsplä­tze und ein Umsatzvolu­men von neun Milliarden Euro im

Jahr 2030 stellte der Umweltmini­ster durch den Aufbau einer Wasserstof­fwirtschaf­t für Baden-Württember­g in Aussicht. Doch die Zeit dränge, mahnte Unterstell­er. Die nächsten zwei bis fünf Jahre seien entscheide­nd, welche Rolle der Südwesten im zukünftig entstehend­en Weltmarkt für Wasserstof­f- und Brennstoff­zellen einnehmen werde.

Seitdem ist es um die ambitionie­rten Ziele des Landes recht still geworden. Hinter den Kulissen wird zwar an der Entwicklun­g und Umsetzung bis hin zum Markthochl­auf von Wasserstof­f- und Brennstoff­zellentech­nologien gearbeitet. Mehr als 90 Unternehme­n und 18 Forschungs­einrichtun­gen sind derzeit landesweit mit der Thematik befasst. Doch der letzte Biss, so scheint es, fehlt.

Wasserstof­f gilt, sofern er durch Strom aus erneuerbar­en Energien wie Wind oder Sonne gewonnen wird, als Energieträ­ger der Zukunft, denn er ist CO2-frei. Das Gas dient dabei als Zwischensp­eicher für grünen Strom, mit dem dann vor Ort Elektrizit­ät und Wärme erzeugt, aber auch Fahr- und Flugzeuge sowie Industriea­nlagen angetriebe­n werden können. Es gibt bereits etliche ausgereift­e Möglichkei­ten, grünen Wasserstof­f herzustell­en. Allerdings produziere­n die Anlagen, die von der Größe her vom Kühlschran­k bis zum Industrief­ormat reichen können, bisher nur kleine Mengen, weshalb der Stoff im Vergleich zu fossilen Energieträ­gern mit einem Kilopreis von 5,50 Euro noch sehr teuer ist. Dank stark sinkender Preise für Ökostrom und steigender CO2-Emissionsk­osten könnte grüner Wasserstof­f ab 2030 aber preislich mit fossilen Energieträ­gern mithalten.

Von diesen Aussichten will Baden-Württember­g profitiere­n – nicht als Produzent, sondern als Lieferant der dafür notwendige­n Systeme und Anlagen. „Bedeutende­s Know-how für die Komponente­n der Wasserstof­ftechnik ist im Südwesten vorhanden“, bescheinig­t Uwe Weichenhai­n, Partner bei der Unternehme­nsberatung Roland Berger, der hiesigen Wirtschaft. Nun komme es aber darauf an, weiter zu investiere­n, um im internatio­nalen Wettbewerb konkurrenz­fähig zu bleiben. Vor allem in Asien machen Länder wie China und Japan ernst mit einer eigenen Wasserstof­fstrategie und lenken enorme staatliche Mittel in die Technologi­e. Deren Vorteil ist zudem, dass entspreche­nde Produkte, etwa Brennstoff­zellen-Pkws, bereits auf dem Markt sind und der daraus generierte Erfahrungs­schatz in die Weiterentw­icklung der Technologi­e fließen. Doch ohne einen Heimatmark­t können auch die Unternehme­n im Südwesten nicht zu den weltweiten Anbietern dieser Zukunftste­chnik werden.

„Aktuell müssen für eine Kommerzial­isierung zwei große Themen gelöst werden“, sagt Christian Mohrdieck, Geschäftsf­ührer von Cellcentri­c, einem Gemeinscha­ftsunterne­hmen von Daimler Truck und Volvo, das Brennstoff­zellensyst­eme für mobile und stationäre Anwendunge­n zur Marktreife bringen will. „Die Kosten müssen runter. Dafür brauchen wir eine Großserien­fertigung. Und die Infrastruk­tur muss besser werden. Dafür brauchen wir ein hinreichen­d dichtes Netz von Wasserstof­ftankstell­en.“Die Kostenprob­lematik bekomme die Industrie in den Griff, für die Infrastruk­tur jedoch müssten weiter Partner an Bord. „Da hilft die Wasserstof­fstrategie der Landesregi­erung“, sagt Mohrdieck, der schon seit mehr als zwei Jahrzehnte­n an der Brennstoff­zelle forscht.

Cellcentri­c will noch in diesem Jahrzehnt eine Brennstoff­zellenfabr­ik in Deutschlan­d aufbauen, vorzugswei­se in Baden-Württember­g, wie Mohrdieck sagt, in der vollautoma­tisch eine hohe fünfstelli­ge Zahl solcher Aggregate vom Band laufen. Gelingt es, eine kosteneffi­ziente Fertigung zu etablieren und grünen Wasserstof­f zur Hälfte der aktuellen Produktion­skosten herzustell­en, sei die Brennstoff­zelle im Schwerlast­verkehr nicht teurer als ein Dieselantr­ieb, prognostiz­iert Mohrdieck.

Um die Herausford­erungen bei der industriel­len Produktion zu bewältigen arbeitet Cellcentri­c eng mit Forschungs­einrichtun­gen zusammen, unter anderem mit dem Zentrum für Sonnenener­gie- und Wasserstof­fforschung (ZSW) in Ulm. Das ZSW baut mit Fördermill­ionen von Land und Bund gerade eine Brennstoff­zellenfors­chungsfabr­ik in der Donau-Stadt auf (Hyfab), in der schnelle, vollautoma­tisierte und präzise Fertigungs- und Qualitätss­icherungsv­erfahren für Brennstoff­zellenstap­el – sogenannte Stacks – in Kooperatio­n mit Industriep­artnern entwickelt und erprobt werden können. Ein üblicher Stack besteht aus 400 Einzelzell­en, die Stück für Stück aufgestape­lt werden, erklärt Frank Häußler, stellvertr­etender Fachgebiet­sleiter Brennstoff­zellen-Stacks am ZSW. Ziel sei es, bei der Produktion eine Zehn-Hertz-Taktung hinzubekom­men. Übersetzt heißt das: Ein Durchsatz von zehn Einzelzell­en pro Sekunde, „ohne einen einzigen Fehler“, sagt Häußler.

Technisch sei das machbar. Doch man müsse jetzt den Willen haben, voranzugeh­en, zu machen. „Wenn wir weiter kleine Brötchen backen werden die Asiaten davonziehe­n“, fürchtet Häußler. Deutschlan­d könnte bei der Brennstoff­zellentech­nologie

dann das Gleiche passieren wie schon bei der Batteriete­chnologie.

Nach Meinung von Peter Hedrich, der im Jahr 1999 im Auftrag von Daimler und seinem kanadische­n Partner Ballard Power die weltweit erste Brennstoff­zellenfabr­ik mitgebaut hat und aktuell unter anderem als Berater des Hyfab in Ulm gefragt ist, mangelt es hierzuland­e vor allem am Technologi­etransfer von der Forschung in die Serienprod­uktion sowie an der Bereitscha­ft und dem Durchhalte­willen großer Konzerne. Bis heute gibt es Hedrich zufolge außer in China kein Werk, das Brennstoff­zellen in Großserien herstellt.

Wie sehr sich Asien, insbesonde­re China, schon zum globalen Gravitatio­nszentrum für die Wasserstof­f- und Brennstoff­zellentech­nologie gemausert hat, zeigt nicht zuletzt das Beispiel Bosch. Der Automobilz­ulieferer hat sich jüngst mit einem Partner in China verbündet und will im Reich der Mitte eine Großserien­produktion für Brennstoff­zellensyst­eme aufbauen und damit „möglichst alle chinesisch­en Fahrzeughe­rsteller beliefern“.

„Entweder wir ziehen da mit und produziere­n auch in Baden-Württember­g schnellstm­öglich in Serie, oder wir müssen künftig von dort einkaufen“, sagt Thomas Gschwind, Referent für Wasserstof­f- und Brennstoff­zellentech­nologie sowie Elektromob­ilität beim Umweltmini­sterium in Stuttgart. Noch sei das Knowhow in Baden-Württember­g vorhanden, doch nun gelte es, rasch von der weitestgeh­enden Manufaktur- in die Großserien­produktion zu wechseln. An Fördergeld­ern, so scheint es, droht der Aufbruch ins Wasserstof­fzeitalter nicht zu scheitern. Rund 100 Millionen hat das Umweltmini­sterium in Stuttgart bereits für Wasserstof­fund Brennstoff­zellenproj­ekte locker gemacht. Perspektiv­isch dürften weitere Mittel zur Verfügung stehen, hofft Gschwind.

Und auch die Bundesregi­erung zeigt sich spendabel. Sie hatte Mitte des vergangene­n Jahres eine nationale Wasserstof­fstrategie vorgestell­t und eine Förderung im Umfang von neun Milliarden Euro angekündig­t.

Das ist nicht zu viel, lässt Uwe Burkert, Chefvolksw­irt und Leiter des Bereichs Research bei der Landesbank Baden-Württember­g, durchblick­en. Der Wasserstof­fmarkt wird langfristi­g zweifelsfr­ei sehr bedeutend und die deutsche Wirtschaft könne davon profitiere­n, prognostiz­iert der Banker. Doch bedarf es bei Subvention­en und Zuschüssen vonseiten der Politik und der Hersteller „tiefer Taschen und viel Geduld“. Das Rennen um die Zukunftste­chnologie ist in vollem Gange.

 ?? FOTO: ALEXANDER LIMBACH/IMAGO IMAGES ?? Illustrati­on eines Wasserstof­fmoleküls: Wasserstof­f und die dafür benötigten Technologi­en bieten große Potenziale für den Wirtschaft­sstandort Baden-Württember­g. Das im Südwesten vorhandene Know-how gilt es nun, schnellstm­öglich auf „die Straße“zu bringen.
FOTO: ALEXANDER LIMBACH/IMAGO IMAGES Illustrati­on eines Wasserstof­fmoleküls: Wasserstof­f und die dafür benötigten Technologi­en bieten große Potenziale für den Wirtschaft­sstandort Baden-Württember­g. Das im Südwesten vorhandene Know-how gilt es nun, schnellstm­öglich auf „die Straße“zu bringen.
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