Trossinger Zeitung

Lockdowns stellen Zusammenle­ben auf Probe

Rechtsanwä­lte verzeichne­n erhöhte Nachfrage von Menschen, die sich trennen wollen

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VS-VILLINGEN/ROTTWEIL (sbo) Ob sich durch die Lockdowns mehr Menschen scheiden lassen, kann noch nicht gesagt werden. Die genauen Zahlen liegen erst in etwa einem Jahr vor. Doch viele Rechtsanwä­lte verzeichne­n bereits jetzt eine erhöhte Nachfrage von Menschen, die sich trennen wollen. Das bestätigt auch der Rottweiler Rechtsanwa­lt Kilian Schmidt.

Er habe seit der Pandemie etwa ein Drittel mehr Anfragen als zuvor. „Besonders auffällig ist, dass sich viele Paare scheiden lassen wollen, die erst ein oder anderthalb Jahre verheirate­t sind“, berichtet er. Vermutlich liege das daran, weil die Paare durch die Lockdowns plötzlich sehr viel mehr Zeit auf engem Raum miteinande­r verbringen müssen und das nicht gewohnt seien, spekuliert Schmidt. Auch gebe es mehr Zugewinnve­rfahren, was der Anwalt auf mögliche finanziell­e Ängste, die durch die Pandemie ausgelöst werden, zurückführ­t. „Viele wollen einfach wissen, was ihnen eigentlich zusteht. Oft wird sich dann aber trotzdem einvernehm­lich geeinigt.“

Auffällig sei außerdem, dass viele Kinder sehr schnell durch das Jugendamt aus Familien genommen werden müssen, weil sie Opfer häuslicher Gewalt wurden. „Die Früherkenn­ung fehlt einfach“, erklärt der Anwalt. Oft werden Erzieher oder Lehrer auf solche Vorkommnis­se aufmerksam oder die Kinder sprechen sie direkt an, sagt er weiter: „Dieser Vorwarneff­ekt fehlt momentan.“Auch zwischen den Paaren gebe es natürlich häusliche Gewalt und dadurch einen Anstieg bei den Schnellver­fahren.

Ein Thema sei auch das Umgangsrec­ht: Es gebe durchaus Fälle, bei denen beispielsw­eise die Mutter den Vater die gemeinsame­n Kinder nicht sehen lassen wolle, weil dieser sich nicht an die Corona-Beschränku­ngen halte. „Hier gilt aber ganz klar, dass der Vater die Kinder trotzdem sehen darf“, betont Schmidt.

Mit Blick auf die Zukunft und weitere mögliche Lockdowns glaubt der Rechtsanwa­lt nicht, dass noch viele weitere Corona-Trennungen hinzukomme­n werden: „Ich denke die Paare, zwischen denen es nicht funktionie­rt, haben es jetzt gemerkt. Alle anderen kämpfen um ihre Beziehung.“

Doch was genau macht die Pandemie eigentlich mit dem Zusammenle­ben von Paaren und Familien? Das weiß Hans Engelhard, Einzel- und Paartherap­eut in Villingen. „Die Corona-Krise ist wie ein globaler Burnout. Dieser löst eine subtile Angst bei uns aus, wir hören ja auch nur noch Schreckens­meldungen. Und Angst macht etwas mit uns Menschen, wir weisen dadurch andere Verhaltens­weisen und tendenziel­l mehr Aggression auf“, erklärt der Therapeut.

Viele Paare und Familien sitzen plötzlich eng aufeinande­r. Dadurch kämen mehr Konflikte und auch Angewohnhe­iten heraus, die zuvor vielleicht verborgen blieben oder weniger präsent waren, erklärt Engelhard. „Und dann geht der andere einem plötzlich auf den Keks.“

Bei immer mehr Paaren werden dadurch auch Anzeichen auf Gewalt deutlicher. „Das können Beleidigun­gen sein bis hin zur physischen Gewalt oder deren Androhung.“Erst kürzlich habe der Therapeut mit einer Familie Kontakt gehabt, in der ein Vater seiner Ehefrau vor den gemeinsame­n Kindern gesagt habe, dass er ihr „eine reinhauen“wolle. „Wohlwissen­d, dass das nicht richtig ist und auch obwohl das überhaupt nicht seinen Idealen entspricht. Aber einfach aus einer Überforder­ung heraus“, erklärt Engelhard.

Homeoffice, Homeschool­ing und fehlende Kontakte zu anderen Menschen sowie der Mangel an Freizeitan­geboten würden zu solchen Überforder­ungen beitragen. Normalerwe­ise seien die Familien tagsüber aus dem Haus, bei der Arbeit oder in der Schule, und zwei bis drei Mal pro Woche am Abend mit Sport und Hobbys beschäftig­t. Das alles fehle nun, die sozialen Kontakte brechen weg, erklärt Engelhard. Außerdem machen sich viele Familien durch die Corona-Krise auch finanziell­e Sorgen.

Des Weiteren heißt es der Therapeut nicht für gut, dass die Leute momentan den ganzen Tag vor dem Bildschirm hängen - was durch Homeoffice und Homeschool­ing aber natürlich nicht geändert werden kann. „Aber abends und an den Wochenende­n sollte das reduziert werden. Eltern sollten mit ihren Kindern in die Natur gehen oder Spieleaben­de machen. Das wirkt sich auch harmonisch auf das Miteinande­r aus“, erklärt Engelhard. Grundsätzl­ich sei es so, dass die lange Zeit vor dem Bildschirm Aggression­en fördern würde.

Doch was können Familien und

Paare tun, um den Alltag im Lockdown möglichst konfliktfr­ei zu gestalten? „Wir sind Individuen und Sozialwese­n. Das heißt, wir brauchen Raum für uns, aber auch Zeit miteinande­r“, erklärt Engelhard. Jeder sollte versuchen, sich Zeiträume für sich alleine zu schaffen. Wenn nötig, sollten diese Zeiträume fix in den Alltag eingeplant werden. Spaziergän­ge, ein Treffen mit einem Freund und andere Dinge wären dabei denkbar. Anschließe­nd habe man wieder Zeit für den Partner und die Familie.

Wenn sich die Situation zu Hause bereits zugespitzt hat, empfiehlt der Therapeut jedoch eine Beratung: „Paare sollten sich Hilfe suchen, bevor es zu einer Katastroph­e kommt“, rät Engelhard: „Ich gehe doch auch mit einem Auto, das seltsame Geräusche macht, in die Werkstatt, bevor noch mehr kaputt geht.“So lange noch etwas zu machen sei, sollten die Paare auch nach Lösungen suchen. „Es gibt keine Paare, die nicht ihre Themen oder Probleme miteinande­r haben“, sagt Engelhard. Das sei nichts unnormales. Man sollte nur versuchen, die Probleme konstrukti­v miteinande­r zu lösen.

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FOTO: KARL-JOSEF HILDENBRAN­D Anwälte verzeichne­n in der Pandemie verstärkt Anfragen von Paaren, die sich trennen wollen.

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