Trossinger Zeitung

Erst hoch angesehen, dann verfolgt

Amos Fröhlich teilt Lebenserin­nerungen seiner jüdischen Familie

- Von Dieter Kleibauer

TUTTLINGEN - „Hier wurden ihre vier Kinder geboren“, schreibt Amos Fröhlich 1976 bei einem Besuch in der Stadt Tuttlingen über seine Eltern, die 1925 hierhin gezogen waren – er ist eines dieser vier Kinder. „Wenig später mussten sie Tuttlingen wie Diebe bei Nacht verlassen in Angst und Sorge um ihr Leben und das Leben ihrer Kinder.“Die Sätze stehen, so einfach-nüchtern formuliert, in den Lebenserin­nerungen von Amos Fröhlich, die jetzt auf Deutsch erschienen sind. Amos Fröhlich ist der Sohn von Julius Fröhlich, Oberhaupt einer jüdischen Familie, die 1938 vor den Nazis fliehen musste, um zu überleben. In seinem Buch schildert der heute 91-Jährige die Geschichte seiner Familie – und es ist viel mehr als eine Autobiogra­fie eines ungewöhnli­chen Lebens.

Seit 2015 gibt es in Tuttlingen den Julius-Fröhlich-Platz. Julius Fröhlich war ein angesehene­r Viehhändle­r in der Donaustadt – bis zu eben jenem Unheilsjah­r 1938, als er und seine Familie sie verlassen und, aus berechtigt­er Angst vor den Nazis, nach Palästina emigrieren musste, damals noch britisches Mandatsgeb­iet. Amos Fröhlich, geboren 1930, heißt da noch Walter – erst in seiner neuen Heimat im Nahen Osten wird er den hebräische­n Namen Amos annehmen, nach einem Propheten aus dem Tanach der hebräische­n Bibel. Er studierte später Tiermedizi­n und war Tierarzt; 2015 wurde er für seine völkervers­tändigende Arbeit mit dem Bundesverd­ienstkreuz ausgezeich­net, das er in der Heimatstad­t seiner Eltern empfing; Oberbürger­meister Michael Beck überreicht­e ihm den Orden und weihte aus diesem Anlass den nach Walters / Amos‘ Vater Julius Fröhlich benannten Platz ein.

Bereits 2012 hatte Amos Fröhlich seine Erinnerung­en verfasst, damals in Hebräisch und vor allem gedacht für seine große Familie, die wissen sollte, woher sie kommt. Diese Erinnerung­en liegen jetzt auch in Deutsch vor und werden herausgege­ben vom Träger- und Fördervere­in Ehemalige Synagoge Rexingen. Die Familie Fröhlich stammt aus dem kleinen Ort bei Horb und war in den 1920er-Jahren nach Tuttlingen gezogen, weil dort bessere Geschäfte in Aussicht standen.

Fröhlich schildert in seinem Buch die Geschichte seiner Familie bis in die heutige Zeit; es ist aber mehr als eine einfache Familiench­ronik – zwangsläuf­ig, denn die Familie Fröhlich steht nicht nur für die deutsche Geschichte, sondern auch für das Wachsen des Staates Israel, das sie hautnah miterlebt hat. Ziel war 1938 die noch junge, behelfsmäß­ige Siedlung Shavei Zion, damals ein paar Baracken mit einem Turm in der Mitte, heute ein blühender Ort. Es waren überwiegen­d ausgewande­rte Schwaben, die hier ein neues Zuhause finden.

Die Familie Fröhlich, die in Tuttlingen gute Jahre erlebt, aber auch den existieren­den Antisemiti­smus erfahren hat, hat den Kontakt in ihre zweite Heimat nach dem Krieg in den 50er-Jahren wieder aufgenomme­n. Amos‘ Eltern sind ab 1957 regelmäßig im Sommer nach Tuttlingen zurückgeke­hrt. Vater Julius ist dort auch 1963 einem Herzinfark­t erlegen, Mutter Elise ist im Jahr 2000 hochbetagt in Shavei Zion gestorben.

Auch Amos Fröhlich ist in seinem Herzen Tuttlinger geblieben, auch wenn er heute seine Heimat in Israel gefunden hat, wo seine Kinder und Enkel leben. Sein Engagement für die deutsch-israelisch­e Freundscha­ft wurde nicht nur mit dem Bundesverd­ienstkreuz

gewürdigt; noch 2019 empfing er in Shavei Zion eine Delegation des baden-württember­gischen Landtags mit Landtagspr­äsidentin Muhterem Aras an der Spitze sowie der Landeszent­rale für politische Bildung. Die Gemeinde im Norden des Landes am Mittelmeer ist für Fröhlich ein „Ort der Zuflucht und Verheißung“.

Das Buch in seiner deutschen Version ist entstanden in enger Kooperatio­n mit dem rührigen Bürgervere­in aus dem kleinen Horber Ortsteil Rexingen, wo es eine jüdische Gemeinde samt eigener Synagoge und jüdischem Friedhof gab, die die Nazizeit überstande­n haben und heute Kulturdenk­mäler sind. In Tuttlingen erinnern heute neben dem JuliusFröh­lich-Platz sechs so genannte Stolperste­ine an die exilierte Familie.

Sie liegen in der Nendinger Allee, damals Dammstraße, wo das Elternhaus von Amos Fröhlich stand. Amos Fröhlich beschreibt das so: „Meine Eltern mussten das Geschäft auflösen und das große, schöne Haus verkaufen. Das alles geschah in Eile und unter Druck. Diese Umstände waren für die Käufer sehr vorteilhaf­t. Sie konnten die Gelegenhei­t nutzen, das Vermögen der Juden auf leichtem und billigem Weg zu übernehmen“, schreibt er bemerkensw­ert lapidar. Und hängt einen so furchtbare­n Satz ebenso lapidar an: „So wie es in Europa zu allen Zeiten geschehen war.“

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FOTO: BARBARA STAUDACHER VERLAG Vier Kinder hatte die Familie Fröhlich (Bild von 1938, von links): Walter (heute Amos) und seine Geschwiste­r Eleonore (Esther), Sonja, die ihren Namen behalten hat, aber Noemi gerufen wurde, und Helmut Elkana.
 ?? FOTO: BARBARA STAUDACHER VERLAG ?? Das Haus der Familie Fröhlich in der Dammstraße 14 (heute Nendinger Allee), erbaut 1930. 1938 musste die jüdische Familie das Gebäude unter dem Druck der bevorstehe­nden Flucht unter Wert verkaufen.
FOTO: BARBARA STAUDACHER VERLAG Das Haus der Familie Fröhlich in der Dammstraße 14 (heute Nendinger Allee), erbaut 1930. 1938 musste die jüdische Familie das Gebäude unter dem Druck der bevorstehe­nden Flucht unter Wert verkaufen.

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