Sie sind jung und wollen raus
Mit der Szene unterwegs: So laufen die Parkplatztreffen in Villingen-Schwenningen ab
VILLINGEN-SCHWENNINGEN (sbo) - Sie wollen sich eigentlich nur treffen, geraten dabei aber ins Visier der Behörden: Junge Menschen suchen trotz der anhaltenden Corona-Pandemie einen Rückzugsort außerhalb der eigenen vier Wände. Ihr Ziel: Parkplätze in der Region um Villingen-Schwenningen. Ein Einblick in die Welt einiger Jugendlichen und Twens während Corona.
Einer der jungen Leute ist der 22jährige Timo K. aus Donaueschingen. Er ist vor kurzem mit einem Video auf Instagram viral gegangen, in dem er über die Treffen spricht. Wir haben uns für einen Abend mit ihm verabredet – bei minus ein Grad Celsius auf den Parkplätzen der Doppelstadt.
Kurz vor 21 Uhr ist noch wenig los. Wir folgen dem dunklen BMW des 22-Jährigen zu einem Aldi-Parkplatz bei Villingen. Hier parken bereits auf etwas abgelegeneren Positionen und weg von den DiscounterKunden etwa fünf höherklassige Autos. Darunter ein Porsche und eine Mercedes G-Klasse. Vor den Nobelkarossen stehen Besitzer und Beifahrer im Halbkreis, reden miteinander.
Auch wir kommen ins Gespräch. Die Corona-bedingten Ausgangsbeschränkungen regen Timo auf. Unnötig seien diese, findet er. Auch sein Kumpel, den er als Beifahrer dabei hat, ist genervt. An diesem Abend waren Timo und einige andere aus VS mit beim Autokorso in Schramberg dabei.
In seiner Instagram-Story hatte er zuvor den Flyer der Demo geteilt. Der Frust wegen der Corona-Maßnahmen ist groß, was er auch in seinen Instagram-Videos anspricht. Sie sind jung, wollen raus – können aber nicht.
Während wir reden, schlottern einem die Knie. Es hat minus ein Grad
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Celsius. Und es ist laut – aber nicht wegen des Motorröhrens, sondern weil ein Lastwagen gerade rückwärts an die Laderampe des Discounters fährt. Es gibt angenehmere Orte, um sich zu treffen. Die haben aber geschlossen.
Zeitgleich, als der Lastwagen den Rückwärtsgang einlegt, fährt eine Polizeistreife auf den Parkplatz. Zwei Männer in Uniform steigen aus und gehen direkt auf uns zu. Timo wird von ihnen direkt mit vollem Namen angesprochen – er scheint den Polizisten ein Begriff zu sein. Innerhalb weniger Sekunden: Platzverweis.
Bevor wir weiterziehen, zum nächsten Treffpunkt, wird ein Kleinwagen auf dem Parkplatz kontrolliert. In ihm sitzen vier junge Frauen, die wohl auch hier ihre Zeit verbringen wollten. Die Ordnungsmacht, von der immer mehr anrücken, hat aber Einwände.
Mit heruntergelassener Scheibe und lautem Motor fährt in diesem Moment der dunkle BMW des 22Jährigen vor. Hier gilt für ihn nun der Platzverweis. Er ruft uns zu, wohin es als nächstes geht.
Als wir vom Aldi-Parkplatz fahren, scheint uns an der Ausfahrt das Abblendlicht eines Polizeiautos von rechts ins Gesicht. Man sieht die Polizisten wegen des grellen Lichts nicht, aber man weiß, man selbst wird von ihnen gerade gesehen.
Über den Nordring fahren wir zur Aral-Tankstelle. Es sind mittlerweile viel mehr Autos unterwegs. Einzelne röhren etwas schneller über den Asphalt, posieren durch ihre Geschwindigkeit.
An der Tankstelle angekommen dauert es nicht lange, da wird Timo von zwei Männern in einem unauffälligen Auto angesprochen. Die Zivilpolizei. Einen der Polizisten kennt er bereits. Von ihm hat er schon mal eine Strafe bekommen, musste 80 Euro Bußgeld zahlen. Zu Recht, gibt der Donaueschinger zu. Er hatte seinen Motor laut werden lassen.
Ein Teilnehmer des Treffens, ganz euphorisch, gibt den Polizisten aus Versehen zum Abschied einen Faustgruß. Die nehmen es mit Humor. Generell, erklärt Timo, seien die beiden Beamten immer freundlich. Aber es wurden bei den Treffen eben auch andere Erfahrungen gemacht - so schildert er in seinen Videos den Fall eines jungen Mannes, der bei einer Kontrolle in Bad Dürrheim von einem Polizisten geohrfeigt worden sein soll (wir berichteten).
Sein Wunsch: Beide Seiten, Polizei und Zivilisten, sollten sich mit Respekt behandeln. Dieses Gleichgewicht sieht der 22-Jährige aber gestört.
Rund zehn Autos sind mittlerweile hinter der Tankstelle auf dem Asphalt versammelt. Die meisten Fahrer bleiben in oder an ihrem Auto. Es kommt aber auch zu Umarmungen, als sich zwei junge Frauen begrüßen. Zu acht stehen wir auf Abstand zwischen Timos BMW und einem Geländewagen. Unter den Anwesenden sind unter anderem Pflegekräfte und Bauarbeiter. Gesprächsthema ist auch die aktuelle Corona-Lage. Die sich ständig ändernden Regelungen und die damit verbundene Unsicherheit sind auch für die Runde zermürbend.
Es wird kurz laut, als eine Autofahrerin ihren Müll einfach auf den Boden wirft. Der Beifahrer des 22Jährigen ruft ihr verärgert zu – die Frau reagiert jedoch provokant. Mit lauter Musik und offenem Fenster ignoriert sie die Kritik. Ziel ist eigentlich, die Plätze, auf denen sie sich treffen, sauber zu halten. Deswegen ist Timo mit dem Tankstellenbetreiber im Austausch. Es wurden zusätzliche Mülleimer aufgestellt – man kommt sich entgegen.
Die Stimmung beim Treffen ist entspannt, man hält Getränke in der
Hand, einem der Teilnehmer merkt man den Alkoholpegel an – so wäre das jetzt wohl auch in einer Bar. Dort oder in einer Diskothek, da wären Timo und die anderen jetzt lieber, wenn nicht alles geschlossen wäre.
Stattdessen stehen wir eben hier, unterhalten uns über die Reparatur an einem der Autos und die Szene an sich. Die Anwesenden lassen sich keiner Kategorie wirklich zuordnen – weder Tuner, noch Poser. Die größte sichtbare Veränderung an einem der Autos ist für den Laien ein kleiner Aufkleber am Radkasten eines Kleinwagens. Stattdessen stehen hier eher Serienwagen, vereinzelt mit von Haus aus starken Motoren. Fahrer und Beifahrer gehören am ehesten zur Kategorie „junges Partyvolk“, das gerne wieder raus möchte – trotz anhaltender Pandemie. Die Autos sind eine Sache, über die man gerne spricht, die dazugehört, aber eben nicht das einzige Thema.
Auf Instagram existieren derweil zig Seiten verschiedener Autoszenen, die während des aktuellen Lockdowns aufkommen. „Mittlerweile macht jeder Dahergelaufene eine Instagram-Seite“, meint einer. Die Szene ist zersplittert, alle Gruppierungen haben andere Treffpunkte, erklären sie.
Während wir dastehen, fährt plötzlich eine Polizeistreife die dunkle Nebenstraße entlang in Richtung der Tankstelle. Ein junger Mann warnt die anderen per Zuruf vor der herannahenden Streife. Man zuckt zusammen. Wo davor zwei Meter Abstand gehalten wurden, sind es plötzlich drei – aus Unsicherheit. Auch wenn man Abstände und Corona-Regeln nach bestem Gewissen einhält – es ist eine Erleichterung, als die Polizei dann einfach nur vorbeifährt. Ein komisches Gefühl. Aber das Bedürfnis, sich zu treffen, überwiegt hier – trotz Kälte und Kontrollen.