Sorgen um die Fehlentwicklung der Innenstadt
Durch ein Umnutzungs-Verbot und Vorkaufsrecht will die Stadtverwaltung künftig mehr Einfluss nehmen
TUTTLINGEN - Ein Verbot für Hausbesitzer der Innenstadt, ihre Wohnflächen anderweitig zu nutzen sowie ein Vorkaufsrecht: Erstmals in der Geschichte Tuttlingens möchte die Stadtverwaltung massiv in die Vorhaben von Hausbesitzern eingreifen und zudem auch mehr Mitspracherecht auf dem Immobilienmarkt bekommen. Hintergrund ist eine Entwicklung innerhalb Tuttlingens, die der Stadt zunehmend missfällt. Im Technischen Ausschuss stieß der Verstoß der Stadtverwaltung auf breite Zustimmung.
Von einer „Fehlentwicklung“sprach Oberbürgermeister Michael Beck am vergangenen Donnerstag im Technischen Ausschuss. Obwohl man versucht hätte, die Innenstadt durch die Ausweisung mehrerer Sanierungsgebiete aufzuwerten und auch für die Gestaltung der Fußgängerzone viel Geld ausgegeben habe, gehe die Entwicklung im Bereich Wohnen in eine falsche Richtung. Was in Tuttlingen derzeit passiere oder schon passiert sei, „entspricht nicht dem Bild, das wir unter einer lebenswerten Innenstadt mit Wohnen verbinden“, so Beck.
Was bereits vor einigen Jahren begann, wird nun augenscheinlich: Alte Häuser im Stadtgebiet werden von Investoren aufgekauft, ausgebaut und zimmerweise vermietet. Häufig sind diese Mieter Wanderarbeiter aus Osteuropa, Flüchtlinge mit Bleibestatus oder Hilfsarbeiter, die allesamt auf eine Unterkunft angewiesen sind und niedrigere Wohn-Standards akzeptieren, als manch ein deutscher Mieter. So berichtete unsere Zeitung vor kurzem etwa über eine Wohngemeinschaft einiger Bulgaren, die als Fahrer für die AmazonNiederlassung in Meßkirch arbeiten. Für ihre karge Unterkunft in einem älteren Mehrfamilienhaus zahlen sie pro Zimmer zwischen 400 und 600 Euro Miete. Etlichen Vermietern ist es zudem daran gelegen, so viele Mieter wie möglich in ihren Häusern einzuquartieren.
Dass sich überhaupt diese Art von Geschäftsmodell etablieren konnte, ist auch der Tatsache geschuldet, dass die Innenstadt samt manchen angrenzenden Quartieren als Wohnort
an Attraktivität verloren hat. Im Technischen Ausschuss berichtete etwa Eva Zepf, SPD-Rätin und von Beruf Architektin bei der Tuttlinger Wohnbau, dass in den ZentrumsWohnungen der Wohnbau kaum noch Familien leben würden. „Sobald junge Pärchen ein Kind bekommen, ziehen sie irgendwo anderes hin“, ist ihre Erfahrung. Ziel müsse es auch sein, das zentrumsnahe Wohnen wieder so attraktiv zu gestalten, dass auch junge Familien gerne dort leben würden.
Damit Wohnraum nicht einfach mehr umgenutzt – also etwa zu einer Sammelunterkunft umgebaut werden kann – plant die Stadtverwaltung den Erlass einer sogenannten Zweckentfremdungs-Satzung. Konkret bedeutet das: Häuser, die bisher als klassische Wohnungen für Dauermieter genutzt werden, dürfen nicht anderweitig genutzt werden. Angewandt werden solche Satzungen sonst meist in Großstädten, die die Umwandlung von Wohnraum in Büros oder Ferienwohnungen unterbinden möchten. Aber auch die Gemeinden Sipplingen und die Stadt Überlingen gingen diesen Schritt gegen die Ausbreitung von Ferienwohnungen. „Anwenden kann man eine solche Satzung auch auf das Tuttlinger Problem: Die temporär vermieteten Sammelunterkünfte ähneln schließlich eher einem Beherbergungsbetrieb als einer Wohnung“, sagt Tuttlingens Stadt-Pressesprecher Arno Specht.
Schwierig ist jedoch die Abgrenzung, was erlaubt ist und was nicht. Ein Fachanwalt ist aktuell damit beschäftigt, die Feinheiten festzulegen und juristische Grenzen abzuklären. Das Ergebnis soll noch vor der Sommerpause öffentlich vorgestellt werden. Stadtrat Hans-Peter Bensch (FDP) wies in der Ausschusssitzung darauf hin, dass es sich dabei um Eingriffe in das Grundrecht auf Eigentum handle, was juristisch problematisch werden könnte.
Auch soll es darum gehen, dass sich die Stadt durch eine weitere Satzung ein Vorkaufsrecht auf alle Häuser sichert, die im Bereich der Innenstadt verkauft werden. Denn: Um die Entwicklung in der Innenstadt steuern zu können, „müssen wir selbst häufiger aufkaufen und gestalten“, sagte OB Beck. Knackpunkt sind allerdings die Verkaufspreise: Private Investoren zahlen oft deutlich mehr, als die Stadt zahlen kann und möchte. So ist unserer Redaktion ein Fall bekannt, in dem ein türkischer Immobilieninvestor für ein zentral gelegenes Mehrfamilienhaus fast das doppelte von dem bezahlte, was die Stadtverwaltung bereit war zu zahlen.
Beim Kauf von Häusern setzt die Stadt deshalb auch auf die Wohnbau, die zu zwei Dritteln in städtischer
Hand ist. Als es vor ein paar Jahren eine Diskussion um die Gründung einer neuen Stadtentwicklungsgesellschaft gegeben hatte, habe man sich dafür entschieden, dass die Wohnbau diese Funktion für die Stadtverwaltung übernehme, sagte Beck im Ausschuss. In der Tat hat die Wohnbau in der vergangenen Zeit einige Häuser in der Innenstadt erworben – etwa das Café Martin, das Café Riebler oder das Gebäude, in dem sich die Reinigung Hellmann befindet. „Wir versuchen immer, Häuser an exponierten Stellen zu kaufen“, sagt Wohnbau-Chef Horst Riess im Gespräch mit unserer Zeitung. „Doch es hängt auch von der Immobilie selbst ab und von der möglichen Nutzbarkeit hinterher.“Manche Verkäufe bekomme er aber schlichtweg nicht mit: Etwa ein Gebäude in der Oberen Hauptstraße gegenüber des neuen Drei-Kronen-Areals. „Das hätte mich interessiert, doch dann war es schon weg.“Das Thema der geplanten Satzungen soll Mitte Mai erneut im Gemeinderat behandelt werden. Der Technische Ausschuss stimmte jedenfalls bereits einstimmig zu. Ob die Zweckentfremdungs-Satzung oder das Vorkaufsrecht umgesetzt wird – oder ob gar beides kommen wird, ist derzeit noch offen. „Ich halte es zwingend für notwendig, dass wir einen der beiden Wege gehen“, so OB Beck.