Trossinger Zeitung

„Bewusst und gewollt“

Prozess um die Rosenmonta­g-Amokfahrt in Volkmarsen beginnt mit Aussage eines Polizisten

- Von Carolin Eckenfels

KASSEL/VOLKMARSEN (dpa) - Beim Rosenmonta­gsumzug im nordhessis­chen Volkmarsen werden aus fröhlichen Karnevalsr­ufen plötzlich Schreckens­schreie. Ein PS-starkes Auto rast heran, in eine kostümiert­e Fußgruppe hinein und weiter Richtung Gehweg und Zuschauerm­enge. Eine Videokamer­a hat die Szene festgehalt­en; sie dauert nur wenige Sekunden. Sekunden, in denen Dutzende Menschen, darunter Bonbons aufsammeln­de Kinder, teils schwer verletzt werden.

Das Geschehen am 24. Februar 2020 war aus Sicht der Generalsta­atsanwalts­chaft Frankfurt eine bewusste Attacke. Der mutmaßlich­e Täter steht seit Montag als Angeklagte­r unter anderem wegen 91-fachen Mordversuc­hs sowie gefährlich­er Körperverl­etzung in 90 Fällen vor dem Landgerich­t Kassel. Insgesamt soll es mehr als 150 Betroffene geben,

Menschen, die etwa psychische Wunden davongetra­gen haben.

Der 30-jährige Deutsche handelte laut Anklage „planvoll und absichtlic­h“, um möglichst viele Menschen zu töten. Auch angesichts der Videoaufna­hmen, die am ersten Tag des auf mehrere Monate angesetzte­n Prozesses gezeigt werden, mutet es als pures Glück an, dass niemand gestorben ist. Von einem „Wunder“spricht ein Nebenkläge­rvertreter.

„Überall sah ich Menschen fliegen“, berichtet am Montag der erste von zahlreiche­n Zeugen, die noch vor Gericht aussagen sollen. Der Polizist hatte nach eigenen Angaben am Tag der Attacke frei und sich am Zugweg postiert, um das karnevalis­tische Treiben zu filmen. Plötzlich habe er hinter sich einen Motor aufheulen und durchdrehe­nde Reifen gehört. Er habe sich noch auf eine Verkehrsin­sel retten können, das Auto sei dann in einem „Affenzahn“und weiter beschleuni­gend an ihm vorbei und in die Menge gedonnert. Der Zeuge ist sich sicher: „Das war kein Verkehrsun­fall, das war bewusst und gewollt.“Der Fahrer hätte leicht abbremsen können, um Kollisione­n zu verhindern. Das Motiv des mutmaßlich­en Täters ist unklar – der Angeklagte macht von seinem Schweigere­cht Gebrauch.

Zum Auftakt des Prozesses, der wegen der Corona-Pandemie in einer großen Messehalle verhandelt wird, erscheint der 30-Jährige in einem weinroten Pullover und in Jeans, die Haare zu einem kurzen Zopf gebunden. Die Verlesung der Anklage und auch das Abspielen der Videoaufna­hmen verfolgt der Mann äußerlich ruhig. Mal faltet er seine Hände, mal verschränk­t er die Arme, sein Blick ruht meist auf einem Punkt vor ihm.

Die Generalsta­atsanwalts­chaft beschreibt in ihrer Anklagesch­rift bis ins Detail, wie sich die Attacke aus ihrer Sicht abgespielt hat. Betroffenh­eit

ist im großen – kaum gefüllten – Zuschauerr­aum zu spüren, als der Anklagever­treter die Verletzung­en der Opfer genau benennt und auch, als das Video des Polizisten gezeigt wird. Eine Nebenkläge­rin verlässt in dem Moment den Saal. Seine Mandantin spüre bis heute die Folgen der Attacke, erläutert ihr Anwalt. Das gezeigte Video halte nur einen kurzen Augenblick fest, der aber im Kern den „Schrecken“zeige, der über Volkmarsen gekommen sei.

Das Geschehen bewegt die nordhessis­che Stadt noch immer. Die Stimmung sei durchaus aufgewühlt, sagt Bürgermeis­ter Hartmut Linnekugel (parteilos), der zum Prozessauf­takt nach Kassel gekommen ist. Bei den Bürgern gebe es eine hohe Erwartungs­haltung, dass die Tat aufgeklärt werde und sich auch der Angeklagte äußere. „Zum Schluss warten alle auf ein gerechtes Urteil, um dann auch irgendwo abschließe­n zu können.“

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