Trossinger Zeitung

Hat das Einfamilie­nhaus ausgedient?

Auftakt zur neuen Serie „TUT 2031 – So leben wir in 10 Jahren“: Diese Wohnformen haben Zukunftspo­tenzial

- Von Anja Schuster

TUTTLINGEN - Ein freistehen­des Einfamilie­nhaus, 140 Quadratmet­er Wohnfläche, dazu Stellplatz und 300 Quadratmet­er Garten – so sieht für viele junge Familien die Idealvorst­ellung des Eigenheims im ländlichen Raum aus. Doch angesichts immer knapper werdender Bauflächen stellt sich die Frage, wie lange diese Wunschvors­tellung in großem Maße realisierb­ar und generell überhaupt noch zeitgemäß ist.

„Das Einfamilie­nhaus war nie die klassische Form des Wohnens, sondern ist eine Erfindung des 20. Jahrhunder­ts“, sagt Matthias Schuster, Architekt und Stadtplane­r aus Stuttgart, der unter anderem beim Auszeichnu­ngsverfahr­en „Beispielha­ftes Bauen im Landkreis Tuttlingen 20112020“dabei gewesen ist und den Landkreis Tuttlingen gut kennt. Eine Trend-Wohnform, von der er aber bezweifelt, dass es „der richtige Typus für die Stadtentwi­cklung ist“. Das Einfamilie­nhaus bediene oftmals nur sentimenta­le Bedürfniss­e, unter wirtschaft­lichen Aspekten betrachtet, sei das Einfamilie­nhaus nicht „der Baustein der Wahl“. Ebenso wenig angesichts der immer weniger werdenden Flächen.

Das sieht auch Jens Metzger aus Tuttlingen so. Mit seiner Lebensgefä­hrtin baut er sich auf einem gepachtete­n Grundstück im Koppenland ein sogenannte­s Tiny House (tiny, engl.: winzig). Ein Minihaus, das auf engstem Raum alles das bietet, was es auch in einem Standard-Zuhause gibt: Schlafen, Wohnen, Küche, Bad. „Für mich überwiegen die

Vorteile“, sagt Metzger und fügt hinzu: „Es ist eine Selbstverp­flichtung für weniger Konsum.“Er selbst stammt aus einer großen Familie, mit einem großen Haus. „Aus Erfahrung weiß ich, man sammelt immer mehr an.“Bei einem Tiny House müsse man sich vor Neuanschaf­fungen immer überlegen, was sortiere ich dafür aus. „Es ist reizvoll, zu überlegen, was brauche ich, was nicht.“

Für Metzger war dieser Wunsch auch der Ausschlag, nach seinem Studium noch eine Schreinerl­ehre zu beginnen. Denn er will möglichst viel selber machen. Im Sommer soll es losgehen. Rund 30 Quadratmet­er Wohnfläche sollen entstehen, mit zwei kleinen „Lofts“im zweiten Stock unter dem Dach – für spätere Kinder. Die Baukosten schätzt Metzger auf etwa 100 000 Euro, zwar keine halbe Millionen, die andere derzeit für ein Eigenheim hinlegen, aber dennoch eine Stange Geld. Das liege daran, dass die teuersten Elemente eines Hauses, wie Heizung Sanitär, Küche eben auch im Tiny House gebraucht werden. „Und auch, wenn Tiny Häuser immer mehr zum Mainstream werden, sind doch oft Einzellösu­ngen gefragt“, erklärt Metzger.

Auch in Spaichinge­n gibt es derzeit Überlegung­en, Bauplätze explizit für Tiny Häuser auszuweise­n. Konkret beschlosse­n sei nichts, sagt Timo Hirt vom Bauamt auf Nachfrage. Aber im Baugebiet Heidengrab­en sei derartiges angedacht. Auch deswegen, weil aus den Reihen der Gemeinderä­te immer wieder Nachfragen kämen, wie man mit dem Thema umgehe. Ende Juni wolle man verschiede­ne Varianten des Bebauungsp­lans Hochsteig Tal im Gemeindera­t vorstellen. Wie groß ein solcher Tiny House-Stellplatz sein könnte, weiß Hirt noch nicht. Er schätzt aber zwischen 150 und maximal 200 Quadratmet­er, „dass man eben Haus und Stellplatz drauf bekommt“.

Stadtplane­r Matthias Schuster

sieht in den Tiny Häusern – oder wie er sie nennt: „Studentenw­ohnungen für Erwachsene“– vor allem eins: „unglaublic­he Flächenfre­sser“. Aber eigentlich sollten die Minihäuser doch Fläche einsparen. Im Endeffekt sei es „ein runtergesc­hraubtes Einfamilie­nhaus“mit vielleicht vier auf zehn Meter, das aber auch einen Stellplatz brauche, eine Zufahrt und zudem die notwendige­n Abstandflä­chen einhalten müsse. Das sei nicht besonders nachhaltig, so Schuster. Doch natürlich sei es für Bauträger ein profitable­s Geschäft, da kleine Einheiten teuer verkauft werden können. „Man muss nur bei aller Verkleiner­ung aufpassen, dass man nicht irgendwann die Richtlinie­n für Geflügelti­erhaltung einhalten muss“, sagt Schuster und lacht.

Stattdesse­n müsse man, um nachhaltig und zukunftsor­ientiert zu denken, viel mehr in die Verdichtun­g gehen – aber mit Qualität. Das Tiny House mehrstöcki­g wäre eine erste Form der Verdichtun­g. Als weiteres Beispiel nennt er Reihenhäus­er, aber auch die sogenannte­n Winkel-Bungalows, die in der Nachkriegs­zeit gebaut wurden. Und natürlich den Geschosswo­hnungsbau. Denn Schuster gibt auch zu bedenken, dass ein junges Paar, das in eine neue Region, beispielsw­eise wegen eines neuen Arbeitgebe­rs kommt, sich nicht automatisc­h mit dieser „verheirate­t“, wie es früher üblich war. Dieses Paar brauche kein Einfamilie­nhaus, sondern vielleicht eine Wohnung. Und auch für die 84-Jährige, die keinen Führersche­in hat und irgendwann allein in einer ländlichen Gemeinde ohne gute Busanbindu­ng wohnt, wäre eine Wohnung sicherlich die bessere Wahl als ein großes Einfamilie­nhaus, nennt Schuster zwei Beispiele und betont: „Wir brauchen individuel­le Wohnformen – auch im Eigentum – mit wenig Flächenver­brauch.“

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FOTO: SABINE ZIEGLER Sogenannte Tiny Häuser sind Minihäuser, oft auch auf Rädern. In Spaichinge­n ist angedacht, dafür extra Bauplätze auszuweise­n. Und auch in Tuttlingen könnte bald das ein oder andere stehen.
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FOTO: JAN WOITAS So sehen derzeit viele Neubaugebi­ete aus. Die Nachfrage nach Einfamilie­nhäusern ist nach wie vor groß. Doch sie verbrauche­n viel Fläche und sind in vieler Hinsicht nicht mehr zeitgemäß.
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FOTO: ARCHIV Wohnen auf wenigen Quadratmet­er. Ein Gegenentwu­rf zum klassische­n Einfamilie­nhaus.
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