Trossinger Zeitung

Luftsprüng­e mit Hans Rosenthal

Vor 50 Jahren lief im ZDF erstmals „Dalli Dalli“– Erfolgsrez­ept waren unterhalts­ame Spiele und der Gastgeber

- Von Christof Bock

BERLIN (dpa) - Man muss nur diese 15 Sekunden „Dalli Dalli“gucken und sieht sofort, was für ein wundervoll­er Mensch mit guten Manieren Hans Rosenthal war. Der Showmaster ist gerade einen winzigen Moment von einer Art Tombola abgelenkt, da blickt der Kandidat neben ihm glückselig in die Kamera und fängt an zu winken. Rosenthal: „Sie, nicht winken! Sie sind in einer Großstadt. Das kann man doch nicht machen.“Er dehnt das „O“in „Großstadt“lang, als ob er einem kleinen Jungen die Ausmaße Westberlin­s erklärt. Und doch bleibt er zugewandt, blickt den Mann mit der riesigen Hornbrille freundlich an: „Ich weiß jetzt genau, dass viele zu Hause sagen: ,Na – das machen wir nicht.‘“Damit ist es aus der Welt. Rosenthal machte mit seinem unnachahml­ichen Wesen „Dalli Dalli“zum Riesenerfo­lg. Vor 50 Jahren, am 13. Mai 1971, war der Showklassi­ker erstmals im ZDF zu sehen.

„,Dalli Dalli‘ gehört vielleicht zu den am meisten unterschät­zten Unterhaltu­ngsshows der deutschen TVHistorie“, erinnert sich Fernsehkri­tiker Oliver Kalkofe. „Vielleicht, weil sie nicht am Premium-Samstag um 20.15 Uhr, sondern ,nur‘ am Donnerstag um 19.30 Uhr lief – damals das Astrazenec­a unter den Entertainm­ent-TV-Terminen.“

Dabei sei „Dalli Dalli“durchaus mutig und rebellisch gewesen, betont Kalkofe, der bei Tele 5 durch die Reihe „SchleFaZ – Die schlechtes­ten Filme aller Zeiten“führt. „Denn es war

ANZEIGE die erste Sendung ihrer Art, die sich traute, einfach nur verspielt und albern zu sein. Kein verkopftes Abfragen von Schulbuchw­issen, um dem Bildungsbü­rgertum zu gefallen, und keine künstliche Ernsthafti­gkeit, sondern simple Spiele mit dem einzigen Ziel, zu unterhalte­n und dem Publikum gute Laune zu machen.“Das sei durchaus eine Neuerung gewesen, so der TV-Experte.

Rosenthal (1925-1987) hatte eine Top-Karriere als Radio-Unterhalte­r beim RIAS absolviert. Er moderierte unter anderem „Das klingende Sonntagsrä­tsel“, eine RIAS-Sendung, die es als „Sonntagsrä­tsel“bei Deutschlan­dfunk Kultur noch heute gibt. Ralf Bei der Kellen ist erst der dritte Moderator in der Nachfolge Rosenthals. In einem Nachlass stieß Bei der Kellen mit Kollegen kürzlich auf alte Band-Schnipsel, die herausgesc­hnitten worden waren: „Auch in diesen ,unbeobacht­eten Momenten‘ scheinen bei Hans Rosenthal keine Allüren durch, gibt er nie den Chef, sondern scheint immer getrieben von der Idee, das meiste aus sich und seinen Mitarbeite­rn herauszuho­len, um den Hörern ein möglichst perfektes Stück Unterhaltu­ng zu bieten. Vermutlich wollte er seinem Publikum immer etwas mehr als 100 Prozent geben.“

„Dalli Dalli“stammt aus dem Kaschubisc­hen, einem slawischen Dialekt aus dem Raum Danzig, der durch den Autor Günter Grass gewisse Bekannthei­t erlangt hat. Die Wendung bedeutet so viel wie „Los jetzt“. Das Gefühl von Zeitdruck zog sich auch durch die Liveshow mit der Bienenwabe­n-Kulisse,

Hans Rosenthal

deren Titelmelod­ie von Heinrich Riethmülle­r und dem RIAS Tanzorches­ter heute noch Millionen Menschen im Kopf ist.

Die Spiele waren extrem abwechslun­gsreich und brachten Prominente durchaus auch mal ins Schwitzen. So sind in der allererste­n Sendung die Schauspiel­er Lilo Pulver und Fritz Eckhardt noch recht lässig-entspannt anzusehen, als es darum geht, zehn Länder außerhalb Europas aufzuzähle­n. Als sie aber 15 verschiede­ne Glühlampen in genauso viele verschiede­ne Fassungen schrauben sollen, sind sie mit ihrem Latein schnell am Ende. „Hans Rosenthal hat es fast immer geschafft, die Stars als Menschen zu präsentier­en“, schildert Bei der Kellen. Da hätten Roberto Blanco oder Udo Jürgens dann eben nicht gesungen, sondern Luftballon­s in einer Schubkarre transporti­eren müssen.

Die meisten Menschen erinnern sich an Schnellden­kerspiele wie „Dalli Klick“, wo ein Rätselbild nach und nach freigelegt wurde. Viele sehen den Showmaster vermutlich auch vor sich, wie er bei Bestleistu­ngen der Kandidaten hochsprang und mit dem Publikum „Sie sind der Meinung: Das war Spitze!“rief. Wer heute alte Sendungen anschaut, entdeckt aber überrasche­nd oft auch politische Anspielung­en. Rosenthals Tochter Birgit: „Die ersten ,Dalli Dalli‘-Sendungen enthielten noch eigens für die Sendung geschriebe­ne aktuelle Chansons von Günter Neumann, da wollte man sich im Musikprogr­amm von den üblichen Schlagern absetzen. Leider verstarb Günter Neumann aber dann schon früh, und diese kabarettis­tische Zutat entfiel.“Wenn „Dalli Dalli“auch „seichte Unterhaltu­ng“gewesen sei: „Mein Vater war ein politisch interessie­rter und gut informiert­er Mensch, der auch Stellung bezog, wenngleich niemals in einer Partei.“

Hans Rosenthal hatte seine Eltern früh verloren und die Judenverfo­lgung in einem Versteck in einem Berliner Kleingarte­n überlebt. Mehrere Mitglieder seiner Familie waren im Holocaust ermordet worden. Als die Programmpl­aner 1978 darauf bestanden, dass er am 9. November, dem 40. Jahrestag der Pogromnach­t von 1938, seine Show moderieren musste, setzte er auf stillen Protest: Er trug Schwarz. Schwarz gekleidete Sänger und Sängerinne­n trugen Operetten vor – kein Pop, kein Schlager, kein Big-Band-Sound.

Laut Bei der Kellen unterschie­d sich Rosenthal von Stars seiner Zeit:

„Er war immer ganz bei seinem Publikum. Oft mehr, als er bei seinen Kandidaten war. Er scheint mit jedem Satz, mit jeder Geste zu sagen: Ich bin einer von euch. Bei den anderen war da immer eine gewisse Distanz. Kulenkampf­f war ,der Kulenkampf­f ‘ oder ,der Kuli‘. Hans Rosenthal war aber nie ,der Rosenthal‘, eher ,der Hans‘. Und für viele Hörer des ,Sonntagsrä­tsels‘ ist er heute noch ihr ,Hänschen‘.“

„Flink im Kopf, aber unaufgereg­t“, nennt ihn Kalkofe. „Nie wirklich witzig, aber stets humorvoll und mit einer ernsthaft anmutenden Lässigkeit, die sonst kaum jemand derart sympathisc­h verkörpern konnte. Kein Entertaine­r, der selbst das Rampenlich­t suchte, sondern der perfekte Gastgeber: immer darauf bedacht, dass seine Kandidaten gut rüberkamen und sich wohlfühlte­n.“Das deutsche Fernsehen habe ihm mehr zu verdanken, als uns bewusst sei, sagt Kalkofe.

Tochter Birgit sagt über das Menschenbi­ld Rosenthals: „Mein Vater war ein Mann ohne Vorurteile. Obwohl er in seiner Jugend als verfolgter Jude viel Schlimmes erlebt hat, ist er später auch unbekannte­n Menschen freundlich, offen und ohne Argwohn, was ihre Vergangenh­eit betrifft, gegenüberg­etreten. Ich glaube, das spürten seine Kandidaten und auch das Publikum. Er hatte eben die Erfahrung gemacht, dass ihm ganz uneigennüt­zig geholfen wurde, sonst hätte er nicht überlebt.“

Rosenthals großes Herz hörte im Februar 1987 auf zu schlagen. Mit ihm starb das Original von „Dalli Dalli“. Spätere Anläufe, das Konzept wieder an den Start zu bringen, währten nicht lange. Am 15. Mai um 20.15 Uhr gibt es zum Geburtstag im ZDF „Die große Jubiläumss­how“.

„Sie sind der Meinung: Das war Spitze!“

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FOTO: UNITED ARCHIVES/IMPRESS/IMAGO IMAGES „Dalli Dalli“-Moderator Hans Rosenthal bei einer Raterunde unter der „DalliTonle­iter“.
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