Trossinger Zeitung

In Berlin ist genug zu tun

- Von Claudia Kling

Als Nancy Faeser die politische Bühne in Berlin betrat, wurde bald bekannt, dass sie stark in Hessen verwurzelt ist. So richtig überrascht hat ihre Entscheidu­ng, als SPD-Spitzenkan­didatin für die Landtagswa­hl im Herbst anzutreten, also niemanden. Aus ihrer Perspektiv­e ist dieser Schritt ja durchaus nachvollzi­ehbar. Wenn sie die Wahl gewinnt, bekommt sie ihren Traumjob: Ministerpr­äsidentin. Wenn nicht, bleibt sie – mit Rückendeck­ung von Bundeskanz­ler Olaf Scholz – Bundesinne­nministeri­n und somit die oberste Chefin von insgesamt 85.000 Beschäftig­ten. Auch nicht schlecht.

Dass die Außenwirku­ng eine andere ist, weiß die Ministerin, sie ist schließlic­h eine kluge Frau. Deshalb verspricht sie, „mit voller Kraft“Bundesinne­nministeri­n zu bleiben – trotz des anstrengen­den Wahlkampfe­s, der in den nächsten acht Monaten dräut. Dass dies nicht funktionie­ren kann, monieren Unionspoli­tiker und auch Teile der Grünen zu Recht. Es ist schlicht realitätsf­remd anzunehmen, dass die Zeit, die Faeser beim Redenhalte­n und Händeschüt­teln in Hessen vertut, nicht an anderer Stelle fehlen würde. In ihrem Ministeram­t steht sie vor gewaltigen Aufgaben – Zuwanderun­g, Cybersiche­rheit, innere Sicherheit, um nur einige zu nennen. Selbst bei einem 48-Stunden-Tag hätte sie gut zu tun.

Befürworte­r und Kritiker ihrer Entscheidu­ng zählen nun, um ihre jeweilige Argumentat­ion zu untermauer­n, allerlei Beispiele auf, wer sich aus welcher Position heraus um ein Amt beworben hat: Bundeskanz­ler, die um ihre Wiederwahl kämpften, Länderregi­erungschef­s, die Kanzler werden wollten, Bundesmini­ster, siehe Norbert Röttgen, die sich zum Ministerpr­äsidenten berufen fühlten. Unterm Strich führen diese Vergleiche zu nichts, weil die Situation nicht vergleichb­ar ist.

Deutschlan­d muss sich anstrengen, die Folgen des russischen Angriffskr­iegs auf die Ukraine zu bewältigen. Länder und Kommunen ringen darum, mehr als eine Million Flüchtling­e unterzubri­ngen. Sie brauchen einen verlässlic­hen Partner in Berlin. Das wird schwierig, wenn Faeser künftig nicht mehr nur mit dem Herzen, wie sie selbst sagt, sondern auch als Wahlkämpfe­rin in Hessen ist.

c.kling@schwaebisc­he.de

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