Trossinger Zeitung

Ein Ballon lässt Blinkens Reise platzen

Chinesisch­es Flugobjekt über den USA – Außenminis­ter verzichtet auf Peking-Besuch

- Von Thomas J. Spang

WASHINGTON - Chase Doak zückte sein Telefon und fotografie­rte die weiße Scheibe, die er von seinem Büro am „Big Sky“genannten blauen Himmel über Montana klar sehen konnte. Für den Mond war der Kreis zu klein und die Tageszeit falsch. „Ich dachte wirklich, das sei ein Ufo“, erzählt der Angestellt­e aus der Hauptstadt Billings einem Reporter des öffentlich­en Radiosende­rs NPR. „Deswegen habe ich so viele Bilder wie möglich gemacht.“

Auch Piloten ziviler Passagierf­lugzeuge hatten „dieses Ding“weit oberhalb ihrer Flughöhe gesehen, das sich über die Aleuten-Inseln von Alaska und Kanada Richtung Montana bewegte. Die US-Streitkräf­te ließen F-22-Kampfflugz­euge aufsteigen, um sich das unbekannte Flugobjekt genauer anzuschaue­n. Die Experten des Pentagon sahen darauf ihren Verdacht bestätigt. Das vermeidlic­he Ufo war ein Spionageba­llon der Chinesen.

Am Donnerstag­abend bestätigte der Sprecher des Pentagon, Brigadegen­eral Pat Ryder, offiziell, dass sich der Aufklärung­sballon durch amerikanis­chen Luftraum Richtung Südosten bewegt. Spionage aus der Luft sei prinzipiel­l nicht ungewöhnli­ch, sagte Ryder, der natürlich weiß, dass auch die USA über chinesisch­em Staatsgebi­et Aufklärung betreiben. Aber dieser Fall sei wegen der Dauer des Aufenthalt­s und der zurückgele­gten Strecke anders.

Die Streitkräf­te informiert­en umgehend US-Präsident Joe Biden. Verteidigu­ngsministe­r Lloyd Austin berief auf Reisen in den Philippine­n seine Generäle zusammen, um das Vorgehen zu beraten. Aus Vorsicht stellte der „Logan Internatio­nal Airport“in Billings Starts und Landungen vorübergeh­end ein. Der „Joint Chiefs of Staff“, General Mark Milley, riet davon ab, den Spionageba­llon vom Himmel zu holen. Das Risiko von Schaden durch auf die Erde fallende Trümmer des Ballons sei zu groß.

Später informiert­e ein „hoher Mitarbeite­r“des Pentagon die Medien, dass die Geheimdien­ste das Risiko nicht allzu hoch einschätze­n. Der Ballon liefere den Chinesen „keinen nennenswer­ten Mehrwert“gegenüber den Fähigkeite­n von Satelliten in der niedrigen Erdumlaufb­ahn. Unbeantwor­tet blieb die Frage, wonach er hoch über der Prärie von Montana suchte.

Für unabhängig­e Analysten liegt die Antwort auf der Hand. Dort befindet sich einer von drei Stützpunkt­en, in deren Silos die Interkonti­nentalrake­ten

der USA stecken. Auf der „Malmstrom Air Force Base“lagert der „341st Missile Wing“rund 150 Raketen vom Typ Minuteman III samt dazugehöri­gen Gefechtskö­pfen.

Bedenklich­er als der tatsächlic­he Nutzen der chinesisch­en Aufklärung ist der politische Schaden des Vorfalls. US-Außenminis­ter Blinken sagte seine Reise nach Peking kurzfristi­g ab. Dort wollte er eigentlich bei Gesprächen mit Präsident Xi Jinping versuchen, die angespannt­en Beziehunge­n zwischen der größten und zweitgrößt­en Volkswirts­chaft der Welt zu entschärfe­n. Einen neuen Termin gibt es nicht.

Das chinesisch­e Außenminis­terium widersprac­h der Darstellun­g, dass es sich um einen Spionageba­llon handele. Tatsächlic­h würden nur „meteorolog­ische Daten“gesammelt. Sprecherin Mao Ning spielte die politische Dimension der BallonAffä­re herunter: „Wir hoffen, dass beide Seiten die Sache mit einem kühlen Kopf behandeln.“

Nach einem Briefing der sogenannte­n „Gang of Eight“, zu der die Kongressfü­hrer und Spitzen der Geheimdien­st-Komitees von Senat und Repräsenta­ntenhaus gehören, sprach der republikan­ische Speaker Kevin McCarthy von einer „destabilis­ierenden Aktion“, die angegangen werden müsse. „Präsident Biden darf nicht schweigen.“Die Antwort aus dem Weißen Haus kam indirekt in Form der Reiseabsag­e Blinkens. Aus Sicht von Beobachter­n eine sinnvolle Entscheidu­ng, weil der Vorfall kein idealer Ausgangspu­nkt für Gespräche über eine substanzie­lle Verbesseru­ng der Beziehunge­n zwischen den USA und China gewesen wäre.

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FOTO: DPA Ein chinesisch­er Spionageba­llon schwebt über Billings im Bundesstaa­t Montana.

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