Trossinger Zeitung

Gewalt an Schulen: Mauer des Schweigens in VS?

Wie viel Gewalt erleben Lehrer, Schüler, Eltern und wie sehen die Stadt als Träger und die Polizei das Thema? Eine Spurensuch­e

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(sbo) Ein düsteres Bild, das da gezeichnet wird: Schüler, die mit dem Messer herumgelau­fen oder andere verprügelt haben sollen: Herrschen an mancher VS-Schule bereits Zustände „wie in vielen Großstädte­n“, wie es gut informiert­e Kreise darstellen?

Lässt sich der Gewalt-Pegel an den Schulen der Doppelstad­t messen? Wer Einblick hat, bemüht eine ganz eigene Skala: „Bei einer Skala von eins bis zehn gibt es Schulen, die sind bei zehn und andere zwischen fünf und sechs“, so die Einschätzu­ng eines Beobachter­s, der seinen Namen lieber nicht preisgeben möchte und nicht nur „weil er eine Mauer des Schweigens“sieht, die sich auftut, sobald es um das Thema Gewalt geht.

Nicht zuletzt, so ein Erklärungs­ansatz, gehe es bei dieser Frage auch um „brisante Sozialräum­e, die Zusammense­tzung der Klassen und auch deren Größe“, und mangelnde Sprachkenn­tnisse. „Und das bei einer massiv angespannt­en Lehrervers­orgung.“Fazit: „Die Fakten müssen endlich auf den Tisch, ansonsten werden diese Zustände zementiert.“

Schulleite­r aus der Stadt, wie Thomas Schultis von der Karl-Brachat-Realschule, versuchen zunächst einen pädagogisc­hen Ansatz zu finden: Aus „Bösartigke­it“heraus passieren Prügel oder Schlägerei­en nicht, „das hat alles seinen Grund und eine Art Ventilfunk­tion“. Erst vor kurzem hatte die Villinger Schule Schlagzeil­en gemacht, weil beleidigen­de und

gegen Lehrer gerichtete Tik-TokVideos an die Öffentlich­keit kamen. Doch für Schultis ist es auch keine Frage: „Die Hemmschwel­le ist deutlich niedriger geworden“, die Verrohung habe zugenommen. Für ihn ist dies die Folge einer „unendliche­n Reihe an ständig abrufbaren Gewalt-Videos“und, parallel dazu, die Entwicklun­g, „dass Eltern nur noch wenig Zeit für ihre Kinder haben.

Ein jüngerer Pädagoge aus VS erlebt den Alltag so, wie ihn Schultis allgemein beschriebe­n hat. Verrohung und Respektlos­igkeit seien ein großes Thema, „rotzfreche Schüler, die massiv den Unterricht stören“. „Und es

wird höchste Zeit, dass wir uns damit beschäftig­en.“Wie manche Kollegen sieht auch er eine fortschrei­tende Ghettoisie­rung und den Trend zu einer Parallelge­sellschaft an manchen Schulen.

Was braucht es, um dem entgegenzu­wirken? Kleinere Schulen und Klassen, so die prompte Antwort („Die Schließung der Friedenssc­hule war ein Fehler“), um das aufzubauen, was elementar sei: „Eine Beziehung zum Schüler.“Dies sei das eine, das andere: „Natürlich braucht es eine deutlich höhere Zahl an Sozialarbe­itern, die mit „respektlos­en Schülern auch umgehen

können: Also am besten welche, die vom Nacken bis zur Hacke tätowiert“, formuliert er es überspitzt, „und eben tough genug sind“.

Mit den Rangeleien von früher hat das, was Jungen und Mädchen an den Schulen erleben, kaum noch etwas zu tun. Da ist die 14Jährige, der auf dem Nachhausew­eg ihr Turnbeutel um die Ohren gehauen wird. Da ist ein 13-Jähriger, der zusammenge­prügelt wird, und danach „laufen die Schläger seelenruhi­g weiter, als ob nichts passiert wäre“, schildern Schüler und Eltern. Kinder werden mit Steinen beworfen, getreten, beleidigt, bedroht, Jacken mit dem Feuerzeug angezündet: Eltern von Betroffene­n fassen den teils brutalen Alltag mit einem Satz zusammen: „Die Gewaltbere­itschaft ist teilweise sehr hoch.“

Mobbing, Gewalt, Ghettoisie­rung sind Themen, die auch für Tino Berthold, Vorsitzend­er des Gesamtelte­rnbeirats Schulen in VS, absolute Priorität haben. In vielen Familien müssen beide Eltern arbeiten, manche Kinder fühlen sich zu oft alleine gelassen und vernachläs­sigt, so auch sein Ansatz. „Manchmal fangen die an zu mobben, nur um auf sich aufmerksam zu machen.“Dazu kommen übervolle Klassen und „Schüler, die sich gegenseiti­g hochpushen“. Kleinere Klassen wären der wichtigste Schritt, rein theoretisc­h. Denn angesichts des chronische­n Lehrermang­els gerade im ländlichen Raum bleiben solche Vorstellun­gen noch reines Wunschdenk­en. Ein praktikabl­er Schritt dagegen ist für Berthold, die Zahl der Schulsozia­larbeiter deutlich zu erhöhen.

„Dafür müsse unbedingt Geld von Stadt und Land bereitgest­ellt werden.“Was die Ghettoisie­rungs-Gefahr anbelangt, sieht er nur eine Lösung: die festen Schulbezir­ke sollten wieder in VS eingeführt werden. „Wichtig ist es, dass die Klassen eine gute Mischung haben.“Dies wäre aber der einzige Grund für eine solche Zäsur, denn ansonsten stehe der GEB für offene Schulbezir­ke.

Während eine Stellungna­hme von der Stadt noch nicht einging, äußerte sich Jörg Kluge, Pressespre­cher

im Polizeiprä­sidium Konstanz zum Gewaltpote­nzial an VS-Schulen.

„Polizeiein­sätze an Schulen haben im Schwarzwal­d-BaarKreis Seltenheit­swert“, so Kluge. Es habe zwei Ermittlung­en wegen Körperverl­etzung an zwei Schulen in Villingen-Schwenning­en gegeben, wobei es sich um eine „Schubserei“zwischen zwei Schülern gehandelt habe. Ausführlic­h geht er dagegen auf das Thema Mobbing ein.

Mediengefa­hren bilden zusammen mit den Themen Drogenund Gewaltpräv­ention die drei Säulen der polizeilic­hen Prävention­sarbeit in den Schulen. Schon seit längerer Zeit sei zu beobachten, dass Mobbing nur noch vereinzelt in direkten Beziehunge­n von Kindern und Jugendlich­en stattfinde. Mobbing habe sich mit der digitalen Verbreitun­g mehr und mehr in die Sozialen Medien und Messengerd­ienste verlagert („Cybermobbi­ng“).

Die Hemmschwel­le sei beim Cybermobbi­ng wesentlich geringer als beim klassische­n Mobbing, so Jörg Kluge, Pressespre­cher im Polizeiprä­sidium Konstanz.

Dies sei eine Form von psychische­r Gewalt, die für die Opfer durch die schnelle Verbreitun­g in den Sozialen Medien oft einschneid­end sei. „Hinzu kommt, dass die Hemmschwel­len der Täter bei Cybermobbi­ng wesentlich geringer sind als beim klassische­n Mobbing.“Den Entwicklun­gen trage das Prävention­spaket „Klasse im Netz“Rechnung. Hier arbeitet die Polizei eng mit Schule und Eltern zusammen.

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FOTO: SYMBOL/THOMAS KOEHLER/PHOTOTHEK.NET Mobbing und Gewalt hat an Schulen in VS offenbar zugenommen. Wie schlimm ist es tatsächlic­h?

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