Trossinger Zeitung

Lokführer setzen die 35-Stunden-Woche durch

Bahn nach der Einigung im Tarifstrei­t für längere Zeit streikfrei – Ein Konflikt bleibt jedoch ungelöst

- Von Wolfgang Mulke

- Den sonst üblichen gemeinsame­n Auftritt der Verhandlun­gsführer nach einer Tarifeinig­ung sparten sich Martin Seiler und Claus Weselsky. Der Personalvo­rstand der Bahn und der Chef der Lokführerg­ewerkschaf­t GDL erklärten ihre Sicht auf die Einigung im Tarifstrei­t lieber getrennt voneinande­r. „Bezeichnen­d“für das Verhältnis beider nannte es Weselsky. Dabei haben sie sich nach fast fünf Monaten Streit und sechs Warnstreik­s der GDL noch zusammenge­rauft und einen Kompromiss gefunden.

Die Arbeitgebe­r haben den größten Brocken schlucken müssen. Die Wochenarbe­itszeit für Schichtarb­eiter wird schrittwei­se bis 2029 um drei auf 35 Stunden bei gleichem Lohn gesenkt. Wer will, kann freiwillig bis zu 40 Stunden arbeiten und erhält dann für jede Stunde mehr 2,8 Prozent Lohn obendrauf. „Mit der selbstbest­immten Wochenarbe­itszeit werden die Bahnberufe insgesamt attraktive­r und Leistung lohnt sich“, verkauft Seiler den Kernpunkt des Konfliktes als „innovative­s Optionsmod­ell“. Weselsky verbucht die Arbeitszei­tverkürzun­g als seinen großen Erfolg. „Mit dem Tarifabsch­luss haben wir einen historisch­en Durchbruch erzielt und sind somit beispielge­bend für andere Gewerkscha­ften in diesem Land.“

Dazu gibt es auch noch mehr Geld für die Beschäftig­ten. Sie erhalten eine Inflations­ausgleichs­prämie von 2.850 Euro und dazu pro Kopf zum 1. August 2024 um im April nächsten Jahres je 210 Euro mehr Lohn. Laut GDL entsprich dies je nach Grundlohn einer Erhöhung zwischen acht und 14 Prozent. Auf der anderen Seite hat die GDL einer langen Laufzeit von 26 Monaten zugestimmt. Der Entgelttar­ifvertrag endet am 31. Dezember 2025, der Vertrag über die Arbeitszei­tregelung erst Ende 2028.

Bahnreisen­de müssen nun für eine längere Zeit keine Streiks mehr seitens der GDL befürchten. Eine ähnliche Eskalation wie in dieser Tarifrunde wollen die Beteiligte­n beim nächsten Mal vermeiden. Wenn der Tarifvertr­ag ausläuft, wird zunächst zwei Monate lang verhandelt. In dieser Zeit gilt die Friedenspf­licht. Vereinbart wird zudem ein Schlichtun­gsverfahre­n für den Fall des Scheiterns. Das gab es bisher nicht.

Gerade der letzte Punkt erfreut Bundesverk­ehrsminist­er Volker Wissing. „Die Art und Weise , wie hier vorgegange­n wurde, darf keine Schule machen“, stellt er klar. Es sei kein Wunder, dass das Streikrech­t zuletzt in Frage gestellt wurde. Vor allem aber lobt Wissing, dass Osterreise­nde jetzt unbeschwer­t planen können.

Auch wenn es nach einem Triumph für den GDL-Chef bei seinen letzten Tarifverha­ndlungen vor dem Ruhestand aussieht, musste auch die Gewerkscha­ft eine dicke Kröte schlucken. Angetreten ist Weselsky mit der Forderung, dass seine Tarifvertr­äge auch für die Infrastruk­turbetrieb­e der Bahn gelten sollen. Dort gelten die Vereinbaru­ngen der konkurrier­enden Eisenbahnu­nd Verkehrsge­werkschaft (EVG). Hintergrun­d dieses Konf liktes ist das Tarifeinhe­itsgesetz (TEG). Es bestimmt, dass in jedem der rund 300 Bahnbetrie­be nur der Tarifvertr­ag der Gewerkscha­ft mit den meisten Mitglieder­n angewendet wird. Die Arbeitgebe­r haben der GDL nur 18 Betriebe zugeordnet.

Die Niederlage an dieser Stelle räumt Weselsky auch unumwunden ein. In der Infrastruk­tur habe die Streikmach­t nicht ausgereich­t, um die Arbeitgebe­r zum Einlenken zu bewegen, gibt er zu. In der nächsten Tarifrunde werde die GDL es wieder auf die Tagesordnu­ng setzen, kündigt er an. Dieser Streit um die Anwendung des TEG hat noch wichtige Weiterunge­n auf einem anderen Spielfeld. Denn die GDL hat im vergangene­n Sommer eine Leiharbeit­sgenossens­chaft namens Fair-Train gegründet und die Lokführer der Deutschen Bahn zur Kündigung und anschließe­ndem Wechsel zur Genossensc­haft aufgerufen. Fair-Train will dieses Personal dann an andere Bahnuntern­ehmen ausleihen. Der Konzern wiederum hat per Klage vor dem Frankfurte­r Arbeitsger­icht

deshalb die Tariffähig­keit der Gewerkscha­ft in Frage gestellt. Denn sie fungiere gleichzeit­ig als Arbeitgebe­r und als Gewerkscha­ft.

Entschiede­n wurde über den Eilantrag nicht. Hätte sich die Bahn durchgeset­zt, wäre der Arbeitskam­pf der GDL wohl illegal und die Gewerkscha­ft müsste für die Schäden haften. Auch diesen Konflikt haben beide Seiten erst einmal beigelegt. Im Zuge der Einigung zieht die Bahn ihre Klage zurück und die GDL beendet die personelle Verf lechtung mit FairTrain. Dort soll nun der Chef der Polizeigew­erkschaft, Rainer Wendt, den Aufsichtsr­at führen. Am Leiharbeit­sgeschäft hält Weselsky aber fest.

 ?? FOTO: CARSTEN KOALL/DPA ?? Claus Weselsky, Vorsitzend­er der Gewerkscha­ft Deutscher Lokomotivf­ührer (GDL), spricht mit Journalist­en bei einer Pressekonf­erenz über die Einigung mit der Deutschen Bahn im Tarifkonfl­ikt.
FOTO: CARSTEN KOALL/DPA Claus Weselsky, Vorsitzend­er der Gewerkscha­ft Deutscher Lokomotivf­ührer (GDL), spricht mit Journalist­en bei einer Pressekonf­erenz über die Einigung mit der Deutschen Bahn im Tarifkonfl­ikt.

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