Lokführer setzen die 35-Stunden-Woche durch
Bahn nach der Einigung im Tarifstreit für längere Zeit streikfrei – Ein Konflikt bleibt jedoch ungelöst
- Den sonst üblichen gemeinsamen Auftritt der Verhandlungsführer nach einer Tarifeinigung sparten sich Martin Seiler und Claus Weselsky. Der Personalvorstand der Bahn und der Chef der Lokführergewerkschaft GDL erklärten ihre Sicht auf die Einigung im Tarifstreit lieber getrennt voneinander. „Bezeichnend“für das Verhältnis beider nannte es Weselsky. Dabei haben sie sich nach fast fünf Monaten Streit und sechs Warnstreiks der GDL noch zusammengerauft und einen Kompromiss gefunden.
Die Arbeitgeber haben den größten Brocken schlucken müssen. Die Wochenarbeitszeit für Schichtarbeiter wird schrittweise bis 2029 um drei auf 35 Stunden bei gleichem Lohn gesenkt. Wer will, kann freiwillig bis zu 40 Stunden arbeiten und erhält dann für jede Stunde mehr 2,8 Prozent Lohn obendrauf. „Mit der selbstbestimmten Wochenarbeitszeit werden die Bahnberufe insgesamt attraktiver und Leistung lohnt sich“, verkauft Seiler den Kernpunkt des Konfliktes als „innovatives Optionsmodell“. Weselsky verbucht die Arbeitszeitverkürzung als seinen großen Erfolg. „Mit dem Tarifabschluss haben wir einen historischen Durchbruch erzielt und sind somit beispielgebend für andere Gewerkschaften in diesem Land.“
Dazu gibt es auch noch mehr Geld für die Beschäftigten. Sie erhalten eine Inflationsausgleichsprämie von 2.850 Euro und dazu pro Kopf zum 1. August 2024 um im April nächsten Jahres je 210 Euro mehr Lohn. Laut GDL entsprich dies je nach Grundlohn einer Erhöhung zwischen acht und 14 Prozent. Auf der anderen Seite hat die GDL einer langen Laufzeit von 26 Monaten zugestimmt. Der Entgelttarifvertrag endet am 31. Dezember 2025, der Vertrag über die Arbeitszeitregelung erst Ende 2028.
Bahnreisende müssen nun für eine längere Zeit keine Streiks mehr seitens der GDL befürchten. Eine ähnliche Eskalation wie in dieser Tarifrunde wollen die Beteiligten beim nächsten Mal vermeiden. Wenn der Tarifvertrag ausläuft, wird zunächst zwei Monate lang verhandelt. In dieser Zeit gilt die Friedenspflicht. Vereinbart wird zudem ein Schlichtungsverfahren für den Fall des Scheiterns. Das gab es bisher nicht.
Gerade der letzte Punkt erfreut Bundesverkehrsminister Volker Wissing. „Die Art und Weise , wie hier vorgegangen wurde, darf keine Schule machen“, stellt er klar. Es sei kein Wunder, dass das Streikrecht zuletzt in Frage gestellt wurde. Vor allem aber lobt Wissing, dass Osterreisende jetzt unbeschwert planen können.
Auch wenn es nach einem Triumph für den GDL-Chef bei seinen letzten Tarifverhandlungen vor dem Ruhestand aussieht, musste auch die Gewerkschaft eine dicke Kröte schlucken. Angetreten ist Weselsky mit der Forderung, dass seine Tarifverträge auch für die Infrastrukturbetriebe der Bahn gelten sollen. Dort gelten die Vereinbarungen der konkurrierenden Eisenbahnund Verkehrsgewerkschaft (EVG). Hintergrund dieses Konf liktes ist das Tarifeinheitsgesetz (TEG). Es bestimmt, dass in jedem der rund 300 Bahnbetriebe nur der Tarifvertrag der Gewerkschaft mit den meisten Mitgliedern angewendet wird. Die Arbeitgeber haben der GDL nur 18 Betriebe zugeordnet.
Die Niederlage an dieser Stelle räumt Weselsky auch unumwunden ein. In der Infrastruktur habe die Streikmacht nicht ausgereicht, um die Arbeitgeber zum Einlenken zu bewegen, gibt er zu. In der nächsten Tarifrunde werde die GDL es wieder auf die Tagesordnung setzen, kündigt er an. Dieser Streit um die Anwendung des TEG hat noch wichtige Weiterungen auf einem anderen Spielfeld. Denn die GDL hat im vergangenen Sommer eine Leiharbeitsgenossenschaft namens Fair-Train gegründet und die Lokführer der Deutschen Bahn zur Kündigung und anschließendem Wechsel zur Genossenschaft aufgerufen. Fair-Train will dieses Personal dann an andere Bahnunternehmen ausleihen. Der Konzern wiederum hat per Klage vor dem Frankfurter Arbeitsgericht
deshalb die Tariffähigkeit der Gewerkschaft in Frage gestellt. Denn sie fungiere gleichzeitig als Arbeitgeber und als Gewerkschaft.
Entschieden wurde über den Eilantrag nicht. Hätte sich die Bahn durchgesetzt, wäre der Arbeitskampf der GDL wohl illegal und die Gewerkschaft müsste für die Schäden haften. Auch diesen Konflikt haben beide Seiten erst einmal beigelegt. Im Zuge der Einigung zieht die Bahn ihre Klage zurück und die GDL beendet die personelle Verf lechtung mit FairTrain. Dort soll nun der Chef der Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, den Aufsichtsrat führen. Am Leiharbeitsgeschäft hält Weselsky aber fest.