Container-Riese kracht in Autobahnbrücke
Katastrophe in Baltimore – Fahrzeuge stürzen in die Tiefe – Retter suchen nach Opfern
(dpa) - Es ist noch dunkel, als das Containerschiff „Dali“in der Nähe der US-Metropole Baltimore in der Nacht zum Dienstag plötzlich den Antrieb verliert. Der schwerbeladene Frachter rammt einen Pfeiler der Francis Scott Key Bridge und bringt die vierspurige und mehr als 2,5 Kilometer lange Autobrücke zum Einsturz. Erst mit dem Sonnenaufgang wird das Ausmaß des Kollapses richtig sichtbar: Die Bogenstreben der Brücke, die als Teil der überregionalen Verkehrsader Interstate 695 den Hafen der Ostküsten-Metropole überspannte, ragen wie ein Gerippe aus dem Wasser.
Polizei und Rettungskräfte suchten nach dem Einsturz der Brücke im US-Bundesstaat Maryland aus der Luft und mit Tauchern im Wasser weiter nach Überlebenden. Offiziellen Angaben zufolge werden am Dienstagnachmittag (Ortszeit) noch sechs Menschen vermisst, zwei konnten bereits gerettet werden.
US-Präsident Joe Biden sprach von einem „schrecklichen Unfall“und versprach weitreichende finanzielle Hilfe zum Wiederaufbau der Brücke. Zuvor hatte die zuständige Hafenbehörde den Schiffsverkehr dort bis auf Weiteres ausgesetzt. Scheinbar half ein Notsignal der Schiffsbesatzung dabei, Schlimmeres zu verhindern.
Auf dem Schiff hatte es ersten Erkenntnissen zufolge ein Problem mit dem Strom gegeben. Der Crew sei es aber gelungen, die Behörden in Maryland mit einem Notsignal davor zu warnen, dass das Schiff die Kontrolle verloren habe. So seien die Beamten in der Lage gewesen, den Verkehr zu stoppen, damit nicht noch mehr Autos auf die Brücke gelangten, „was zweifellos Leben rettete“, sagte Biden. Es gebe keine Hinweise auf einen Terroranschlag oder eine vorsätzliche Tat, alles deute auf einen Unfall hin. Ein Ermittler der Bundespolizei FBI hatte sich zuvor ähnlich geäußert.
Man gehe davon aus, dass es sich bei den Opfern um Bauarbeiter handele, teilte der Verkehrsminister von Maryland, Paul Wiedefeld, mit. Nach den Vermissten werde aktiv gesucht. Die Bauarbeiter auf der Brücke hatten demzufolge Schlaglöcher repariert, es habe sich nicht um Bauarbeiten an der Struktur der Brücke gehandelt. Ingenieure seien vor Ort, um den Zustand der Brücke und das Trümmerfeld näher zu untersuchen.
Neben Hilfe aus der Luft und vom Wasser aus wurde für die Rettungsaktion nach Angaben der Behörden auch Infrarot- und Sonar-Technologie eingesetzt. Auf diese Weise seien fünf Fahrzeuge unter Wasser identifiziert worden, darunter drei Autos und ein Betonmischer. Ob sich in den Fahrzeugen Menschen befanden, teilten die Behörden zunächst nicht mit.
Gegen 1.40 Uhr (Ortszeit) waren offiziellen Angaben zufolge erste Notrufe eingegangen. Bereits um 1.50 Uhr seien Einsatzkräfte vor Ort gewesen. Auf Videos einer Überwachungskamera, die in sozialen Netzwerken verbreitet wurden, war zu sehen, wie das Schiff einen der Stützpfeiler rammte und daraufhin große Teile der Brücke ins Wasser stürzten. US-Medien berichteten unter Berufung auf einen örtlichen Behördenmitarbeiter, dass das Wasser an der Stelle rund 15 Meter tief sei und es starke Strömungen gebe. Die Wassertemperatur lag den Berichten zufolge am frühen Morgen bei etwas unter zehn Grad.
Eine CBS-Reporterin vor Ort berichtete sichtlich geschockt, die Brücke sei „im Prinzip komplett verschwunden“. Bei der Brücke handelt es sich um die Francis Scott Key Bridge, die über den Patapsco River führt.
Auf dem Schiff selbst gebe es keine Verletzten, berichtete die „New York Times“. Das knapp 290 Meter lange Schiff mit dem Namen „Dali“sollte unter der Flagge Singapurs von Baltimore nach Sri Lanka fahren, berichteten die Zeitung unter Berufung auf die Küstenwache. Das von der Chartergesellschaft Synergy Group betriebene Schiff sei von Maersk auf Zeit gechartert worden, hieß es in einer Mitteilung des dänischen Reedereiunternehmens Maersk. Darauf soll Fracht von Maersk-Kunden transportiert worden sein. Den Angaben zufolge sei keine Besatzung oder Personal von Maersk auf dem Schiff gewesen. Maersk ist hinter MSC die weltweit zweitgrößte Containerreederei.
Ein Unfall dieser Art ist selten, aber weltweit betrachtet kein Einzelfall: Erst im Februar 2024 starben in der südchinesischen Provinz Guangdong fünf Menschen, nachdem ein Frachter eine Autobrücke gerammt und teilweise zum Einsturz gebracht hatte. In Brasilien stürzte im April 2019 eine fast 900 Meter lange Straßenbrücke über den Moju-Fluss ein, nachdem eine Fähre einen der massiven Pfeiler gerammt hatte.
Im US-Bundesstaat Kentucky riss im Januar 2012 ein mit Raketenteilen für die US-Luftwaffe und die Raumfahrtbehörde Nasa beladenes Schiff eine mehr als 90 Meter lange Lücke in eine Straßenbrücke. Der Kapitän war eine falsche Route unter der Brücke gefahren, die nur für Wassersportler, nicht aber für schwere Schiffe ausgewiesen war.