Trekking und tierische Begegnungen
Trossinger Bergsteiger Stefan Kunz kommt dem Gipfel näher - Teil 2 der Serie
(sz) - Der Trossinger Bergsteiger Stefan Kunz will den Mount Kenia besteigen. Für die Trossinger Zeitung berichtet er im zweiten Teil seiner Serie über das Trekking
Mitten in der Nacht sitze ich in meinem kleinen Einzelzelt am Lake Ellis auf 3.455 Metern Höhe und sehe mit Schrecken zu, wie das Wasser durch die Bodenplane durchdrückt. Es hatte schon die ganze Nacht geregnet, und obwohl das Zelt von oben her dicht blieb kam die Feuchtigkeit nun von unten herein.
Um 3 Uhr nachts versuche ich den Schaden zu begrenzen und packe meinen großen Duff le Bag, den Tagesrucksack und was sonst noch herumliegt auf die eine Hälfte der Matratze, auf der verbleibenden Hälfte sitze ich und versuche die Nacht zu überdauern. An Schlaf ist nicht mehr zu denken, und ich wundere mich über allerlei seltsame Geräusche, die ich zusätzlich zum prasselnden Regen höre. Am verwunderlichsten ist ein immer wiederkehrendes, grässliches Kreischen, welches ich allerdings nicht deuten kann.
Als ich nach überstandener Nacht am anderen Morgen aus dem Zelt krieche, setzt der eigentliche Schrecken ein. Und es ist nicht die Information von unserem Trekkingführer Stanley, dass das Kreischen in der Nacht drei Hyänen waren, die durchs Camp schlichen. Er hatte sie zwar nicht direkt gesehen, aber als er mit der Taschenlampe umhergeleuchtet hatte, sah er ihre Augenpaare aufleuchten. Drei Hyänen, wie er sagt. Nein, den eigentlichen Schrecken bekomme ich, als mein Blick über den Lake Ellis zu den noch entfernten, aber doch gut sichtbaren Gipfeln des Mount Kenias geht.
Während es bei uns geregnet hatte, muss es dort oben massiv geschneit haben. Die Gipfel sind
schneeweiß! Ich weiß, was das bedeutet, und ich kann mir nicht vorstellen, dass wir unter diesen Bedingungen in drei Tagen einen Gipfelgang machen können. Mein Bauchgefühl sagt mir, dass das bereits das Ende unserer Bergexpedition war.
Dabei hatte alles so gut angefangen. Zwei Tage zuvor fahren wir die 190 Kilometer von Nairobi nach Chogoria, um dort auf ein Allrad-Fahrzeug zu wechseln, welches uns in den Nationalpark bringt. Die Anmeldung bei der Rangerstation verläuft ohne Zwischenfälle. Obwohl wir zwar holprig, aber dennoch ganz gemütlich bis ins Camp auf knapp 3.000 Meter Höhe hätten fahren können, steigen Bernhard und ich vorher aus um die letzten 430 Höhenmeter und fünf Kilometer der Akklimatisation wegen zu laufen.
Im Camp haben wir zum ersten Mal den Überblick über unsere kleine Expedition mit zwei Teilnehmern: Zwei kleine Einzelzelte, ein Zelt für die Küchenmannschaft
sowie ein größeres Essenszelt, welches in der Nacht zugleich als Schlafraum für die Träger dient. Mit Staunen registriere ich, dass dafür eine 12-köpfige Mannschaft aus Führern, Trägern und Küchenleuten notwendig ist.
In der Nähe des Camps liegt etwas versteckt ein Wasserloch, an welchem wir in einiger Entfernung etliche Wasserböcke und weit dahinter eine Herde Wasserbüffel beobachten können. Unweit vom Camp liegen einige große Haufen Elefantendung, auch wenn wir die Dickhäuter selbst leider nicht zu Gesicht bekommen. Für mich ist aber eines der kleineren Tiere am ersten Trekkingtag zum Lake Ellis das Highlight: Ein kleines Chamäleon sitzt im struppigen Gras und ärgert sich über unsere unliebsame Störung im wahrsten Sinne des Wortes grün und blau.
Der viertägige Anmarsch zum zentral liegenden Bergmassiv über die Chogoria-Route soll zu den schönsten im Mount-KeniaNationalpark
gehören. Dieser wurde 1949 gegründet und 1997 zum UNESCO-Weltnaturerbe erklärt. Die Vegetationszonen ähneln denen am Kilimandscharo: Die Trockensavanne geht in einen dichten, tropischen Urwald über, dessen riesige Bäume bis zu einer Höhe von rund 3.200 Metern wachsen.
Das Waldgebiet des Mount Kenya ist mit 2.000 Quadratkilometern der größte noch bestehende Urwald in Kenia. Danach dominiert eine Gras- und Buschlandschaft mit riesigen Büscheln aus stacheligem Tussockgras und prächtigen Wildblumen die Szenerie. Oberhalb von 4.000 Metern schließlich liegt die alpine Zone mit den äußerst beeindruckenden, endemischen Riesen-Senezien und -Lobelien, welche der Landschaft das charakteristische, exotische Bild verleihen.
Wir erreichen diese Zone nach einem weiteren langen Trekkingtag vom Lake Ellis zum Lake Michaelson am oberen Ende der Nithi-Schlucht. Ein Abstecher hatte uns zwischendurch zum sehenswerten Nithi-Wasserfall gebracht. Das Camp auf knapp 4.000 Metern Höhe ist unbestritten das schönste auf der Tour. Direkt am See gelegen, inmitten von Riesenlobelien und anderen wundersamen Pf lanzen, sind wir mit unserer kleinen Gruppe so gut wie allein. Putzige Klippschliefer, die kenianische, größere Ausgabe unserer Murmeltiere, grasen rund um das Camp, einmal zähle ich zwölf Tiere auf einmal. Unter den Vögeln, die um unseren Campingtisch hüpfen in der Hoffnung einen Happen abzubekommen, sind auch Rotschwingenstare.
Auf der letzten Etappe, bei welcher wir über den 4.985 Meter hohen, anspruchsvollen Trekkinggipfel Lenana bis zur Austrian Hut wandern, steigen wir zunächst 200 Höhenmeter aus der Nithi-Schlucht heraus. Der Blick öffnet sich erstmal vollumfänglich zum Massiv des Mount Kenia und dessen beiden Hauptgipfel Nelion und Batian und ich traue meinen Augen kaum: In nur zwei Tagen scheint der gesamte Schnee geschmolzen und die Gipfel schneefrei zu sein!
Mit neuer Motivation bewältigen wir die knapp 1.000 Höhenmeter zum Gipfel des Lenana, auch wenn diese noch anstrengender werden als gedacht. Der vierthöchste Gipfel von Afrika hat kurz vor dem Ziel noch einen Lacher parat in Form eines Schildes mit der Aufschrift „Höchster Klettersteig der Welt“. Verwundert bleibt mein Blick kurz an den neun Eisenstufen hängen, die links davon in den Fels gehauen sind, bevor ich über diese endgültig zum Gipfel emporsteige.
Einige Zeit später studiere ich die wolkenverhangene, imposante Felswand des Nelion vom Camp aus auf über 4.700 Metern. Nach dem kurzen Gespräch mit den Kletterführern ist es noch unklar ob das Wetter passt, um früh am anderen Morgen den Gipfelversuch wagen zu können. Eines ist aber vollkommen klar: Einen Klettersteig wird es nicht geben, sondern harte und lange Kletterei in großer Höhe!