Ein Kader voller Kumpels
Nach den erfolgreichen Tests steht Nagelsmanns EM-Team so früh wie nie zuvor
- Die Stadionregie des Frankfurter Deutsche Bank Parks hatte ein gutes Händchen am Dienstagabend: Direkt nach dem Abpfiff dröhnte passenderweise „Don’t stop me now“von Queen über die Lautsprecher. Mit diesem Song und ganz viel Schwung ging das DFB-Team nach dem 2:1-Sieg im Klassiker gegen die Niederlande auf die Ehrenrunde.
In nur einem Länderspielfenster konnte mit zwei Erfolgen binnen vier Tagen gegen zwei europäische Großkaliber die Stimmung im Lande komplett gedreht, Vorfreude und Euphorie mit Blick auf die Heim-EM erzeugt werden. Für Sender RTL war die Partie die erfolgreichste Länderspiel-Übertragung seit März 2019 mit im Durchschnitt 10,81 Millionen Zuschauern. Gerade noch rechtzeitig wurde der Flow entfacht, auf dieser Welle muss es nun weitergehen bis zum Sommer. Das Frühlingserwachen durch das 2:0 in Frankreich und das 2:1 gegen die Niederlande macht nach dem trüben November mit den Pleiten gegen die Türkei (2:3) und in Österreich (0:2) eine Menge Hoffnung.
„Ich bin stolz auf die Mannschaft. Ich weiß, dass sie aus einer sehr, sehr schweren Zeit kommt“, sagte Rückkehrer Toni Kroos bei RTL. Der 34-Jährige, der in seiner knapp dreijährigen Pause nicht viel verpasst hat, ist das Sinnbild der frisch geweckten Aufbruchstimmung. „Vor ein paar Monaten wären wir wahrscheinlich nach dem 0:1 halb zusammengebrochen, jetzt ist das aber nicht passiert.“Der freche wie mutige Linksverteidiger Maximilian Mittelstädt erzielte den Ausgleich per Traumtor, der eingewechselte Niclas Füllkrug nach Ecke von Kroos das späte Siegtor. Fazit von Taktgeber Kroos: „Es ist in der letzten Woche etwas entstanden, das vorher nicht da war. Ich hoffe, dass wir das mitnehmen. Dann können wir ein gutes Turnier spielen.“
In einer Mannschaft voller Sieger(-typen), die sich entweder einen Stammplatz oder ein Ticket für den EM-Kader gesichert haben, ist Bundestrainer Julian Nagelsmann der größte Gewinner. Durch seine mutigen Entscheidungen hat er eine klare Linie und eine neue Hierarchie ins Team gebracht „Wir haben ein gutes Fundament für die EM gelegt“, sagte Jonathan Tah während Füllkrug betonte: „Die Rollenverteilung im Team ist nun klar.“Nagelsmann hat seine Lehren aus den Lehrgängen im Oktober und November gezogen und nur noch nach Momentum nominiert. Dabei ist, wer im Flow ist. Drin ist, wer im Verein in ist. Und nicht, wer das früher mal war und vielleicht wieder werden könnte.
Es gilt das Leistungsprinzip – ohne Wenn und Aber.
„Wir versuchen, eine erste Elf einspielen zu lassen“, sagte Nagelsmann, „das heißt aber nicht, dass nicht noch Wechsel passieren können.“Allerdings nur wenige. Auf der Pressekonferenz konkretisierte der 36-Jährige: „Wer jetzt nicht dabei war, muss Vollgas geben – und besser sein als diejenigen, die dabei sind. Wir werden auf jeden Fall nicht zehn oder fünf Spieler tauschen im Sommer, das steht außer Frage. Vielleicht einen oder zwei, wenn sich niemand verletzt.“Eine deutliche Ansage an die diesmal nicht nominierten Leon Goretzka, Serge Gnabry sowie bis auf
Füllkrug nahezu alle Dortmunder Profis mit DFB-Erfahrung. Denn: Nagelsmanns EM-Kader steht so früh wie nie vor einem Turnier. Mit Ausnahme des verletzten Torhüters und Kapitäns Manuel Neuer und des wegen einer Sperre abwesenten Leroy Sané, mit dem sich Nagelsmann in München zum Essen verabredet hat, um dessen Rolle und Perspektive zu besprechen.
Das Who is Who der Verlierer, also der jetzt Nicht-Nominierten, liest sich wie ein Ausflug in die zuletzt trostlose DFB-Vergangenheit: Mats Hummels, Niklas Süle, Malick Thiaw, Robin Gosens, Felix Nmecha, Leon Goretzka, Grischa Prömel, Julian Brandt. Jonas Hofmann,
Serge Gnabry, Marvin Ducksch sowie die Torhüter Kevin Trapp und Janis Blaswich (alle zuletzt im November im Kader), Kevin Behrens (zuletzt im Oktober berufen), Emre Can, Nico Schlotterbeck, Kevin Schade (zuletzt von Nagelsmanns Vorgänger Hansi Flick für die September-Länderspiele nominiert).
Nagelsmann hat eine Truppe zusammengestellt, die nicht nur den Spaß am Gewinnen wiedergefunden hat, sondern auch auf menschlicher Ebene bestens harmoniert. „Es ist eine sehr homogene Gruppe, die funktioniert“, sagte Füllkrug. Oder etwas jugendlicher ausgedrückt von Jamal Musiala: „Die Vibes sind echt gut.“