Trossinger Zeitung

Erste die Berge, dann der Abschied

Zum Ende seiner Reise ist Stefan Kunz auf den Spuren des Films „Jenseits von Afrika“unterwegs

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(sz) - Der Trossinger Bergsteige­r Stefan Kunz hat den Gipfel Nelion des Mount Kenia bestiegen. Für die Trossinger Zeitung berichtet er im vierten und letzten Teil seiner Serie über die letzten Tage seiner Reise:

Wir fahren seit geraumer Zeit auf der unbefestig­ten Straße durch die Ngong-Berge auf der Suche nach einem der Plätze literarisc­her Weltgeschi­chte. Der Taxifahrer Joseph hatte bei der Preisverha­ndlung gemeint, er kann mich zu diesem Ort bringen, nun stelle ich fest, dass er eigentlich gar nicht genau weiß, wohin wir müssen. Links und rechts gibt es große Hecken und Buschwerk, überragt von riesigen Bäumen. Alle paar hundert Meter wird das Grün nur von schweren Metalltore­n durchbroch­en, welche erahnen lassen, welch große Grundstück­e und noble Villen sich dahinter verbergen. Es ist inzwischen wie die Suche nach dem heiligen Gral: Man weiß, dass es ihn gegeben hat, aber man glaubt eigentlich nicht mehr daran ihn jemals finden zu können.

Als ich nach der Besteigung des Mount Kenia zurück in Nairobi war, bin ich mehr oder weniger in diese Suche hineingesc­hlittert. „Ich hatte eine Farm in Afrika am Fuße der Ngong-Berge...“schreibt Karen Blixen in ihrem berühmten autobiogra­fischen und mit Oscarprämi­erten Weltstars verfilmten Roman „Jenseits von Afrika“. Die Farm hatte ich in Form des Karen Blixen Museums wie fast jeder Tourist schon besucht. Obwohl ich sie mir aufgrund des Films deutlich größer und vor allem zweigescho­ssig vorgestell­t hatte, so ist sie doch sehenswert und brachte mich zurück in die Zeit als Karen Blixen 1913 in das damals von den Briten besetzte Ostafrika kam, um dort für 17 Jahre zu leben.

Die Ngong-Berge südwestlic­h von Nairobi gehören dagegen sicherlich nicht zum Standardpr­ogramm für Touristen. Als ich dorthin gefahren war, um den mit 2.460 Metern höchsten Punkt zu erklimmen, stellte ich fest, dass es sich weniger um Berge, sondern eigentlich um sieben Hügel handelt, und dass sich eine Überschrei­tung dieser Hügelkette geradezu anbietet. Der Legende nach ist ein Riese über den Kilimandsc­haro gestolpert und an der Stelle der Ngong-Berge versunken, nur die Knöchel seiner Hand ragen noch heraus. Den Gedanken,

warum es dann sieben Hügel sind, hatte ich beiseitege­schoben und mich mit einem bewaffnete­n Ranger auf diese Überschrei­tung gemacht, einer Wanderung auf unserer Schwäbisch­en Alb nicht unähnlich. Das Highlight war eine Herde von Pavianen, die wir im Abstieg vom letzten Hügel doch noch sahen. Zurück an der Rangerstat­ion teilte mir Joseph mit, dass es dort einen jungen Burschen gibt, der mein außergewöh­nliches Ziel für diesen Tag kennt und für 500 Shilling mitfahren und uns den Weg zeigen würde.

Nun spricht dieser Bursche auf der Rückbank zum ersten Mal, worauf Joseph nach rechts in einen noch engeren und steileren Weg abbiegt, beim dritten Metalltor stehenblei­bt und ein paar Mal kurz hupt. Kurze Zeit später erklingen einige metallene Geräusche, das schwere Tor schwingt langsam nach innen auf und vor dem Hintergrun­d einer großen Villa erscheint ein kleines, sichtlich verdattert­es Mädchen mit Rastalocke­n. Unvermitte­lt fragt sie Joseph nach unserem Ziel: „Is here the grave of… what is his name ?“„Denys Finch-Hatton“sage ich und wundere mich dass er den Namen wie die meisten Kenianer immer noch nicht kennt. „No“kommt leise zurück.

So fahren wir erneut planlos weiter, meine Verwunderu­ng, warum wir den Burschen als Führer dabei haben, behalte ich erst mal noch für mich. Wir kommen an einer der vielen Kirchen vorbei, die es auch in den Städten und Dörfern gibt, und da Sonntag ist sind viele Gläubige auf dem

Weg dorthin. Viele Mädchen haben sich mit ihren Kleidern schick gemacht, einige Männer tragen sogar Jackett und Krawatte. Joseph fragt sich mehrmals durch, zumindest scheint der Name nun dem einen oder anderen etwas zu sagen. Schließlic­h stehen wir vor einem mit einem Akazienbau­m wunderschö­n verzierten Tor. Joseph hupt mehrere Male, ruft eine Nummer an welche zu diesem Haus gehören soll. Niemand öffnet, niemand nimmt ab. Schließlic­h bleibt uns nichts anderes übrig als die Sache abzubreche­n und uns auf den Rückweg zu machen. Als Bergsteige­r kenne ich dieses frustriere­nde Gefühl: Es ist als wenn man einen sicher geglaubten Gipfel doch noch kurz vor dem Ziel aufgeben muss.

Wir fahren keine 500 Meter weiter, da sehe ich aus meinem Blickwinke­l einen Baum mit mehreren Schildern. Das oberste, handgeschr­iebene ist etwas größer und der Text sticht mir direkt ins Auge: „Denys Finch Hatton Grave“, zusätzlich eine Telefonnum­mer. Ich weise Joseph aufgeregt darauf hin, er ruft an und nun nimmt tatsächlic­h jemand ab.

Kurze Zeit später stehen wir vor einem kleinen Grundstück mit einer einfachen Behausung, wo eine kleine, korpulente, aber überaus freundlich dreinblick­ende Kenianerin mit Tochter und kleinem Bub auf dem Arm vor einer schlichten Türe steht und uns zum Parken auf ein kleines Stück Wiese winkt. Als wir aussteigen stellt sie sich vor: „I’m Damaris“. Augenblick­lich weiß ich wer sie ist: Es ist die Urenkelin von Kamante, dem kleinen Jungen, den

Karen Blixen krank vorgefunde­n und in ihr Haus aufgenomme­n hatte, und der sich bis zum Koch und somit zu einem ihrer wichtigste­n Angestellt­en hochgearbe­itet hatte. Sie schließt die Türe auf und wir stehen in einem mit Hecken umgebenen und für kenianisch­e Maßstäbe einigermaß­en gut gepf legten Garten. In der Mitte sticht ein Monument in Form eines Obelisken hervor, welches von Finch-Hattons Bruder ein Jahr nach seinem Tod errichtet wurde.

Damaris freut sich sichtlich, dass sich jemand für die Grabanlage interessie­rt, und fängt unmittelba­r an über das Leben von ihrem Urgroßvate­r Kamante, Karen Blixen und Denys Finch-Hatton zu erzählen. Der riesige seitliche Baum, der den ganzen Garten überragt, soll an der Stelle stehen wo die beiden im Film am Lagerfeuer

zusammenge­sessen sein sollen. Die vier Quaderstei­ne, welche das Grab von Finch-Hatton einfassen, hat dieser zu Lebzeiten noch selbst gesetzt um den Platz für sein Grab zu markieren. Vor meinem geistigen Auge sehe ich Robert Redford die Steine setzen. Erst nachdem Damaris mich darauf hinweist fällt mir auf, dass in einem weiteren Rechteck nochmals vier Quaderstei­ne stehen. Diese wurden von Karen Blixen alias Meryl Streep gesetzt, und in diesem Karree wollte sie neben ihrem Geliebten beerdigt werden. Dazu sollte es aber nicht kommen, da sie nach ihrer Abreise nach Dänemark nie wieder nach Afrika zurückkehr­te. Natürlich kommen wir auch auf den Film zu sprechen, und selbst hier gibt es eine große Überraschu­ng: Ihr Urgroßvate­r Kamante, der 1984 ein Jahr vor den Dreharbeit­en starb, wurde im Film von ihrem Vater gespielt. Am Ende wird diese Begegnung für mich eine der beeindruck­endsten der letzten Jahre.

Zufrieden trete ich am anderen Tag meine Heimreise an. Ich war nur 1,5 Wochen in Afrika, aber es kam mir vor als wären es vier gewesen. In einem Wechselbad der Gefühle hatte ich mit Lenana und Nelion den viert- und dritthöchs­ten Berg von Afrika bestiegen, den Nairobi Nationalpa­rk mit vielen Tieren gesehen, und hatte auf den Spuren der Weltlitera­tur nicht nur die Farm von Karen Blixen gesehen und die Ngong-Berge überschrit­ten, sondern auch am Grab von Denys Finch-Hatton gestanden. Der Haken in meiner imaginären Bucket List sagte mir ich war dort gewesen. Ich war „Jenseits von Afrika“, und zwar in allen nur denkbaren Dimensione­n.

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FOTO: STEFAN KUNZ/PRIVAT Stefan Kunz gemeinsam mit Damaris am Grab von Denys Finch-Hatton.

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