Pflege in MV in Not: Das sind die größten Baustellen
Wie Pflege künftig finanzierbar sein kann und wo die großen Probleme liegen, darüber sprach Susanne Schulz mit Maik Wolff, Leiter eines Neubrandenburger Pf legedienstes. Immer deutlicher zeigt sich personelle und finanzielle Not in der Pf lege, kürzlich erst haben Anbieter mit mehreren Standorten im Nordosten Insolvenz angemeldet. Wie zeigt sich diese Dramatik in den Gesprächen mit Politik, Branchenfachleuten und Bürgern?
Es offenbart sich, worüber wir seit einem Jahr reden: dass die Welle auch in MecklenburgVorpommern ankommt. Mit den ersten Insolvenzen ist noch nicht mal die ganze Situation abgebildet, nämlich dass weitere Unternehmen sich zurückziehen. Daher hören wir mit Sorge, wenn einige politische Akteure immer noch die gleiche Mär von sich geben. Die Landtagsdebatte im März war immerhin schon einvernehmlicher als im vorigen Jahr. Das Grundproblem sehen alle, allerdings fehlt es nach wie vor an Lösungen.
Worin sehen Sie die wichtigsten Probleme?
Das sind im Grunde drei Kernpunkte. Einer ist der Bereich Personal: die Gewinnung von Personal, die Attraktivität des Berufs, auch das Thema Ausbildung gehört dazu. Zum Zweiten geht es um Wirtschaftlichkeit, da müssen wir uns stark machen für eine nicht nur auskömmliche Finanzierung, sondern auch ein Umfeld, das Investitionen zulässt. Ein weiterer Punkt, so wichtig wie die beiden anderen zusammen, ist der Rang der Bedürftigkeit. Pf lege muss über den dringendsten Bedarf gesteuert werden, nicht darüber, wo man jemanden kennt oder was man dafür ausgeben kann. Nötig wäre dazu ein trägerübergreifendes, qualifiziertes Monitoring pflegebedürftiger Menschen, sodass jeder die Pf lege bekommt, die er wirklich benötigt. Ich bin überzeugt, dass auch Kommunen das wollen. Es findet sich nur keiner, der die Verantwortung und das Geld in die Hand nehmen will.
Wie können die Bürgerdialoge dazu die richtigen Adressaten zusammenbringen?
Klar war von Anfang an: Wir haben kein Erkenntnis-, sondern ein Umsetzungsproblem, dazu einen Verschiebebahnhof, indem die Verantwortung immer anderen Ebenen zugewiesen wird. Aber wir wollen niemanden vorführen, sondern Leute an einen Tisch bringen, um die Situation sachlich zu diskutieren und Schritt für Schritt aus der Misere zu kommen. Das ist nur gemeinsam zu schaffen.
Und mit öffentlicher Aufmerksamkeit, die ein wichtiger Antrieb sein kann?
Als jemand, der nicht groß politisch aktiv ist, erschreckt mich, dass es so ist. Aufmerksamkeit bekommt, wer laut trommelt. Okay, wir haben bewiesen, dass wir kampagnenfähig sind. Aber wir müssen dranbleiben. Neulich fragte sogar ein Fachmagazin an, warum denn gerade im Nordosten so laut getrommelt wird.
Zeichnet sich hier vielleicht ab, was anderen Bundesländern erst noch bevorsteht?
Glaube ich nicht, anderswo ist die Situation sogar noch dramatischer. Aber hier haben viele Leute Erfahrung mit existenziellen Ängsten. Viele, die sich vor Jahren selbstständig gemacht haben, stehen heute vor einem Scherbenhaufen. Aber das ist kein privatwirtschaftliches Problem, sondern das Problem, wie Pflege an sich f inanziert werden soll.
Diese Frage steht im Zentrum der insgesamt 26 Bürgerdialoge, die Ihr Netzwerk bis September in vielen Städten des Landes ausrichtet. Laufen Sie Gefahr, dass überall erst mal aufs Neue eine Zustandsbeschreibung erfolgt?
Das ist sicher so. Wir haben eine hohe Beteiligung von Fachleuten, die Beteiligung von Bürgern ist, sagen wir mal, wechselnd. Gleichwohl tragen wir vieles zusammen und versuchen vom Großen zum Kleinen zu gelangen. Die ersten Anläufe waren sehr vom Verschieben auf die große Politik geprägt, aber es gelingt uns, das herunterzubrechen. Vor den Kommunalwahlen werden wir alle Kandidaten fragen nach der Lebenssituation pflegebedürftiger Menschen in ihrem Wahlbereich und was sie für deren Verbesserung tun wollen. Wie viel Pflege sich eine Gesellschaft leisten kann, fängt in der Kommunalpolitik an.
Auf welche Weise etwa?
Ein Beispiel von hier: Zusammen mit drei anderen Trägern wollen wir in Neubrandenburg die Zahl der Pf lege-Ausbildungsplätze verstärken, unter anderem durch insgesamt 60 ausländische Auszubildende. Die brauchen Wohnraum, da ist die Kommune gefragt. Oder nehmen wir Ludwigslust-Parchim, wo wir neulich einen Bürgerdialog hatten: Da hieß es, bis 2040 würden 1000 weitere stationäre Pflegeplätze benötigt. Dafür braucht man investive Mittel, man braucht auch Personal, das braucht wiederum ebenfalls Wohnraum. Oder aber wir haben 1000 pf legebedürftige Menschen, die weiter im ambulanten Umfeld leben, und auch dafür braucht es Infrastruktur, Busverbindungen, Beratungsangebote – es geht also um mehr, als Pf legeheime zu bauen und Pflegedienste zu gründen.
Ein Handlungsfeld, das um einiges über Ihr unmittelbares Metier als Pflege-Dienstleister hinausgeht.
Ja, Pflege ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, und wir müssen dabei mit den Mitteln der Solidargemeinschaft wirtschaftlich umgehen. Wir sehen uns als Motor, weil andere diese Rolle vernachlässigen. Deshalb tragen wir Sorge, dass die Bürgerdialoge wirken können, und fordern auch im Landespflegeausschuss Mitwirkung ein. Alle Akteure, mit denen wir übers Jahr Berührung haben, wollen wir im Oktober noch einmal in Rostock zusammenbringen, um in Gruppen an einzelnen Themen zu arbeiten.
Sehen Sie denn bei der Verständigung über drängende Probleme auch Ansätze für entsprechende Lösungen?
Die sehe ich schon. Allein darin, dass Verantwortungsträger merken: Die lassen nicht locker, wir müssen uns mit der Problematik auseinandersetzen. Die ersten Arbeitsgruppen des Pakts für Pf lege kommen in Gang, darunter eine zur Personalsicherung, in der ich mich selbst sehr einbringe, ebenso beim Fallmanagement, um die Beratung für Pflegebedürftige zu verbessern. Für einen großen Wurf müssen wir natürlich noch ganz schön trommeln, und zwar so, dass es auch über die Landesgrenzen hinaus bis nach Berlin gehört wird.
Weitere Bürgerdialoge des Netzwerks „Zukunftsfeste Pf lege“sind geplant unter anderem in Malchin (17. April), Jarmen (24. April), Anklam (22. Mai), Güstrow (29. Mai), Neustrelitz (5. Juni), Wolgast (19. Juni), Waren (26. Juni), Demmin (10. Juli), Pasewalk (17. Juli), Stavenhagen (7. August), Ueckermünde (4. September) und Malchow (25. September).