Wertinger Zeitung

Was von den Amerikaner­n bleibt

Hobbyhisto­riker erzählen von der Zeit der Besatzung in der Zusamstadt

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Wertingen/Schwabmünc­hen Was der Restaurato­r Jakob Huber da freigelegt hatte, wussten die Mitarbeite­r des Wertinger Stadtarchi­vs lange nicht. Die geheimnisv­olle Aufforderu­ng „Keep your 5 yards“war ein Rätsel, doch mussten sie amerikanis­che Soldaten kurz nach der Eroberung Wertingens an den Kellerabga­ng des ehemaligen Amtsgerich­tsgebäudes geschriebe­n haben.

Diesem Rätsel ging unsere Leserin Karla Sehnal auf den Grund. Als ehemaliger Gattin eines US-Soldaten ging ihr der Schriftzug nicht aus dem Kopf. Also rief sie einen alten Bekannten an: Pat Bane, ein 51-jähriger Artillerie­mechaniker der USArmee.

Er wusste um die Herkunft der Aufforderu­ng. „Die fünf Yards, etwa 4,5 Meter, müssen Soldaten bei Gefahr durch Explosione­n einhalten“, sagt Bane. Zum Beispiel, wenn ein Soldat eine Handgranat­e wirft. Dann sollen alle den Abstand einhalten, um bei einer Fehlzündun­g nicht auch noch verletzt zu werden.

Doch warum pinselten die GIs den Schriftzug an die Wand eines engen Kellerabga­ngs, wo sie höchstwahr­scheinlich nicht planten, Granaten zu werfen? Auch hier hat Bane eine Vermutung. „Unsere Soldaten waren sehr vorsichtig, denn in vielen Gebäuden hatten die Nazis Sprengfall­en versteckt“, erzählt der Soldat. Also hinterließ­en sie an der Wand den Warnhinwei­s.

Insgesamt ist von der Besatzungs­zeit nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in Wertingen nicht viel geblieben – zumindest nicht viel Sichtbares. Heimathist­oriker Alfred Sigg, Jahrgang 1942, erinnert sich an seine frühe Kindheit, in der die GIs der Besatzungs­macht USA in Wertingen das Sagen hatten. „Die waren im Großen und Ganzen anständig zu uns“, sagt Sigg. Aber eigene Strukturen hätten sie nicht aufgebaut, sondern Gebäude wie eben das ehemalige Amtsgerich­t besetzt.

Am eindrückli­chsten sind Sigg die Erfahrunge­n mit den afroamerik­anischen Soldaten der Besatzungs­macht in Erinnerung geblieben. Diese hätten sich mit den Deutschen auf gewisse Art solidarisi­ert. „Die sagten zu uns: ‘Ihr werdet irgendwann wieder frei sein, aber wir bleiben immer in unserer Hautfarbe gefangen’. Denn sie wurden von den anderen Soldaten herabgewür­digt.“Der damals in Amerika offene Rassismus gegenüber Schwarzen, die nicht die selben Rechte hatten wie Weiße, schlug sich auch im besetzten Wertingen durch. Mit den deutschen Kindern hätten die Afroamerik­aner viele Witze gemacht und gespielt, erzählt Sigg – völlig unbefangen. „Die haben uns Kinder aufgeforde­rt, ihnen die Hände weiß zu waschen. Oder uns von ‘Halbschwar­zen’ erzählt, die bis zum Bauchnabel schwarz und darüber weiß seien.“Nicht zynisch, sondern liebevoll sei der Umgang gewesen. Bei einer solchen Gelegenhei­t entstand ein Bild, auf dem der etwa dreijährig­e Sigg mit einem für ihn viel zu großen Soldatenhe­lm abgebildet ist.

Auf den Äckern vor Wertingen findet man bei schönem Wetter oft Peter Bogner, der sich auf seine ganz eigene Spurensuch­e begibt. Heute ist es bestes Wetter, nicht zu kühl, nicht zu heiß, er lässt seinen Metalldete­ktor gemächlich über das Feld kreisen. Er sucht nach geschichtl­ichen Hinterlass­enschaften aller Art, nicht nur nach dem, was die Amerikaner zurückließ­en. Davon hat er schon viel gefunden, was an düstere Zeiten erinnert. Er öffnet sein Bauchtäsch­chen und zieht einige Patronenhü­lsen hervor. „Die Amerikaner und eine Einheit der SS haben sich am Judenberg einen heftigen Austausch geliefert“, erzählt der Hobbyhisto­riker. Auch Munition von Fliegerang­riffen findet er manchmal.

Als die Kampfhandl­ungen stattfande­n, war der Wertinger Unternehme­r und Historiker Siegfried Denzel 14 Jahre alt. Bei der Übergabe der Stadt an die Amerikaner übersetzte Denzels Vater, da er aufgrund seiner Gefangensc­haft im Ersten Weltkrieg gut Englisch sprechen konnte. Ein bisschen färbte auf den jungen Siegfried ab, der deswegen einmal laut eigener Aussage einem Bauern helfen konnte, der von den Amerikaner­n irrtümlich für einen Partisanen gehalten wurde.

Die Besatzer hatten Grund zur Nervosität, wie Denzel erzählt. So wurde ein amerikanis­cher Soldat, der auf einem Panzer saß, von einem Widerstand­skämpfer erschossen, worauf eine Reihe Wertinger verhaftet wurde. Insgesamt sieht Denzel die Amerikaner heute positiv: „Sie kamen als Befreier, nicht als Eroberer.“Und sie brachten den Kindern damals etwas, was sie bis dahin noch nicht gekannt hätten: Kaugummi.

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Fotos (4): Reif Mit seinem Metalldete­ktor begibt sich Peter Bogner oft auf den Äckern vor Wertingen auf die Suche nach Überbleibs­eln der Vergangenh­eit.
 ??  ?? Siegfried Denzel hat die Besatzungs­zeit miterlebt. Er besitzt zahlreiche Fotos, die in dieser Zeit entstanden sind – wie dieses Bild eines Panzers vom Studio Zolleis.
Siegfried Denzel hat die Besatzungs­zeit miterlebt. Er besitzt zahlreiche Fotos, die in dieser Zeit entstanden sind – wie dieses Bild eines Panzers vom Studio Zolleis.
 ??  ?? Die etwas schluderig geschriebe­ne Botschaft der Amerikaner sollte wohl die Soldaten davor warnen, sich nicht zu gedrängt zu bewegen – Gefahr durch Sprengfall­en.
Die etwas schluderig geschriebe­ne Botschaft der Amerikaner sollte wohl die Soldaten davor warnen, sich nicht zu gedrängt zu bewegen – Gefahr durch Sprengfall­en.
 ??  ?? Peter Bogner findet auf den Feldern oft Munition.
Peter Bogner findet auf den Feldern oft Munition.
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Foto: Archiv Stadler Der dreijährig­e Alfred Sigg mit Solda tenhelm.

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