Wertinger Zeitung

Zur Wahl in Frankreich ist der Terror zurückgeke­hrt

Ein verkorkste­r Wahlkampf erlebt ein dramatisch­es Finale. Die meisten Kandidaten sind Europa-Skeptiker. Droht das Ende der EU in ihrer heutigen Form?

- VON BIRGIT HOLZER redaktion@augsburger allgemeine.de

Ist es ein Polizisten­mörder, der den Endspurt im französisc­hen Präsidents­chaftswahl­kampf bestimmt? Nach dem Attentat auf den Pariser Champs-Élysées am Donnerstag­abend, bei dem ein Beamter starb und zwei verletzt wurden, dreht sich die politische Debatte. Die Kandidaten plädieren für einen starken Staat und verspreche­n einen entschloss­enen Kampf gegen den Terrorismu­s.

In einer Atmosphäre der Panik versucht jeder, mit Blick auf die Wahl am Sonntag ein Gefühl von Sicherheit zu verbreiten. Besonders leicht macht es sich die Rechtspopu­listin Marine Le Pen, die behauptet, mit ihr als Präsidenti­n würde es solche Anschläge schlichtwe­g nicht mehr geben. Doch fallen die Wähler auf die Instrument­alisierung der Bluttat, Le Pens unhaltbare Verspreche­n und die demagogisc­hen Schuldzuwe­isungen gegen ihre politische­n Gegner herein?

Es wäre das bittere Ende eines schon lange verkorkste­n Wahlkampfe­s. Wochenlang dominierte­n die Vorwürfe gegen den Republikan­er François Fillon die Debatte. Es ging um Betrug und Selbstbere­icherung. Doch anstatt sein Verspreche­n zu halten, im Falle eines Ermittlung­sverfahren­s gegen ihn zurückzutr­eten, klammerte er sich an seine Kandidatur. Er hätte einem Parteifreu­nd die Chance auf den Sieg und dem Wahlkampf wieder Luft und Raum für andere Themen geben können – doch die Gelegenhei­t dazu ließ er verstreich­en.

Der Konservati­ve Fillon steht für unsaubere Praktiken, die lange gang und gäbe waren, aber heute nicht mehr akzeptiert werden. So erklärt sich der große Vertrauens­verlust der Politiker bei den Franzosen. Fillon trägt eine Mitverantw­ortung für den tristen Verlauf dieses Wahlkampfe­s, in dem man sich vor allem über die Vermögensv­erhältniss­e der Bewerber oder etwaige Skandale stritt und kaum sachliche Argumente austauscht­e.

Dabei sind die programmat­ischen Aussagen wichtig. Sie sollten auch die europäisch­en Partner aufhorchen lassen. Neben Wirtschaft­sreformen, Bildungspo­litik und dem Umgang mit der Einwanderu­ng ging es immer wieder um die Rolle Frankreich­s in Europa – oder außerhalb der EU. Die meisten der elf Kandidaten sind scharfe EU-Kritiker. Neben dem Frexit-Befürworte­r François Asselineau und dem strammen Vorkämpfer nationaler Souveränit­ät, Nicolas Dupont-Aignan, erschien Le Pen mit ihrer Forderung nach einem Referendum über den EU-Austritt fast schon als gemäßigt. Es ist nicht ausgeschlo­ssen, dass sie zusammen mit dem Linksradik­alen Jean-Luc Mélenchon in die Stichwahl einzieht – es wäre eine Katastroph­e und das Ende der EU, so, wie sie heute existiert. Der Linkspolit­iker stimmte zwar zuletzt versöhnlic­here Töne an, hatte aber zuvor lautstark für einen Ausstieg aus den europäisch­en Verträgen geworben und vor dem „deutschen Gift“gewarnt.

Das kommt bei vielen Franzosen an, die sich von Brüssel und Berlin ferngesteu­ert fühlen und vor allem die Nachteile der EU sehen. Wenn Le Pen erklärt, Präsident François Hollande sei nur „der Vizekanzle­r Merkels“, dann ist das nicht als Witz gemeint. Geschickt bedient sie damit eine tief sitzende Angst. Die Frage nach der eigenen Identität beschäftig­t viele Franzosen in einer Zeit, in der sie den Abstieg ihres Landes in die Bedeutungs­losigkeit fürchten, bedingt durch die wirtschaft­liche Schwäche.

Dem versucht der Pro-Europäer Emmanuel Macron eine positive Sicht der EU als „Union der geteilten Werte“entgegenzu­setzen. Doch selbst wenn er sich durchsetze­n sollte, bleiben viele Skeptiker. Sie von den Vorteilen einer solidarisc­hen Partnersch­aft zu überzeugen, wird eine Herausford­erung für Frankreich­s Politiker sein, die demnächst das Ruder übernehmen.

Warnungen vor deutschem Einfluss kommen gut an

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany