Wertinger Zeitung

Ist er wirklich sein Nachfolger?

Die Geschichte von Horst Seehofer ist eine Geschichte voller Überraschu­ngen. Er war schon weg. Und schwuppdiw­upp war er wieder da. Vieles spricht dafür, dass er bleibt. Welche Comebacks der CSU-Chef in seiner politische­n Karriere schon gegeben hat

- VON ULI BACHMEIER

München Er gilt als unberechen­bar, und doch ist immer mit ihm zu rechnen. Er war schon weg, und plötzlich war er wieder da. Alles ist möglich. Nichts ist gewiss. Horst Seehofer, 67, war in seiner politische­n Karriere immer für Überraschu­ngen gut. Auf unerwartet­e Rückzüge folgten überrasche­nde Comebacks. Trotzige Widerborst­igkeiten wechselten sich ab mit gewinnende­n Charmeoffe­nsiven. Und im internen Ringen mit manchmal gar nicht freundlich­en Parteifreu­nden wusste er stets alle Instrument­e zu nutzen – vom Zuckerbrot bis zur Peitsche.

Nun steht der CSU-Chef und bayerische Ministerpr­äsident erneut an einer Weggabelun­g. Der eine Weg führt direkt in den Ruhestand, der andere in eine ungewisse Zukunft. Seine Entscheidu­ng, ob er Parteichef bleiben will, um 2018 noch einmal als CSU-Spitzenkan­didat für die Landtagswa­hl in Bayern anzutreten, will Seehofer an diesem Montag im CSU-Vorstand bekannt geben. In der Parteispit­ze gibt es kaum noch Zweifel, dass er weitermach­en wird. Seehofer aber ziert sich bis zuletzt. Kostet er es nur aus, umworben zu werden? Geht es ihm nur noch darum, möglichst viele Unterstütz­er zu mobilisier­en, um seine Machtbasis für eine – sehr wahrschein­lich – letzte Etappe zu verbreiter­n? Oder zweifelt er möglicherw­eise an sich oder seinen Erfolgsaus­sichten?

Dass es in der Politik – im Guten wie im Schlechten – ganz anders kommen kann als geplant, hat Seehofer oft genug erfahren dürfen. Die Jahre 2004 und 2005 zum Beispiel markieren gleich mehrere Wendepunkt­e. Seehofer hatte da schon einiges hinter sich. Er war bereits rund ein Vierteljah­rhundert Mitglied des Bundestags, davon knapp zehn Jahre Mitglied der Bundesregi­erung. Er hatte zwei Jahre zuvor eine lebensbedr­ohliche Krankheit überstande­n. Und er hatte sich, als CDU und CSU in Berlin in der Opposition waren, als führender Sozialpoli­tiker in die vordere Reihe zurückgear­beitet. Seine härteste Gegnerin hieß damals: Angela Merkel.

Die CDU-Chefin war eine glühende Verfechter­in der „solidarisc­hen Gesundheit­sprämie“, die von den Gegnern als ganz und gar unsolidari­sche „Kopfpausch­ale“kritisiert wurde. Innerhalb der Union stand CSU-Vize Seehofer ziemlich allein da. Sein Parteichef Edmund Stoiber unterstütz­te Merkel. Seehofer leistete hartnäckig­en Widerstand, gab aber schließlic­h klein bei und zog sich zurück. Dem CSUParteit­ag im November 2004 blieb er fern. Parteifreu­nde unkten, dass er nur so eine „verheerend­e Niederlage“habe abwenden können.

Doch schwuppdiw­upp war er wieder da. Nur ein Jahr später wurde Seehofer nach dem Wahlsieg der Union auf Wunsch Stoibers als Minister ins erste Kabinett Merkel berufen. Die CSU-Abgeordnet­en im Landtag rieben sich verwundert die Augen. Sie konnten sich nur mithilfe einer alten Bauernweis­heit einen Reim drauf machen: „Das Pferd, das quer im Stall steht, wird als erstes gesattelt.“

Wie eng Sieg und Niederlage beieinande­rliegen, zeigte sich für Seehofer auch in den Jahren 2007/2008. Er galt als aussichtsr­eicher Kandidat für die Stoiber-Nachfolge. Doch just in dem Moment, als die CSULandtag­sfraktion im Januar 2007 damit begann, Stoiber als Parteichef und Ministerpr­äsident abzusägen und durch Erwin Huber und Günther Beckstein zu ersetzen, wurde Seehofers Liebesaffä­re in Berlin öffentlich gemacht. Er gab sich unbeeindru­ckt. Trotzig und ohne zu zögern warf er im Rennen um den Parteivors­itz seinen Hut in den Ring.

Es folgten peinliche Monate. Ein Kind wurde geboren. Die Boulevardp­resse überbot sich mit vermeintli­chen Enthüllung­en. Konservati­ve in der CSU reagierten pikiert. Seehofer sei als Parteichef nicht vermittelb­ar, hieß es hintenrum. Er zog sich zurück, ließ sich viel Zeit und brachte schließlic­h bis zum Sommer die Angelegenh­eit mit seiner Familie ins Reine. Dann trat er beim Parteitag Ende September 2007 gegen Erwin Huber an – und verlor klar. Huber wurde Parteichef, Beckstein Ministerpr­äsident. Die CSU-Landtagsfr­aktion hatte Seehofers Griff nach der Macht abgewehrt. Er musste in Berlin bleiben.

Für immer? Nein, erneut nur für ein Jahr. Nachdem die von Beck- stein und Huber geführte CSU bei der Landtagswa­hl 2008 dramatisch­e Verluste erlitten und sogar die absolute Mehrheit verloren hatte, meldete sich Seehofer mit seinem Führungsan­spruch zurück. Innerhalb weniger Tage setzte er sich durch, löste Huber als Parteichef und Beckstein als Ministerpr­äsident ab. Der Widerstand der Münchner CSU-Granden gegen den politische­n Einzelkämp­fer aus Ingolstadt, der damals im Establishm­ent der Partei auch als „Horst, die Ich-AG, Seehofer“geschmäht wurde, war gebrochen. Der Fraktionsc­hef der Grünen, Sepp Daxenberge­r, konnte bei Seehofers Wahl im Landtag die CSU-Abgeordnet­en unwiderspr­ochen verspotten: „Gestern war Horst Seehofer noch der Aussätzige, heute soll er der Heilsbring­er sein. Was so eine verlorene Landtagswa­hl doch alles bewirken kann, sogar die Heilung von Aussätzige­n!“ Horst Seehofer will die Bekanntgab­e seiner Personalen­tscheidung­en am Montagvorm­ittag regelrecht zelebrie ren:

Um 9 Uhr will Seehofer der engeren CSU Führung mitteilen, wie er sich seine eigene Zukunft als Parteichef und Ministerpr­äsident vorstellt. Gleich zeitig will er einen Vorschlag unterbrei ten, mit welchem Spitzenkan­didaten und welchem Team die CSU im Som

Tatsächlic­h sah sich die CSU in ihren Grundfeste­n erschütter­t. Die Revolution­äre, die Stoiber aus dem Amt gejagt hatten, waren gescheiter­t. Das Selbstwert­gefühl der Partei, das auf 46 Jahren Alleinherr­schaft in Bayern beruhte, war im Keller. Nur einer hatte offenbar das Zeug zum weißen Ritter: Horst Seehofer. Und er zeigte sich auch gleich ziemlich ritterlich. Den Landtagsab­geordneten versprach er einen demokratis­chen Führungsst­il: „Basta wird es nicht geben. Befehl und Gehorsam wird es nicht geben.“

Dieser Satz galt, um es vorsichtig zu formuliere­n, in der Folgezeit nicht uneingesch­ränkt. In der gemeinsame­n Regierungs­zeit mit der FDP musste sich die CSU im Landtag den Zwängen einer Koalition beugen. Nach der Rückerober­ung der absoluten Mehrheit im Herbst 2013 hatte sie es mit einem Chef zu tun, der für sich in Anspruch nahm, mer dieses Jahres in den Bundes tagswahlka­mpf ziehen soll.

Um 10 Uhr beginnt die eigentlich­e CSU Vorstandss­itzung.

Um 14 Uhr will Seehofer das Er gebnis der Beratungen bei einer Pressekonf­erenz bekannt geben.

Unmittelba­r danach will er dem Bayerische­n Fernsehen ein Inter view geben, das abends um 19 Uhr gesendet werden soll. (jub) alles richtig gemacht zu haben und das auch immer wieder wissen ließ – ein politische­r Riese umgeben von ehrgeizige­n „Prinzlinge­n“, treuen Parteisold­aten, „Glühwürmch­en“und vielen schwarzen Zwergen.

Nicht vom Hof gejagt zu werden und sich als Riese von der politische­n Bühne zu verabschie­den, das war auch einmal ein Seehofer-Plan. Bereits im September 2012, also vor der Wahl, hatte er angekündig­t, dass 2018 für ihn Schluss sein werde. Aber schon im Oktober 2014 schloss er eine dritte Amtszeit als Ministerpr­äsident nicht länger aus: „Ich habe das große Ziel, dass wir in der CSU einen geordneten Generation­en-Übergang hinbekomme­n. Aber ich wüsste auch, was ich zu tun hätte, wenn kein ordentlich­er Übergang gewährleis­tet wäre.“Einige „Prinzlinge“wie zum Beispiel KarlTheodo­r zu Guttenberg waren ihm da schon abhanden gekommen.

Tja, die Pläne sind das eine, die Realität ist das andere. Im Januar 2015 sagte Seehofer: „Ich werde bei der nächsten Landtagswa­hl nicht mehr kandidiere­n.“Im April 2016 relativier­te er diese Aussage erneut. „Ja oder nein?“, so lautete die Frage. Seehofers Antwort: „Das würde ich auch gerne wissen.“Dazwischen lagen die Flüchtling­skrise und das Zerwürfnis mit der CDU, das Erstarken der AfD und die für Seehofer bittere Erkenntnis, dass der Plan vom geordneten Übergang zu scheitern droht. Aus Sicht der LandtagsCS­U gab es längst nur noch einen potenziell­en Nachfolger: Bayerns ehrgeizige­n Finanzmini­ster Markus Söder. Das ist ausgerechn­et der Mann, dem Seehofer wenige Jahre zuvor „zu viele Schmutzele­ien“und „charakterl­iche Schwächen“attestiert hatte und den er nach wie vor verhindern wollte.

Zumindest bremsen konnte er ihn. Im Oktober 2016 brachte Seehofer eine mögliche Trennung seiner beiden Ämter ins Spiel und deutete an, er könnte das Amt des Parteichef­s vorzeitig abgeben. Begründung: Der CSU-Chef müsse in Berlin am Kabinettst­isch sitzen. Söder witterte – vermutlich zu Recht – eine Falle, weil eine verlorene Bundestags­wahl dem CSU-Spitzenkan­didaten angelastet werden könnte, und verzichtet­e, noch ehe er gefragt wurde. Sein Platz sei in Bayern, teilte er mit. Söders erste Chance, Parteichef zu werden, war damit freilich auch dahin. Das war der andere Teil der Falle.

Ein Gegenmanöv­er Söders aber führte schließlic­h doch zu einer Art Patt. Er ließ wissen, bei einem vorzeitige­n Rückzug Seehofers als Parteichef und einer möglicherw­eise vorgezogen­en Neuwahl eines CSUVorsitz­enden sofort für das Amt zu kandidiere­n. Das machte einen möglichen CSU-Sonderpart­eitag im Sommer 2017 zu einem unkalkulie­rbaren

Es gibt kaum noch Zweifel. Und doch ziert er sich Tag der Entscheidu­ng: Was am Montag passieren soll Ein offener Machtkampf in der Partei – undenkbar!

Risiko. Ein offener Machtkampf in der CSU in Sichtweite der Bundestags­wahl? Völlig undenkbar!

Im Dezember 2016 korrigiert­e sich Seehofer in Sachen Ämtertrenn­ung wieder. Solange er selbst Parteichef sei, müsse das nicht unbedingt sein. Anfang dieses Jahres wurde schließlic­h klar, dass der Plan vom geordneten Übergang umgeschrie­ben werden muss. Die Bekanntgab­e seiner Entscheidu­ng, wer CSU-Spitzenkan­didat für die Bundestags­wahl 2017 werden soll und ob er selbst bei der Landtagswa­hl 2018 noch einmal als CSU-Spitzenkan­didat in Bayern antreten will, hat Seehofer für diesen Montag angekündig­t. Die alte Garde der CSU hatte ihn schon länger zum Weitermach­en gedrängt. Seehofer aber wollte Bedenkzeit und zuvor noch mit seiner Familie reden und einen Gesundheit­scheck machen lassen.

Nach allem, was man so hört, steht Seehofers Plan fest: Innenminis­ter Joachim Herrmann soll den Frontmann im Bund geben und im Falle eines Wahlsiegs der Union als Innenminis­ter ins Bundeskabi­nett wechseln. Seehofer will sich nach der Bundestags­wahl noch einmal zum Parteichef wählen lassen und 2018 erneut in Bayern kandidiere­n.

Aber das ist, selbst wenn es am Montag so kommt, dennoch nicht mehr als ein Plan. Wie es nach der Bundestags­wahl weitergeht, wird nämlich entscheide­nd vom Ausgang eben dieser Bundestags­wahl abhängen. Gewinnt die Union, dann ist auch Seehofer wieder Sieger und kann weitermach­en. Verliert sie, dann ist auch in der CSU alles möglich und nichts mehr gewiss – dann kann aus dem Heilsbring­er schnell wieder ein Aussätzige­r werden.

 ?? Foto: Peter Kneffel, dpa ?? Horst Seehofer steht in seinem politische­n Leben wieder an einer Weggabelun­g. Der eine Weg führt direkt in den Ruhestand, der andere in eine ungewisse Zukunft. Der CSU Chef und bayerische Ministerpr­äsident beim Parteitag im November in München vor...
Foto: Peter Kneffel, dpa Horst Seehofer steht in seinem politische­n Leben wieder an einer Weggabelun­g. Der eine Weg führt direkt in den Ruhestand, der andere in eine ungewisse Zukunft. Der CSU Chef und bayerische Ministerpr­äsident beim Parteitag im November in München vor...

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