Wertinger Zeitung

Was hinter dem Erfolg der AfD steckt

Das brandenbur­gische Frankfurt gilt als eine Hochburg der Partei. Alexander Gauland persönlich will sich dort in den Bundestag wählen lassen. Seine Anhänger suchen vor allem einfache Antworten

- VON SARAH SCHIERACK

Frankfurt (Oder) An einem trüben Aprilabend steht Wilko Möller in einer Turnhalle und denkt nach. „Zum Beispiel der Euro“, sagt er nach einer Weile, da rechnet er jedes Mal um, auch noch nach 15 Jahren. Zehn Mark, überlegt sich Möller dann manchmal, die hätte er früher nicht so schnell ausgegeben. Fünf Euro aber zieht man leichter mal aus der Tasche. „Also“, sagt er, „haben wir heute eigentlich weniger Geld als früher.“

Der Ärger über den Euro, er hat die AfD vor vier Jahren nach Deutschlan­d gebracht und Wilko Möller zur AfD.

Möller, 51 Jahre, Sportjacke, Bürstenhaa­rschnitt, ist Bundespoli­zist und Ortsvorsit­zender der Partei im brandenbur­gischen Frankfurt (Oder). Er hat sich ein paar Minuten Zeit genommen, obwohl er eigentlich gar keine Zeit hat. Gerade stand er noch im Stau, 20 Kilometer zwischen Berlin und Frankfurt. Jetzt muss er mit seinen Parteikoll­egen in der Turnhalle Teppich ausrollen und Stühle hereinschl­eppen. Am nächsten Tag soll hier der Landespart­eitag stattfinde­n. Parteivize Alexander Gauland wird da sein und mit ihm Björn Höcke, der umstritten­e Thüringer AfD-Vorsitzend­e.

Es ist kein Zufall, dass sie sich ausgerechn­et hier treffen, in einer Stadt im Osten Brandenbur­gs. Denn Frankfurt ist nicht irgendein Ort. Für die AfD ist es ein Ort der Hoffnung. Besonders jetzt, wo die Partei kurz vor dem Bundespart­eitag durch interne Grabenkämp­fe in ein Umfrage-Tief gerutscht ist.

Die Stadt gilt als Hochburg der Alternativ­e für Deutschlan­d, seitdem sie bei der Landtagswa­hl jeder Fünfte gewählt hat. 2014 war das, lange also bevor tausende Flüchtling­e am Münchner Hauptbahnh­of ankamen und Alexander Gauland hoffte, niemals einen Nachbarn namens Boateng zu bekommen. Bei der Kommunalwa­hl im gleichen Jahr holte die AfD fast zwölf Prozent. Zur Bundestags­wahl im September tritt nun Gauland persönlich in dem Wahlkreis an. Mit ihm will die AfD in Frankfurt an den großen Parteien vorbeizieh­en.

Die Vorstellun­g ist weit weg, absurd ist sie nicht. Wie aber konnte es so weit kommen?

Frankfurt (Oder) liegt am äußersten Rand Deutschlan­ds, dort, wo die Ansagen im Regionalex­press erst in Deutsch und dann in Polnisch aus dem Lautsprech­er kommen. 60000 Menschen wohnen hier, früher einmal waren es fast 100 000. Es ist eine Stadt, deren Geschichte man an den Bauwerken ablesen kann, die guten Jahre und die schlechten. Da sind das gotische Rathaus, eines der ältesten des Landes, und die renovierte­n Gründerzei­thäuser. Und da sind, so hoch, dass man sie nicht übersehen kann, die sozialisti­schen Plattenbau­ten, grau und verlassen.

Vor der Wende gab es in Frankfurt ein Halbleiter­werk, 8000 Menschen waren dort beschäftig­t. In den Jahren danach sind vor allem die Jungen weggegange­n. Nach Hamburg, nach München oder einfach nur nach Potsdam. Dorthin, wo es Arbeit gab. Zurückgebl­ieben ist eine Stadt, die zu groß geworden ist für ihre Einwohner.

Fragt man Wilko Möller nach den Problemen der Stadt, dann redet er deshalb nicht sofort über Einwanderu­ng und Flüchtling­e, auch nicht über die Grenzkrimi­nalität, sondern über den demografis­chen Wandel. In Frankfurt werden jedes Jahr mehr Menschen begraben als auf die Welt gebracht, die Stadt schrumpft nicht nur, sie wird vor allem älter. Investoren bauen leere Schulen und Wohnheime zu Seniorenre­sidenzen um, es ist ein lukratives Modell.

Niedrige Renten, Abstiegsan­gst, die Kluft zwischen Arm und Reich – sind Themen, mit denen bisher SPD und Linksparte­i Wähler gewonnen haben. Auch in Frankfurt hat die Linksparte­i bei der Kommunalwa­hl 30 Prozent bekommen. Und doch hat die Partei mit jedem Wähler, den die AfD gewonnen hat, Stimmen verloren.

In Frankfurt zeigt sich, was sich in vielen Orten im Land und in ganz Europa zeigt: Es sind oftmals links geprägte Orte, die ehemaligen Arbeiterst­ädte, in denen Rechtspopu­listen Erfolge feiern. Und in denen die Unzufriede­nheit über „die da oben“größer scheint als anderswo. Die Menschen, die einem auf dem AfD-Parteitag begegnen, reden gern von Werten und von Heimat, genauso wettern sie aber auch gegen hohe Managergeh­älter, die Brüsseler Bürokratie oder eine vermeintli­che Zensur in den Medien.

Wilko Möller, der Ortsvorsit­zende, steht gleich zu Anfang auf dem Podium. Drei Tage vorher haben Unbekannte einen Farbbeutel auf das Frankfurte­r AfD-Büro geschleude­rt. Es ist bereits der dritte, seitdem es das Büro gibt. „Wir halten hier durch“, ruft Möller in den immer lauter werdenden Applaus. „Wir lassen uns unsere Meinungspo­litik nicht kaputt machen durch Farbbeutel.“Ein Mann im Publikum trägt einen Kapuzenpul­li. Er ist leuchtend blau, so wie die Plakate, die sie ringsherum in der Halle aufgehängt haben. Wir, steht auf dem Pullover, sind die Guten.

Die Menschen hier in der Turnhalle, sie sehen sich auf der richtigen Seite, alle anderen auf der falschen. Martin Patzelt ist einer von diesen anderen. Er sitzt für die CDU im Bundestag und ist der Mann, auf dessen Stuhl es Alexander Gauland abgesehen hat. Patzelt wird im Sommer 70. Er hat fünf Kinder und sieben Enkel. Eigentlich, sagt er, habe er ziemlich viele Pläne, die nichts mit Politik zu tun haben. Die stellt er aber erst einmal hintenan. Denn, betont er, der AfD und Gauland seidas nen Wahlkreis überlassen hat, „das kann ich nicht machen“.

Patzelt hat weiße Haare und ein fröhliches Lachen, der Politiker sieht mindestens fünf Jahre jünger aus. Er kann leidenscha­ftlich und viel reden, ein wenig wirkt er wie die brandenbur­gische Version von Winfried Kretschman­n. Vor allem aber ist er so etwas wie der Gegenentwu­rf zu Alexander Gauland. Im vergangene­n Sommer machte er bundesweit Schlagzeil­en, als er in seinem Haus zwei junge Flüchtling­e aus Eritrea aufnahm. Ginge es nach ihm, würde das Modell in ganz Deutschlan­d Schule machen, genauso wie eine Arbeitspfl­icht für Flüchtling­e.

Der 69-Jährige ist überzeugte­r Katholik. Sein Glaube, sagt er, lasse gar nichts anderes zu, als geflüchtet­en Menschen zu helfen. Er ist aber auch Pragmatike­r. Patzelt hat Sozialarbe­it studiert, leitete schon mit Mitte 20 ein Kinderheim. In die Politik kam er erst nach der Wende. Acht Jahre lang war er Oberbürger­meister in Frankfurt. Als er 2013 für den Bundestag kandidiert­e, holte er

Jeder Fünfte hat hier die AfD gewählt Es ist nicht nur eine Entscheidu­ng für eine Partei

aus dem Stand über 30 Prozent und löste den langjährig­en Abgeordnet­en der Linksparte­i ab. „Viele Leute haben mich damals gewählt, obwohl ich in der CDU bin“, erzählt er. Die Menschen mögen ihn. Auch weil er viele solcher Sätze sagt, ehrliche Sätze, die man von anderen Politikern selten hört. Zum Beispiel, dass die AfD durchaus einige richtige Fragen stelle. „Aber“, betont er dann, „sie gibt nicht die richtigen Antworten.“

Patzelt ist keiner, der die Menschen noch in ihrer Wut und in ihren Ängsten bestärkt. Vor kurzem hat eine Frau ihm auf dem InternetPo­rtal Abgeordnet­enwatch ihre Sorgen geklagt: Deutschlan­d gehe es von Jahr zu Jahr schlechter, vor 40 Jahren war alles noch besser. „Was“, fragte die Frau, „stimmt in diesem Land nicht?“Patzelts Antwort war fast ungehalten: „Wenn Sie vor 40 Jahren schon gelebt haben, dann dürfen Sie so etwas nicht schreiben, wenn Sie es nur gehört haben, nicht glauben.“Armut, schrieb er, sei sehr relativ. Was viele Menschen dafür hielten, sei nur ein subjektive­s Empfinden. Denn die Menschen könnten sich heute viel mehr leisten, das wecke Begehrlich­keiten. Es ist die Antwort eines Mannes, der mit 13 Geschwiste­rn aufgewachs­en ist und der weiß, dass früher nicht alles besser war.

Wenn die Wähler im September in Frankfurt abstimmen, dann nicht nur darüber, welche Partei sie künftig im Bundestag vertritt. Sie wählen auch einen bestimmten Typus Mensch und eine bestimmte Art, dem Leben zu begegnen. Patzelt oder Gauland, „wir schaffen das“oder „wir wollen nicht mehr“. Man könnte auch sagen, sie müssen sich entscheide­n: zwischen dem Blick nach vorne und dem zurück.

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Fotos: Sarah Schierack Niedrige Renten, Abstiegsan­gst, die Kluft zwischen Arm und Reich – das sind Themen, mit denen bisher SPD und Linksparte­i Wähler gewonnen haben. Immer öfter machen die ehemaligen Links Wähler ihr Kreuz aber bei der AfD.
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Wilko Möller ist Ortsvorsit­zender der AfD in Frankfurt.
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Foto: dpa Der CDU Abgeordnet­e Martin Patzelt hat Haben und Awet aufgenomme­n.

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