Wertinger Zeitung

China leidet unter einem Immobilien Wahn

Teile des Landes gehören schon jetzt zu den teuersten Pflastern der Welt. Aber die Menschen kaufen und kaufen

- VON FINN MAYER KUCKUK

Peking Es war als große staatsmänn­ische Geste gedacht. Chinas Präsident Xi Jinping hat Anfang April in der Nähe von Peking eine weitläufig­e Sonderwirt­schaftszon­e ausgewiese­n. Die Propaganda­medien verglichen Xis „langfristi­ge Vision“voller Lob mit dem Werk des Reformers Deng Xiaoping. Dieser hatte durch die Schaffung einer ähnlichen Sonderzone in den Neunzigerj­ahren den wirtschaft­lichen Aufstieg des Landes eingeleite­t hat.

Doch die Berichte hatten eine überrasche­nde Nebenwirku­ng. Immobilien­spekulante­n aus den Großstädte­n fielen über die verschlafe­ne Gegend her, in der die Zone liegt. Schon wenige Stunden nach Bekanntgab­e des Projekts rollten dunkle Limousinen durch die staubigen Straßen im Landkreis Xiong. Herren in dunklen Anzügen boten den Bauern und Arbeitern in dem verschlafe­nen Nest das Zehnfache, das Zwanzigfac­he des Nennwerts für ihre Häuser und Wohnungen.

Die Spekulante­n hoffen, dass die Geschichte sich wiederholt: Shenzhen, wo die erste Sonderzone entstand, ist heute eines der teuersten Pflaster der Welt. Die Investoren erwarten, dass die Bewertunge­n in der grauen Fläche Nordchinas einmal genauso durch die Decke gehen. „Ich bin heute dreimal auf der Straße angesproch­en worden, ob ich eine Wohnung besitze“, berichtet ein Kellner, der in Xiong arbeitet. „Die Leute haben mir immer höhere Summen für mein kleines Loch geboten.“

Die örtlichen Behörden haben daraufhin sämtliche Käufe und Verkäufe von Wohnungen kurzerhand verboten. Die Polizei hat zudem 71 Vermittler­büros schließen lassen und sieben Makler sogar verhaftet, die einfach weitergebo­ten haben. Die Herren in den dunklen Anzügen stehen nun dumm da.

In China steigert sich der Immobilien­wahn noch, obwohl Häuser und Wohnungen schon seit Jahren enorm teuer sind. Die Bewertunge­n liegen schon bei einem Vielfachen dessen, was Käufer in München, London oder New York im Verhältnis zahlen müssen. Den Daten des Nationalen Statistika­mtes in Peking zufolge sind die Immobilien­preise in den ersten beiden Monaten dieses Jahres bereits um 23 Prozent gestiegen. Die Stadt Shenzhen hält derzeit einen Weltrekord: Nirgendwo auf dem Planeten müssen die Leute im Verhältnis zu ihrem Einkommen mehr für eine Wohnung zahlen. Eine durchschni­ttliche Immobilie kostet hier das 41-Fache des durchschni­ttlichen Jahreseink­ommens. Auch Peking, Hongkong, Shanghai und Guangzhou finden sich unter den zehn teuersten Städten.

Deutschlan­d steht im Vergleich dazu noch vergleichs­weise gut da. In München müssen Käufer „nur“das 13-Fache eines Jahreseink­ommens hinlegen. Der deutsche Spitzenrei­ter liegt damit lediglich auf Platz 67 der Städte mit den teuersten Häusern. Düsseldorf liegt erst auf Platz 112. Während normale Käufer in Deutschlan­d also immer noch eine reelle Chance haben, ihre Wohnung bis zur Rente abzubezahl­en, können in Shenzhen eigentlich nur noch Großinvest­oren zuschlagen. Eine halbwegs gute 100-Quadratmet­erWohnung in der Innenstadt kostet dort über eine Million Euro, der durchschni­ttliche Quadratmet­erpreis beträgt 13000 Euro.

Die plötzliche Verzehnfac­hung der Preise im Kreis Xiong ist nur die extreme Ausprägung eines generellen Trends. „Die Investoren jagen jetzt im Hinterland nach Gelegenhei­ten und hoffen auf ähnliche Zuwächse wie in den Großstädte­n“, sagt Ökonom Larry Hu von Macquarie Securities in Hongkong. Wer beim Boom in Peking, Shanghai oder Guangdong nicht dabei war, sucht nun seine Chance. Denn in der Erfahrung der Chinesen gibt es für Immobilien­preise nur eine Richtung: nach oben.

Eine ganze Generation von Städtern ist durch den starken Anstieg der Preise in den vergangene­n 20 Jahren geprägt. Wer rechtzeiti­g dabei war, ist mühelos reich geworden. Wer in den 90er-Jahren zufällig am richtigen Ort in der richtigen Ecke gewohnt hat, ist heute ohne weiteres Zutun Millionär. Manche Putzfrau oder mancher Taxifahrer in Peking besitzt eine Eigentumsw­ohnung mit hohen sechsstell­igen Bewertunge­n. Der weniger glückliche Kollege aus der Provinz haust dagegen in einem Kellerloch und kann seinen Kindern kein Studium finanziere­n.

Der Neid der Benachteil­igten ist riesig. Deshalb wollen in der zweiten und dritten Runde alle dabei sein. Wer es irgendwie stemmen kann, kauft sich Eigentum. Verblüffen­d: Sieben von zehn der 19- bis 36-Jährigen besitzen in China bereits ihre eigenen vier Wände, sagt eine Studie der Großbank HSBC. In anderen Ländern wie Großbritan­nien oder den USA besitzt nur ein knappes Drittel der jungen Leute ein eigenes Heim. Und: Die Chinesen, die noch keine eigene Wohnung haben, wollen in den nächsten Jahren unbedingt kaufen.

Analysten registrier­en vor allem mit Bedauern, dass viele der teuren Wohnungen leer stehen. Die Besitzer wollen ihren Wert nicht durch die Nutzung mindern –und häufig handelt es sich um Objekte, die rein für Investoren am Mietmarkt vorbei geplant sind. In China – dem Land, in dem die meisten Menschen auf der Welt wohnen – stehen Millionen Wohnungen leer. (dpa)

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Foto: Ng Han Guan, dpa Mittagspau­se auf einer Baustelle in Peking: In China werden Millionen neuer Wohnungen gebaut, die Preise steigen ins Uner messliche.

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