Marx und Engels bleiben aktuell
Was für ein Anfangssatz! Und was für ein Schlusssatz! Karl Marx und Friedrich Engels leiten ihr 1848 veröffentlichtes „Manifest der Kommunistischen Partei“mit Worten ein, die ins Blut gehen. Sie legen aufrüttelnd los: „Ein Gespenst geht um in Europa – das Gespenst des Kommunismus. Alle Mächte des alten Europa haben sich zu einer heiligen Hetzjagd gegen dies Gespenst verbündet.“Das heutige europäische Gespenst heißt hingegen Nationalismus. Eine Verbrüderung gegen diese Geißel bleibt jedoch leider aus.
Marx und Engels jedenfalls beenden ihr Pamphlet mit einem berühmt gewordenen Agitations-Appell: „Mögen die herrschenden Klassen vor einer Kommunistischen Revolution zittern. Die Proletarier haben nichts in ihr zu verlieren als ihre Ketten. Sie haben eine Welt zu gewinnen. Proletarier aller Länder vereinigt Euch.“Das taten viele Menschen – nicht nur Proletarier. Doch wie der Politikwissenschaftler und Marx-Kenner Iring Fetscher treffend schrieb, „hat selten ein welthistorisches Dokument zugleich eine so geringe unmittelbare Wirkung und so großen postumen Erfolg gezeitigt wie das Kommunistische Manifest“.
Aus dem Text trieft förmlich revolutionäre Euphorie. Die Autoren glaubten 1847/1848, Proletarier würden bald ihre Ketten sprengen. Bei Marx und Engels machte sich jedoch rasch Ernüchterung breit, als sich ihre radikalen und gegen rücksichtslose Kapitalisten gerichteten Umsturzwünsche so nicht erfüllten. Erst 1917 sollten die Träume von Marx und Engels in der russischen Oktoberrevolution wahr werden.
Der Text wurde zum Bestseller, der bis heute eine geschätzte Auflage von rund 500 Millionen erreicht hat. Doch wie oft, wenn von Intellektuellen ersonnene Utopien umgesetzt werden, geht das mit Gewalt und Intoleranz einher. Am Ende steht Unterdrückung, welche die Menschen in der ehemaligen Sowjetunion nicht mehr hinnehmen wollten. Nach dem Ende sozialistischer Gleichmacherei blühten dort Nationalismus, Oligarchentum und Putinismus auf. Das hatten Marx und Engels nicht vorhergesehen, sie beschrieben aber mit Weitsicht die Internationalisierung der Wirtschaft, bekannt als Globalisierung.
Was ihre Schrift bis heute interessant macht, ist die Erkenntnis, dass ein sozial ungerechter Kapitalismus scheitern kann. Das meint auch Papst Franziskus, wenn er über eine Welt, in der das Geld regiert statt zu dienen, sagt: „Diese Wirtschaft tötet. Diese Wirtschaft schließt aus. Diese Wirtschaft zerstört die Mutter Erde.“Sätze, die von Marx und Engels stammen könnten, wenn sie heute in Lateinamerika leben würden.
Stefan Stahl Erhältlich etwa bei Reclam (Universal Bibliothek, 5 Euro).