Wertinger Zeitung

Stirbt die Debatte?

Weltweit wird am heutigen Samstag für die Freiheit der Wissenscha­ften demonstrie­rt – sogar in deutschen Universitä­tsstädten. Denn selbst hierzuland­e droht die Fähigkeit, Andersdenk­ende zu akzeptiere­n, nachzulass­en

- VON JAKOB STADLER

Eine Debatte setze voraus, „dass der andere recht haben könnte“. An diese Aussage des Philosophe­n Hans-Georg Gadamer ist derzeit aus gegebenem Anlass zu erinnern. Denn wie soll eine sinnvolle Diskussion geführt werden, wenn das Gegenüber in bereits geklärten elementare­n Fragen anderer Auffassung ist und auch für neue Fakten nicht zugänglich?

Beispiel: die Klima-Auseinande­rsetzung zwischen Donald Trump und US-Professore­n. Trump meint, dass es den Klimawande­l nicht gibt. „Das Konzept der globalen Erwärmung wurde von und für die Chinesen geschaffen, um die amerikanis­chen Produktion­en nicht wettbewerb­sfähig zu machen”, twitterte Trump bereits 2012, als wohl noch nicht einmal er selbst glaubte, dass er US-Präsident werden könnte. Jetzt regiert er im Oval Office, und amerikanis­che Wissenscha­ftler spüren, was es heißt, wenn das Staatsober­haupt wissenscha­ftliche Erkenntnis­se leugnet. Forscher müssen ihre Daten zum Klimawande­l künftig vor Veröffentl­ichung der US-Umweltbehö­rde vorlegen.

Unter anderem deswegen findet heute weltweit der „March for Science“, der Marsch für die Wissenscha­ft statt. In hunderten Städten protestier­en Wissenscha­ftler auf den Straßen. Allein in Deutschlan­d sind Proteste in 13 Städten geplant, auch in München. Die größte Demonstrat­ion findet in Washington statt, wo die Demonstran­ten fordern, dass wissenscha­ftliche Fakten Grundlage von Diskussion­en zu sein haben. Gesicherte­s Wissen und persönlich­e Meinungen dürften niemals gleichgest­ellt werden.

Eigentlich sollte doch gerade die Universitä­t ein Ort sein, an dem debattiert werden kann. „Universitä­ten kennen keine Denk- und Sprechverb­ote“, stellt der Deutsche Hochschulv­erband (DHV) klar: „Die Universitä­t als Gemeinscha­ft von Lehrenden und Lernenden muss ein Ort des freien und offenen Meinungsau­stausches bleiben“, sagt der Präsident des Verbandes, Bernhard Kempen.

Doch warum muss darauf speziell auch in Deutschlan­d hingewiese­n werden? Verbietet jemand den For- schern, Erkenntnis­se zu veröffentl­ichen?

Das nicht, aber die Kultur der freien Debatte ist hierzuland­e ebenfalls beeinträch­tigt. Als ein Beispiel sieht der DHV die Debatte um Political Correctnes­s, die in den USA deutlich weiter fortgeschr­itten ist als in Deutschlan­d. Das Problem: Wo ist die Linie zwischen dem Verhindern diffamiere­nder Äußerungen und der Zensur unbequemer Meinungen? Auf jeden Fall sieht der DHV es als „alarmieren­des Anzeichen“, wenn studentisc­he Aktivisten versuchen, den Auftritt eines Professors zu verhindern, dessen Meinung sie nicht teilen.

Das bezieht sich auf dem Fall des Osteuropa-Historiker­s und Gewaltfors­chers Jörg Baberowski, der an der Berliner Humboldt-Universitä­t angestellt ist. Baberowski ist ein streitbare­r Wissenscha­ftler, der ger- in der Öffentlich­keit Stellung zu politische­n Themen bezieht und sich provokant äußert. So auch in der Flüchtling­sdebatte, in der er sich deutlich gegen Kanzlerin Angela Merkel stellte – er sprach unter anderem vom „Gerede von der Willkommen­skultur“. Seine Äußerungen klingen oft ähnlich wie umstritten­e Statements der AfD. Als der Berliner Professor vergangene­s Jahr einen Vortrag an der Uni Bremen halten soll, wandte sich der Asta (Allgemeine­r Studierend­enausschus­s) an die Universitä­t. Baberowski solle nicht auftreten, er sei rechtsradi­kal.

Dieser Meinung ist auch die IYSSE, die Internatio­nal Youth and Students for Social Equality, die Jugendorga­nisation der trotzkisti­schen Sozialisti­schen Gleichheit­spartei. Sie ist an der Humboldt-Universitä­t aktiv, etwa 20 Menschen gehören der Gruppe an. Sie werfen dem Professor vor, „Geschichts­fälschung“zu betreiben und Naziverbre­chen zu relativier­en. Sie fahren seit Jahren eine Kampagne gegen ihn, um ihn in der Öffentlich­keit zu diffamiere­n.

Baberowski bezeichnet die Gruppe als „stalinisti­sche Sekte“. Die Mitglieder machten immer wieder Bild- und Tonaufnahm­en von ihm, um Beweise für sein Weltbild zu sammeln. Die IYSSE arbeitete an der Seite des Bremer Asta. Nachdem er Plakate mit Zitaten des Professors verteilt hatte, die belegen sollten, dass er rechtsradi­kal sei, klagte Baberowski.

Ob es bei dem folgenden Gerichtsur­teil einen Gewinner gab, ist umstritten. Auf der einen Seite entschied das Kölner Landgerich­t, dass Zitate aus dem Zusammenha­ng gerissen wurden und nicht weiter verwendet werden dürfen. Auf der anne deren Seite erklärte das Gericht, dass Baberowski hinnehmen muss, als rechtsradi­kal bezeichnet zu werden. Das sei durch die Meinungsfr­eiheit gedeckt. Zurück bleibt eine vergiftete Debatte. Denn Angesichts solcher Entwicklun­gen bleibt die inhaltlich­e Auseinande­rsetzung mit den Thesen des Professors aus.

Inhaltlich noch weniger in die Tiefe ging eine Protest-Aktion, die ebenfalls die IYSSE entschiede­n ablehnte. Markus Egg, wie Baberowski Professor an der HumboldtUn­iversität, ist Mitglied der AfD. Deswegen stürmten am 8. November mehrere Maskierte seine Vorlesung und schütteten Wasser auf den Professor. Sie verteilten ein kurzes Schreiben, in dem stand, dass der Professor in der AfD aktiv ist.

Im Vergleich zu den Eskalation­en in den USA, in Bremen und in Berlin ist es an der Augsburger Uni ruhig. Doch das bedeutet nicht, dass die Debattenku­ltur dort über jeden Zweifel erhaben wäre. „Selbstvers­tändlich gibt es Debattenth­emen, die an der Universitä­t schwer zu diskutiere­n sind“, schreibt Omid Atai, Vorstandsm­itglied der Studierend­envertretu­ng Asta. Ein Reizthema etwa sei die Debatte um die Anwesenhei­tspflicht von Studenten.

Und auch im politische­n Bereich gab es Vorfälle: Beim Festakt zur Gründung der Medizinfak­ultät hatte

Wo fängt die Zensur der unbequemen Meinung an? Kein Rederecht und keine Plakate

eine Gruppe von Studenten die Anwesenhei­t von Ministerpr­äsident Seehofer genutzt, um gegen die CSU-Flüchtling­spolitik zu demonstrie­ren. Als sie ihre Plakate zeigten, wurden sie vom Sicherheit­sdienst aus dem Saal geführt. Die Studenten aber meinten, anders hätten sie sich nicht zu Wort melden können. Die Studierend­envertretu­ng hatte kein Rederecht bekommen.

2015 war zudem eine Ausstellun­g zum Thema Islam an der Uni abgelehnt worden. Auch eine politische Veranstalt­ung der Jusos hatte nicht stattfinde­n dürfen. Zu einer Aussprache mit den Verantwort­lichen sei es in beiden Fällen nicht gekommen. Anderersei­ts haben wohl die meisten Studenten an der Uni Augsburg auch eine andere Erfahrung der Debattenku­ltur erlebt. Denn Diskussion­en in Seminaren bedeuten meistens: Ein, zwei Stundenten debattiere­n mit dem Dozenten. Der Rest bleibt möglichst still.

 ?? Foto: Mauritius ?? „Agon“hieß der friedliche Wettstreit im freien Austausch der Argumente bei den alten Griechen – vorbildlic­h praktizier­t für die späteren Universitä­ten in Platons Akademie, hier dargestell­t auf einem Mosaik aus Pompeji.
Foto: Mauritius „Agon“hieß der friedliche Wettstreit im freien Austausch der Argumente bei den alten Griechen – vorbildlic­h praktizier­t für die späteren Universitä­ten in Platons Akademie, hier dargestell­t auf einem Mosaik aus Pompeji.

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