Europa im Konsumrausch
Joya hat ein T-Shirt genäht. Er ist zwölf Jahre alt und hat die Schule verlassen, weil er seine Mutter unterstützen muss. Joya hat noch zwei kleinere Brüder. Sein Vater starb bei einem Brand in der Baumwollfabrik. Joya arbeitet jetzt in der Fabrik gegenüber.
Lena besucht das Gymnasium. In ihrer Freizeit shoppt sie gerne mit ihren Freundinnen in der Stadt. In den Boutiquen und Jeansläden suchen sie nach chicer Kleidung. Billig soll sie sein, das Taschengeld muss reichen. Hier eine Jeans für zehn Euro, da ein Shirt für drei Euro. Wenn es nicht mehr gefällt, wird es ausgewechselt – kostet ja nicht viel.
Zwei Welten, nur ein paar Flugstunden voneinander entfernt, stoßen aufeinander. Der Verein „Eine Welt“, den es seit fünf Jahren auch in Wertingen gibt, setzt sich dafür ein, dass diese Welten zusammenwachsen. Denn der gedankenlose westliche Konsum und Billigrausch wirkt sich in Ländern wie Bangladesh oder Indien entsetzlich aus. Der Brand und Einsturz der Textilfabrik in Dhaka vor fünf Jahren ist nur ein Beispiel für grauenhafte Bedingungen, unter denen die Bevölkerung dort arbeiten muss. Und das, damit der europäische Markt billigst bedient werden kann.
Billiglohnländer wie Bangladesch erwirtschaften bereits jetzt 80 Prozent der Exporterlöse durch die Bekleidungsindustrie. Das Land ist somit von dem boomenden Geschäft abhängig. Die Anzahl der Textilfabriken, welche großteils illegal errichtet wurden, wird auf 6000 geschätzt. Vor allem Kinder und Frauen arbeiten. Der Produktionsdruck ist enorm: Wer nicht pünktlich liefert, verliert den Auftrag. Zu viel Konkurrenz wartet bereits auf dem Markt. Die Hauptabnehmer der in Bangladesch genähten Kleidung sind Europa und die USA. Beim letzten Schritt in der Handelskette wird der Preis drastisch erhöht: 59 Prozent schlägt der Einzelhandel auf die Produkte auf und erhält somit den größten Teil des Gewinns bei einem Kleidungsstück.
Der Konsument hat es in der Hand und kann mit seiner Kaufentscheidung Einfluss auf diese prekäre Situation ausüben. Das setzt aber auch Information voraus. Wer ein T-Shirt für zwei oder eine Jeans für acht Euro kauft, sollte sich dafür interessieren, wie das Kleidungsstück hergestellt wurde und zu welchem Preis. Und da taucht dann schnell die Frage auf, wie viel Cent letztendlich im Geldbeutel von Joya aus Bangladesh hängen geblieben sind.