Nirgends ist es so wie in Bachhagel
Für zehn Monate nach Virginia: Sophie Kienle tauscht ihr ländliches Leben gegen das große Abenteuer in Amerika. Am Ende ihrer Reise ist sie trotzdem froh, wieder zu Hause zu sein
Bachhagel Beim Mexikaner in Colonial Heights aß Sophie Kienle wohl das beste Eis ihres Lebens. „Schoko-Mango-Chilli“, sagt sie lachend, als läge ihr der Geschmack noch auf der Zunge. Zehn Monate lang schlüpfte sie in die Rolle einer amerikanischen Highschool-Schülerin und lebte bei einer Gastfamilie in Colonial Heights, einer Stadt im Bundesstaat Virginia. Wie in den amerikanischen Filmen ging es an ihrer Schule wider Erwartung nicht zu. Strikte Trennungen von Cool und Uncool, super gestylte Mädchen in kurzen Röcken und unwiderstehliche Football-Quarterbacks? Fehl am Platz. Zumindest erfüllte die Highschool, die Sophie Kienle besuchte, nicht dieses Klischee. Tische in der Mensa wurden nicht nach beliebt und unbeliebt besetzt, sondern nach Jahrgangsstufe. „Und die Mädchen durften nicht mal schulterfreie Tops anziehen“, erinnert sie sich. Eng anliegend sollte es auch nicht sein. Jungs in Muskelshirts wurden genauso wenig geduldet.
Die Lauinger Gymnasiastin hat viel zu erzählen von ihrem Abenteuer in Amerika. Manchmal wandert ihr Blick nach oben, als sehe sie die Bilder ihrer Reise in der Luft. Jedes Erlebnis scheint noch so nah, obwohl sie bereits vor knapp einem halben Jahr in ihren Heimatort Bachhagel zurückgekehrt ist.
Schon in der siebten Klasse entflammte in ihr der Wunsch nach etwas Neuem. „Ich wollte raus aus Bachhagel, mehr und was anderes sehen.“Viele Jugendliche können sich nicht vorstellen, Familie und Freunde für so lange Zeit zurückzulassen. Sophie Kienle ist da anders. „Wir leben im 21. Jahrhundert. Es gibt Handys und Skype.“
Die hohen Kosten für ihren Trip dämpften die Reiselust kurzzeitig. „Ich habe noch vier Geschwister. Meine Eltern können nicht jedem ein Austauschjahr bezahlen.“Ihren Wunsch, nach Amerika zu reisen, gab sie deshalb aber nicht auf. Im Netz durchforstete sie die Suchmaschinen nach geeigneten Leistungsstipendien. Sie stieß auf das Parlamentarische Patenschafts-Programm (PPP) und hatte Glück. 10 000 Euro wurden übernommen.
Jeden Monat gab es ein Treffen zwischen allen Austauschschülern des Programms. Dort lernte sie auch einen Schüler aus Ghana kennen. „Kweku hieß er“, was übersetzt bedeutet, dass er an einem Mittwoch geboren wurde. Dass Menschen nach den Wochentagen ihrer Geburt benannt werden, sei in dem west- afrikanischen Staat normal. Sophie Kienle lernte während ihrer Zeit in Virginia vieles, was über die Staatsgrenze hinaus geht. „Ich habe mehr als nur Amerika gesehen“, sagt sie.
Dass Amerika ein Land der Extreme ist, kann die Schülerin aus Bachhagel bestätigen. „Ich habe dort ganz unterschiedliche Menschentypen kennengelernt.“Die Vielfalt sei ihr auch an der Highschool aufgefallen. Trotzdem: Obwohl alle so verschieden sind, spürte die 17-Jährige ein Verbundenheitsgefühl. „Es gab so ein besonderes ‚School Spirit“. Auch zwischen Lehrern und Schülern herrschte ein familiäres Verhältnis. Das vermisst sie manchmal.
An manche Standards musste sie sich dafür erst gewöhnen. Zum Beispiel an die Sache mit den offenen Türen. „Die Tür wird nur geschlossen, wenn man schläft oder sich umzieht“, erklärt die Gymnasiastin. Gewöhnungsbedürftig war auch, dass sie nicht alleine rausgehen durfte. Ihre Gasteltern fuhren sie zur Schule und holten sie wieder ab. Zum Supermarkt oder in die Mall ging es nur in Begleitung ihrer Gastschwester. „Am Anfang habe ich mich schon eingeschränkt gefühlt.“ In Bachhagel kennt sie das anders. Hier kann sie alleine mit dem Hund spazieren gehen oder mit Freunden durch die Ortschaft streifen – sicher fühlt sie sich dabei immer.
Was die Elftklässlerin als besonders schön empfand, war die offene Art der Amerikaner. Gleich zu Beginn ihres Highschool-Jahres wurde sie mit Fragen gelöchert. Zum Beispiel, ob die Deutschen wirklich nur Sauerkraut und Brezen essen. Schwer war es nur, das Interesse der Schüler zu halten, erzählt Sophie. „Innerhalb von zehn Monaten Freundschaften aufzubauen, ist nicht einfach.“Im Theater-Club lernte die 17-Jährige dann aber Menschen kennen, die ihr noch immer nahestehen. Bis heute hält der Kontakt an. Auch zu ihrer Gastfamilie besteht ein inniges Verhältnis.
Nach dem Abitur möchte sie zurück nach Virginia. Für drei bis vier Wochen. Dann aber vermutlich nur für einen kurzen Besuch. „Es soll ein Road Trip werden.“Florida und New York stehen schon auf ihrer To-do-Liste.
In den vergangenen Winterferien war sie schon einmal an der Westküste – mit ihrer amerikanischen Familie. Dort schauten sie sich gemeinsam die Universal Studios an. Besonders aufmerksam durchquerte sie die „Harry-Potter-World“. Mit einem schwarzen Umhang um die Schulter ging es wieder heraus. „Es waren 35 Grad, aber wir sind die ganze Zeit mit den Umhängen herum gelaufen“, sagt sie und offenbart sich als großer Harry-PotterFan.
Sophies Liste ihrer Erlebnisse und Erfahrungen in Amerika ist lang. Sie war in Washington D.C., besuchte typische Touristenattraktionen wie das Weiße Haus und das Lincoln Memorial. Sie lernte Schüler aus anderen Nationen kennen, tauchte in das Highschool-Leben ein und entdeckte Orte wie die mexikanische Eisdiele, die ganz fest in ihrem Erinnerungsnetz eingesponnen sind. Und dennoch: Ihr Zuhause ist Bachhagel. „Man lernt zu schätzen, woher man kommt.“