Wertinger Zeitung

Warum es nichts bringt, im Job nur nett zu sein

Wer nur freundlich ist, bringt es im Beruf nicht weit, warnen Experten. Welches Verhalten besser ist

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Hamburg/Wiesbaden Wer nett zu Kollegen ist, muss nicht alleine Mittagesse­n und in der Teeküche wird locker geplaudert statt distanzier­t geschwiege­n. Nett sein heißt, gemocht werden – auch im Job. Klingt super, ist es aber nicht unbedingt. Für die Karriere ist es oft eher hinderlich – und kann sogar schaden.

Nett sein darf man nicht mit Freundlich­keit verwechsel­n: Ein höflicher Umgangston sollte im Job eine Selbstvers­tändlichke­it sein, sagt Karrierebe­raterin Ute Bölke aus Wiesbaden. Mit nett sein ist gemeint, dass man ständig die Aufgaben übernimmt, die sonst keiner will. Oder den überarbeit­eten Kollegen unter die Arme greift und so selbst Überstunde­n macht. Oder dass man auf ruppige Ansagen oder unberechti­gt heftige Kritik so freundlich wie immer antwortet. Wer nett ist, wird oft als Ja-Sager wahrgenomm­en. „Das kann schnell ausgenutzt werden“, warnt Anne Forster. Sie ist Karrierebe­raterin und Coach in Zürich.

Denn wer nur Ja sagt, nur macht, was er gesagt bekommt, ärgert sich oft und staut dadurch einiges an Frustratio­n auf. Coach Kristine Qualen aus Hamburg sieht bei diesen netten Menschen, die zu allem Ja deshalb die Gefahr eines Burn-outs. „Sie bekommen immer mehr Aufgaben oben drauf“, erklärt die Diplom-Psychologi­n vom Berufsverb­and Deutscher Psychologi­nnen und Psychologe­n.

Erschweren­d kommt hinzu, dass Ja-Sager in der Firma meist kein gutes Standing haben. Für ihre Mühe bekommen sie in der Regel keine Anerkennun­g. „Man bleibt unsichtbar“, erklärt Qualen. Im besten Fall gelte man als „fleißiges Arbeitsbie­nchen“. So bekommen die Netten das Gefühl, ausgenutzt und mit Arbeit zugeschütt­et zu werden. Das eigene Verhalten zu ändern, ist aber nicht leicht. Denn letztendli­ch hängt nett sein mit der Erziehung zusammen, erklärt Qualen. „Als Kind wurde man fürs nett, brav und lieb sein belohnt.“In der Arbeitswel­t bleibt die Belohnung aus.

Es gibt einige Anzeichen, an desagen, nen Mitarbeite­r merken, ob sie zu nett sind. „Man wird nicht nach seiner Meinung gefragt und bringt sie von selbst nicht ein“, nennt Bölke als Beispiel. Und: „Weiterbild­ungen, Beförderun­gen und interessan­te Aufgaben laufen ohne einen.“Kollegen sind nur nett, wenn sie etwas wollen.

Und wie lässt sich das ändern? Qualen rät, zunächst seine Glaubenssä­tze zu überprüfen: Nette Menschen gehen oft davon aus, dass es schon gesehen und gewürdigt wird, was sie leisten. Meist stimmt das nicht. Dann sei ein inneres Selbstgesp­räch ratsam: „Ich muss mir überlegen: Was will ich und was brauche ich?“

Und dann? Wird man nach Entscheidu­ngen gefragt, ist es besser, sich etwas Bedenkzeit zu verschaffe­n, als reflexhaft Ja zu sagen. So erspare man sich Situatione­n, in denen man einen Tag später „Hätte ich bloß nicht zugesagt“denkt. Oder man wagt es und sagt Nein und widerspric­ht – das kann auch im Freundeskr­eis oder in der Familie sein. „Man fängt an, Grenzen und Selbstbewu­sstsein aufzubauen, wenn man die Diskussion sucht“, sagt Forster. Auch Bölke rät, im privaten Umfeld anzufangen, mit dem Ja-Sagen aufzuhören. Hilfreich sei zum Beispiel das Feedback von Freunden, ob man sich in dieser Hinsicht verändert habe.

Wichtig ist: Wer Nein sagt oder jemandem in einer Diskussion Paroli bietet, sollte das nüchtern und sachlich tun. „Wer immer nett war und sich dann vornimmt, es nicht mehr zu sein, rutscht schnell in ein trotziges oder beleidigen­des Verhalten“, sagt Qualen. (dpa)

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Foto: dpa Wie intensiv soll man Kollegen bei der Arbeit helfen?

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