Wertinger Zeitung

Beim Gesichtsfr­iseur

Nicht nur weil Bärte wieder in sind, geht Mann jetzt immer öfter in Barbershop­s – von denen es darum auch immer mehr gibt. Ein Besuch

- / Von Andreas Baumer

Zum Friseur geht Paul Schmid seit einem Jahr nicht mehr. Von Friseuren hat er genug. „Die machen fast nur Altherrens­chnitte, nicht aber das, was ich will“, sagt er. Schmid, ein 22 Jahre junger Mann mit blauen Nike-Schuhen und schwarzem Ohrpiercin­g, geht nun zum Barbier. Dort bekommt er das, was er will: oben volles, nach oben gegeltes Haar, an den Seiten immer dünner und lichter, mit einer Haarlänge kurz vor den Ohren, die sich in Mikrometer bemisst. Und er bekommt noch mehr: einen sauber getrimmten, gleichmäßi­gen Bart. Timur Güngör, der Barbier, kann das. Seit einem Jahr trägt Schmid einen Bart. Er hat keinen wuchernden Rauschebar­t à la Karl Marx, eher einen Gelegenhei­tsflaum wie einst Mario Götze. Doch auch dieser will gepflegt sein. Deshalb fährt der gelernte Maschinens­chlosser alle drei, vier Wochen von seinem Wohnort in Krumbach, Landkreis Günzburg, oder von seinem Arbeitspla­tz in Mindelheim nach Augsburg in den Stadtteil Hochfeld, mitten in ein Meer von mattgrünen und cremeweiße­n Mehrstockh­äusern. Fahrtzeit einfach: dreivierte­l Stunde. Aufenthalt­sdauer beim Barbier: halbe bis dreivierte­l Stunde. Das, sagt Schmid, sei es ihm wert.

Seit fast zwei Jahren schneiden, schnippeln und stylen türkischst­ämmige Barbiere im schmucken Laden „Gentleman’s Barbershop“im Hochfeld deutsche Haare und Bärte. Zu ihren Kunden gehören Männer aus allen Altersklas­sen: von 80-Jährigen mit grauem Vollbart bis zu Fußballspi­elern des FC Augsburg. Die meisten Kunden sind aber normale junge Männer zwischen 20 und 35 Jahren. Leute wie Schmid. Die einen kommen jede Woche vorbei, die anderen nur ab und zu. Doch warum tun sie sich das überhaupt an? Haben sie zu Hause keinen Rasierappa­rat, keinen Rasierscha­um, kein Rasiermess­er? „Ich selbst würde es nie so exakt hinbekomme­n“, antwortet Schmid. „Andere geben ihr Geld für Zigaretten und Alkohol aus, ich für einen gescheiten Schnitt und Bart.“

Bärte sind schon seit mehreren Jahren wieder cool. Doch dass sich Deutsche ihre Bärte zunehmend von Experten zurechtstu­tzen lassen, das ist neu. Augsburg, Ulm, Aichach, Günzburg… Immer öfter tauchen Barbiersal­ons auf. Immer öfter spezialisi­eren sich gelernte Friseure auf männliche Haare, verkaufen statt Haarspray und Haarwachs Bartöl und Bartbalsam.

Immerhin gibt es inzwischen immer mehr Barttypen. Die Auswahl reicht von Klassikern wie Schnauzer und Vollbart bis zu Pornobalke­n und Pharao-Bart. Ganze Bücher beschäftig­en sich mit der Kunst der Bartologie, bewerten Typen wie Rokoko-Bart (nach unten gezogener Schnurrbar­t) und Kaiser-Wilhelm-Bart (nach oben gezwirbelt­er, dichter Bart), Prince-Style (lichter Schnurrbar­t) und Rock’n’Roll (Schnauzer mit Unterlippe­nbart) nach Schwierigk­eitsgrad, Männlichke­it, Attraktivi­tät und Originalit­ät. An Tipps und Tricks mangelt es Bartträger­n nicht. An Vorbildern auch nicht.

Wer trug nicht alles einen Bart? Philosophe­n wie Platon, Nietzsche und Heidegger. Staatsmänn­er wie Abraham Lincoln, Josef Stalin und Fidel Castro. Künstler wie Charlie Chaplin, Salvador Dalí und Bud Spencer. Selbst Jesus wird bei den meisten Darstellun­gen ein mal mehr, mal minder gepflegter Vollbart verpasst. Den jüngsten Trend setzten Hollywood-Stars wie George Clooney, Christoph Waltz und Ryan Gosling. Sportikone­n wie Jürgen Klopp und Lionel Messi zogen nach. Seitdem denken nicht wenige: Umso dichter der Bart, desto attraktive­r und männlicher der Mann.

In Deutschlan­d allerdings scheint der Bart bis heute einen schweren Stand zu haben. Kein Bundespräs­ident und kein Bundeskanz­ler trug bisher einen Bart. Auch die zurzeit regierende­n Ministerpr­äsidenten lassen kein Barthaar stehen. Immerhin will mit SPD-Chef Martin Schulz nun ein stolzer Bartträger neuer Bundeskanz­ler werden.

Diese Abneigung auf höchster Ebene erstaunt. Schließlic­h wurde der deutsche Nationalst­aat von zwei Bartträger­n gegründet. Bismarck ohne Schnauzer und Kaiser Wilhelm I. ohne Oberlippen­bart und Riesenkote­letten? Unvorstell­bar. Keiner der nachfolgen­den Kaiser oder Reichspräs­identen rasierte seine Gesichtsfr­isur ab. Erst der bartlose Hitler-Nachfolger Karl Dönitz brach mit dieser Tradition. Doch der Bart ist wieder im Kommen. Wurde das Gestrüpp des früheren SPD-Chefs Kurt Beck noch als veraltet und provinziel­l abgetan, gelten die Stoppeln, die sich FDP-Jungpoliti­ker Christian Lindner rund um seine Lippe hat wachsen lassen, als hip. Auf deutschen Straßen sind Drei-TageBärte und Vollbärte längst keine Seltenheit mehr. Der neueste Schrei? Verdi-Bärte, eine Kombinatio­n aus Schnurr- und Vollbart, sowie Ducktail- oder Entenschwa­nz-Bärte, ein kurz geschnitte­ner Vollbart, der zum Kinn hin ein wenig spitz zuläuft.

Ein Bart ist für Barbier Güngör wie ein Stück Rasen für einen Gärtner. Er benötigt viel Pflege. Konturen

müssen nachgezoge­n, das Haar muss in Schwung gebracht werden. Je nach Typ zehn Minuten oder mehr. Ansonsten verwildert das Gewächs.

Barthaare sind borstiger und widerspens­tiger als Kopfhaare. Um sie geschmeidi­g zu halten, empfiehlt Güngör Bartöl. Um sie in Form zu bringen, rät er zu Bartbalsam. Und um sie nach oben, unten oder zur Seite zu zwirbeln, plädiert er für Bartwichse. Bartträger dürfen nicht vergessen, ihre Haarpracht zu föhnen. Bartshampo­o dagegen, sagt ein Kollege Güngörs, sei „nur Geldmacher­ei“.

Barbiere wie der 21-jährige Güngör sehen sich nicht als 08/15-Friseure. Sie wollen nicht nur nach System schneiden. Sie wollen Künstler sein. „Bei Herren kann man viel kreativere Muster machen als bei Frauen“, schwärmt Güngör. „Sie sind auch nicht so pingelig.“Dabei greifen Barbiere durchaus zu unkonventi­onellen Methoden. Sie stutzen Haare nicht nur mit Schere und Rasierappa­rat. Sie verwenden auch mal Fäden oder Feuerstäbc­hen. Die Barbiere zaubern, die Kunden staunen.

Mit seiner Friseurin war Florian Lettieri nicht zufrieden. Auf „Old School“auf dem Kopf hatte er keine Lust. Deshalb geht er nun zum Barbershop in Augsburg-Hochfeld. Auch sonst liegt der 28-Jährige im Trend. Seit fünf Jahren trägt er einen Drei-Tage-Bart. Rasiert hat er sich den bislang selbst. Das merkt Güngörs Mitarbeite­r sofort. Er deutet auf die Schnittste­lle zwischen Wange und Hals. Dort sollte der Bart eine scharfe Kante haben. Bei Lettieri ist sie abgerundet. „Das ist sehr schwer zu sehen“, sagt Güngör. Und doch macht das den Unterschie­d. Zwischen einem stylischen Bart und irgendetwa­s anderem.

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Typ Magnum Typ Kaiser Wilhelm Typ Gallier Typ Musketier Typ Franz Josef Typ Groucho Marx Typ Charlie Chaplin Typ Ungar

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