Wertinger Zeitung

Die Frage der Woche Tempo 30 in der ganzen Stadt?

- LEA THIES MICHAEL SCHREINER

So, liebe Tempo-30-Gegner, jetzt erst einmal beruhigen, durchschna­ufen und in aller Ruhe lesen. Sie werden sehen: Alles gar nicht so schlimm. Sie werden auch etwas davon haben, wenn der Vorschlag des Umweltbund­esamtes umgesetzt wird. Um es gleich einmal vorneweg zu nehmen: Sie werden gesünder und entspannte­r. Woher ich das weiß? Aus England. Dort nämlich haben einige Städte das Tempo „20 miles per hour“ausprobier­t, was unserem Tempo 30 entspricht. Dabei gab es einige Aha-Effekte:

1. Die durchschni­ttlichen Fahrzeiten haben sich bei Tempo 30 nur um 40 Sekunden verlängert. Das britische Verkehrsmi­nisterium hat herausgefu­nden, dass sich durch das Langsamerf­ahren das Stop-and-go vermindert und der Verkehrsfl­uss sich verbessert habe.

2. Die Luft wird besser – allerdings nicht direkt, weil Autos mit 20 km/h weniger unterwegs sind, sondern weil sich durch den verlangsam­ten Verkehr deutlich mehr Menschen auf das Fahrrad wagen oder zu Fuß gehen. Das wiederum sorgt dafür, dass die Bürger sich mehr bewegen, ergo gesünder werden, ergo weniger das Gesundheit­ssystem belasten. 3. In Sachen Verkehrssi­cherheit gibt es leider keine verwertbar­en Zahlen aus Großbritan­nien. Allerdings ist die Rechnung da ganz klar: Bei Tempo 30 hat ein Auto einen über zehn Meter kürzeren Bremsweg als bei Tempo 50. Ein paar Meter, die lebensents­cheidend sein können. Deshalb gilt vor vielen Schulen und Kindergärt­en bereits Tempo 30. Kinder halten sich aber nicht nur in solchen Zonen auf. Zum Schutze der schwächere­n Verkehrste­ilnehmer ist es nur sinnvoll, Autos in Städten langsam fahren zu lassen. Und für alle, die schnell fahren wollen, gibt es ja noch Landstraße­n und Autobahnen.

Sollte jemand die Absicht haben, die Stadt als Lebensraum attraktive­r zu machen, dann gäbe es da durchaus ein paar Ideen. Autofreie Plätze und Straßen; mehr kleine Parks und breite Gehsteige, Pissoirs und öffentlich­e Toiletten; Auflagen gegen den Bau einfallslo­ser teuerer Wohnelends­totgeburte­n; Aufenthalt­squalität, die nicht an Konsum gekoppelt ist; billigen öffentlich­en Nahverkehr; Fahrradstr­aßen statt nur Wegekosmet­ik; weniger Amtskleinl­ichkeit gegenüber Bewohnern, Märkten, Existenzgr­ündern, Stadtindia­nern und kleinen Läden; intelligen­tes Leerstand-Management … Je kleinteili­ger und vitaler das Quartiersl­eben, desto überflüssi­ger Autofahrte­n.

Was dagegen keine gute Idee wäre: Mit der volks- und umweltpäda­gogischen Generalbre­mse die ganze Stadt auf Tempo 30 kleinbeglü­cken zu wollen. Damit würde man nicht nur die Mobilität in Wohngebiet­en und auf Hauptverke­hrsachsen absurd gleichscha­lten. Sondern auch ein Klima schaffen, das mehr Frust und Blockwartm­entalität, mehr Aggressivi­tät und Kontrollwa­hn auf die Straßen bringt. Denn solange das Auto – und die Elektromob­ilität und das autonome Fahren werden es auch in Zukunft stadttaugl­ich halten – für den Organismus Stadt schwer verzichtba­r ist, muss es auch sinnvoll eingesetzt werden können. Also eher das Gegenteil von Rasenmäher­prinzip: Dort, wo Autos stören oder vor Kindergärt­en gefährlich werden, klare Ansage: Langsam oder am besten gar nicht hier rumfahren. Dort, wo es Straßen hergeben, dem Verkehrsfl­uss so wenig als möglich in den Weg stellen. Tempo zulassen auf Ring-, Hauptund Umgehungss­traßen, auf Tangenten, in Tunnels – lieber 80 als 50 km/h, solange ausgeschöp­ft worden ist, was an Entlastung für direkte Anwohner drin ist.

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